Mit der Ausstellung „Design für Kinder“ untersucht das Bröhan-Museum in Berlin die Zusammenhänge zwischen Design, Kindern und Kindheit im Laufe des 20. Jahrhunderts.
Die Kindheit ist eine wichtige Phase im Leben eines jeden Menschen. Über viele Jahrhunderte hinweg war sie jedoch für die meisten Kinder eine Phase ohne die Bildung, das Spiel, die Freiheit, die Gesundheitsfürsorge und den Schutz, den viele Kinder heute genießen.
Die rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen der heutigen (europäischen) Kindheit haben ihren Ursprung in vielerlei Hinsicht in den zahlreichen (europäischen) Reformbewegungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die in engem Zusammenhang mit der Industrialisierung und Globalisierung stehen. Ähnliches gilt für die unzähligen Dialekte des Jugendstils, die ebenfalls in dieser Zeit entstanden und das Design als eine vom Handwerk und den angewandten Künsten getrennte Praxis hervorbrachten.
Im September 1901 fand in Dresden der erste deutsche Kunsterziehungstag statt, eine Veranstaltung, die von der Überzeugung getragen war, dass „Kunstsinn und Kunstkraft unseres Volkes nur ererbt werden können, wenn wir die künstlerischen Anlagen der heranwachsenden Geschlechter wecken und in den Grenzen des Möglichen entwickeln“. In diesem Zusammenhang wurde betont: „Wir wollen weder Künstler noch Kunstkenner erziehen, sondern unserer Jugend Auge und Herz öffnen für die echte, gesunde, deutsche Kunst“.1 Diese Auffassung wurde damals von den meisten Kunstschaffenden aller Richtungen und Nationalitäten geteilt. Und auch heute noch sind solche Positionen in vielen konservativen Kreisen weltweit vorherrschend.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts befanden sich in Dresden sowohl die Werkstätten für deutsche Haushaltswaren von Theophil Müller als auch die Dresdner Werkstätten für Kunstgewerbe. Letztere befanden sich in der Gartenstadt Hellerau am nördlichen Stadtrand Dresdens, die selbst aus den Reformbewegungen der Zeit hervorgegangen war. Beide Manufakturen gehörten zu den frühen Verfechtern eines reduzierten, rationalen Möbeldesigns. Darüber hinaus traten sie für eine eigenständige Möbelgestaltung ein, wie sie u.a. von Margarete Junge oder Gertrud Kleinhempel vertreten wurde. Sie waren frühe Hersteller von Spielzeug und Möbeln für Kinder, die sich an reformerischen Positionen orientierten. Hergestellt wurden Designs von Persomem wie August Geigenberger, Clara Möller-Coburg oder Richard Riemerschmid, denen man im Eröffnungskapitel von “Design für Kinder” begegnet.
Zu diesem Eröffnungskapitel gehören auch Arno Viegelmanns' immer wieder entzückende und bezaubernde Gliedertierfiguren für die Zoo-Werkstätten für Holzbearbeitungskunst, München. Vor allem bildet das Eröffnungskapitel den Ausgangspunkt für eine Reise durch die Geschichte des Designs für Kinder, die einem sehr klaren chronologischen Ablauf folgt.
Anhand von Arbeiten von Libuše Niklová, Walter Papst oder Luigi Colani thematisiert die Ausstellung das Aufkommen synthetischer Kunststoffe im Design für Kinder. Des Weiteren geht es um Baukästen, seien es u.a. Friedrich Fröbels so genannte Spiel-Gaben, Enzo Mari 16 Animali, Little Toy von Charles and Ray Eames oder Karl Max Seiferts Gartenbaukasten von ca. 1906.
