Lilly Reich
Erste Erfolge und ein eigenes Geschäft in Berlin
Lilly Reich, geboren 1885 in Berlin als Marie Lilli Reich gilt als eine wegweisende Designerin der Moderne, die lange im Schatten ihrer männlichen Kollegen stand. Bekannt wurde sie für ihre Arbeiten in den Bereichen Innenraumgestaltung sowie Möbel- und Ausstellungsdesign. Mit einer Ausbildung zur Kurbelstickerin begann sie ihre Laufbahn. Die Kurbelstickerei ist eine Technik, bei der die Nadel durch eine unter dem Tisch befindliche Kurbel gedreht wird. Nach ihrer Ausbildung begann Reich 1908 unter der Leitung des Architekten und Designers Josef Hoffmann in den Wiener Werkstätten zu arbeiten. Drei Jahre später kehrte sie nach Berlin zurück und gründete ein eigenes Atelier für Innenraumgestaltung, Dekorationskunst und Mode. Ihre ersten Möbel und Zimmereinrichtungen erzeugten schnell Aufmerksamkeit: Bereits 1912 zeigte sie auf einer Ausstellung im Berliner Gewerkschaftshaus eine Musterwohnung für Arbeiter, die von der Jury besonders gewürdigt wurde. Im selben Jahr wurde sie Mitglied des Deutschen Werkbundes.
1914 war Reich auf der Werkbund-Ausstellung in Köln vertreten und konnte ihre Gestaltungs- und Einrichtungsideen einem breiteren Publikum präsentieren. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges musste sie ihre Arbeit jedoch umstellen und verlegte sich auf Schneiderarbeiten. 1920 wurde sie als erste Frau in den Vorstand des Deutschen Werkbundes aufgenommen.
Zusammenarbeit mit Mies van der Rohe und Werkstattleitung am Bauhaus
Nach ihrem Umzug nach Frankfurt im Jahr 1924 lernte sie den Architekten Mies van der Rohe kennen, mit dem sie ab 1926 eine enge Zusammenarbeit und Partnerschaft begann. Diese Zusammenarbeit führte zu zahlreichen Inneneinrichtungen und Ausstellungen. Ein wichtiges Projekt war die Werkbund-Ausstellung “Die Wohnung” in Stuttgart/Weißenhof im Jahr 1927. Reich war von Mies van der Rohe mit der Planung und Organisation der Ausstellung beauftragt worden, entwickelte jedoch auch mehrere Inneneinrichtungen, darunter den “Wohnraum in Spiegelglas”.
1929 übernahm sie die künstlerische Leitung der deutschen Präsentation auf der Weltausstellung in Barcelona, für die Mies van der Rohe den deutschen Pavillon entwarf. Gemeinsam schufen sie in diesem Zusammenhang auch den legendären Barcelona Sessel und ein Jahr später die Barcelona Liege, die wie so viele Designs, an denen Lilly Reich Anteil hatte, später ausschließlich Mies van der Rohe zugeschrieben wurden. Weitere Beispiele sind der Brno Stuhl und das Krefeld Sofa mit dazugehörigem Ottoman. Auch diese Möbeldesigns entstanden im Zusammenhang mit Architekturprojekten und wurden später nur unter van der Rohes Namen vermarktet.
Ein Grund dafür ist, dass Lilly Reich und Mies van der Rohe ab 1924 sehr eng zusammen arbeiteten und oft nicht klar festgelegt werden konnte, wer was entworfen hat. Dass in diesem Team der Mann als Impulsgeber und Urheber hervorgehoben wurde, ist letztlich der patriarchalen Gesellschaftsstruktur dieser Zeit und Mies van der Rohe persönlich geschuldet. Außerdem wurde ein Großteil von Lilly Reichs Archiv bei einem Bombenangriff auf Berlin im Jahr 1945 zerstört, während Mies van der Rohes Archiv, auch Dank des Einsatzes von Lilly Reich, erhalten blieb und sich heute zu großen Teilen im MoMA in New York befindet.
Im Jahr 1931 folgte die Deutsche Bau-Ausstellung in Berlin: Hier richtete Lilly Reich zwei Wohnungen im Boardinghaus ein, entwarf ein Erdgeschosshaus und gestaltete die Materialienschau. Sie besuchte 1929 Mies van der Rohe in Chicago, kehrte aber nach Deutschland zurück, wo Reich eine Dienstverpflichtung bei der Organisation Todt erhielt. Diese paramilitärische Bautruppe des NS-Regimes war während des Zweiten Weltkrieges insbesondere für Baumaßnahmen in den von Deutschland besetzten Gebieten zuständig.
1932 wurde Reich Leiterin der Ausbauwerkstatt und der Weberei am Bauhaus Dessau, eine Position, die sie bis zur Machtübernahme der NSDAP 1933 innehatte. Während des Nationalsozialismus hatte sie nur wenige Aufträge, da das Regime die Arbeit von unabhängigen Designern und Architekten einschränkte. Sie beteiligte sich nach dem Krieg intensiv am Wiederaufbau des deutschen Werkbundes, starb allerdings bereits 1947 in Berlin, zwei Jahre nachdem sie einen Lehrauftrag für Raumgestaltung und Gebäudelehre an der Hochschule für bildende Künste in Berlin angenommen hatte.
Lilly Reichs Beitrag zur modernen Designgeschichte, insbesondere in der Zusammenarbeit mit Mies van der Rohe, ist unbestritten und wird zunehmend gewürdigt. Posthum wurde ihr mit großer Verspätung und als erster Frau 1996 eine Sonderausstellung im MoMa in New York gewidmet.