Auch die Einflüsse der funktionalistischen Moderne auf das Design für Kinder sind ein Thema der Ausstellung. In diesem Zusammenhang wird Hans Gugelots modulares Kinderspielmöbelsystem aus den 1950er Jahren für Albin Grünzig & Co. gezeigt, ein System, das im Wesentlichen nur aus Kisten und Brettern besteht, die Kinder nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen zusammenstellen können. Wie in unserem Beitrag “Hans Gugelot: Die Architektur des Designs im HfG-Archiv, Ulm” nachzulesen ist, ermöglichte dieses Baukastensystem Kindern, „ihren eigenen Tisch, ihren Hocker, ihr Puppenhaus, ein Regal, einen Kaufladen, ein Puppentheater, alle Möbel für ihre Umgebung in der richtigen Höhe und in dem ihrem Alter entsprechenden Maßstab zu bauen“2.
Dieses System kann auch als Weiterentwicklung der Ansätze von Friedrich Fröbel oder Maria Montessori gesehen werden und ist mit den modularen Regal- und Aufbewahrungssystemen von Eero Saarinen und Charles Eames aus den 1940er Jahren verwandt. Auch diese Spielmöbel für Erwachsene basierten auf Kisten und Brettern, die frei angeordnet werden konnten.
Darüber hinaus kann dieses Kinderspielmöbel-System als eine Neuinterpretation von Alma Siedhoff-Buschers System TI 24 von 1923 für das Haus am Horn, dem ersten Musterhaus am Bauhaus in Weimar, gesehen werden.
Wir würden sagen, dass die Ausstellung zwei Schwerpunkte hat: Kinderstühle und Spielplätze.
Der erste Themenschwerpunkt wird vor allem anhand von Objekten aus der Kinderstuhlsammlung von Gisela Neuwald thematisiert. Diese Sammlung mit Kinderstühlen aus allen Jahrzehnten taucht in unregelmäßigen Abständen immer wieder in verschiedenen Museen und Kontexten auf. In “Design für Kinder” wird sie mit Arbeiten aus anderen Sammlungen und der Sammlung des Bröhan-Hauses kombiniert. Die Präsentation umfasst Arbeiten so unterschiedlicher Designer wie Verner Panton, Egon Eiermann, Karin Mobring oder Erich Dieckmann. Hinzu kommen aber auch Objekte zahlreicher anonymer Autoren, die nicht nur daran erinnern, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind, sondern Wesen mit eigenen Bedürfnissen und Ansprüchen. Hier werden Fragen aufgeworfen, die bereits in Ausstellungen wie “A Chair and You” oder “Stühle. Nur für Kinder!” im Grassi Museum für Angewandte Kunst in Leipzig diskutiert wurden.
Während es früher unvermeidlich war, dass z.B. Thonet einfach kleinere Versionen seiner Erwachsenenstühle für Kinder herstellte, sind wir heute viel weiter und fragen uns, ob es überhaupt noch vertretbar ist, von Kindern zu erwarten, dass sie auf kleinen Erwachsenenstühlen sitzen?
Wenn wir uns die Kinderstühle in “Design für Kinder” anschauen, würden wir diese Frage eindeutig verneinen. Oft stehen bei Kinderstühlen nämlich nicht die Bedürfnisse der Kinder im Vordergrund, sondern die Inszenierung und Gestaltung der Erwachsenenwohnung.
Manche Erwachsenenstühle funktionieren aber auch problemlos als Kinderstühle, und tatsächlich sind manche Kinderversionen sinnvoller als die Erwachsenenversionen. Dies gilt jedoch nur für sehr wenige Modelle. Die überwiegende Mehrheit liefert überzeugende Argumente dafür, dass es nicht gerechtfertigt ist, Kinder auf kleine Erwachsenenstühle zu setzen.
Teil der Präsentation von Kinderstühlen, zu sehen in Design für Kinder, Bröhan-Museum, Berlin. Der Schritt von der Wohnung, dem Klassenzimmer, den Innenräumen nach draußen ist nicht weit. Auf Spielplätzen geht es nicht nur ums Spielen, sondern auch um soziale und persönliche Entwicklung, um die Interaktion mit anderen in ihrer unendlichen Vielfalt. Spielplatzgeräte und Spielplatzmöbel sind in vielerlei Hinsicht mit Büromöbeln für Erwachsene vergleichbar, denn sie sind die Werkzeuge, die man braucht, um die Zeit zwischen Frühstück und Schlafengehen optimal zu nutzen. An Spielplätze werden daher komplexe funktionale Anforderungen gestellt, die häufig nicht vom Designer, sondern vom Nutzer konzipiert und entwickelt werden müssen. Die Analogie zu Büromöbeln wird auch deutlich, wenn man Peter Opsviks Tripp-Trapp-Hochstuhl mit seinen Büromöbeln vergleicht. Man fragt sich, ob Design für Kinder nicht eine gute Grundlage für Design für Erwachsene sein kann, ob Design für Erwachsene nicht dort beginnen könnte? Wir sind ziemlich sicher, dass viele der in Design for Kids vorgestellten Designerinnen und Designer dem zustimmen würden.
Gezeigt werden in erster Linie Spielplatzdesigns und Spielplatzgeräte von Günter Beltzig, einem Designer, der oft auf einen einzigen geformten Polyesterstuhl für Erwachsene reduziert wird, der aber, wie man erfährt, nicht nur Spielplatzdesigner war, sondern auch ein engagierter Aktivist für Spielplätze und als solcher wesentlich zur Entwicklung des Verständnisses von Design für Kinder beigetragen hat.
Erfreulicherweise verorten die Kuratoren den Schwerpunkt Spielplätze in Berlin. Eine Karte zeigt, wo in der deutschen Hauptstadt Beltzigs Entwürfe zu finden sind und macht Lust, sich mit Kindern auf den Weg zu machen.
Der Fokus auf Spielplätze spiegelt sich auch im Ausstellungskonzept wider: Neben der Rutsche und dem Karussell von Günter Beltzig finden sich auch einige seiner Stühle, eine aufblasbare Giraffe von Libuše Niklová und viele weitere interaktive Elemente. Außerdem sind die Ausstellungsräume mit vielen Stufen versehen, damit auch die Kleinsten die Exponate aus nächster Nähe betrachten können. “Design für Kinder” ist also eine Ausstellung für Kinder.
Wir treffen auf eine spritzige Präsentation, die schnell von einem Thema zum nächsten springt. Die Ausstellung bietet also Einführungen in die unzähligen Themen, die zur Diskussion stehen, aber keine tiefgreifende Analyse. Diese muss man in vielerlei Hinsicht nach dem Besuch selbst vornehmen.
Wie so oft bei Ausstellungen im Bröhan-Museum kommen sowohl Gestalter zu Wort, die sonst aus dem Designdiskurs ausgeschlossen sind, darunter auch einige aus Osteuropa, als auch solche, die regelmäßig gezeigt und diskutiert werden.
Die Ausstellung ist, wie oben angedeutet, sehr eurozentrisch. Kinder, Kindheit und Geschichten, die hier untersucht und diskutiert werden, sind europäisch. Das ist verständlich und im Kontext von Zeit und Raum vertretbar, aber auch bedauerlich. Das sollte man beim Betrachten zumindest im Hinterkopf behalten. Dennoch laden die Kuratoren unter dem Titel „Dein Spielzeug im Museum“ jeden ein, ein Spielzeug für die Ausstellung einzureichen, was eine Gelegenheit sein könnte, die Diskussion über die Grenzen Europas hinaus zu erweitern.
Die Ausstellung enthält auch ein Kapitel über Buchgestaltung, das auf sehr erfreuliche Weise die Rekonstruktion des Schaufensters der ehemaligen Odeon-Buchhandlung in Prag verwendet, das bereits in der Ausstellung “Hej rup! Die tschechische Avantgarde” im Bröhan-Museum zu sehen war. Anstelle der tschechoslowakischen Avantgarde-Literatur der 1920er und 1930er Jahre werden hier Bücher der Brüder Grimm und anderer didaktischer Folkloristen präsentiert. In das Ausstellungskapitel ist auch eine Bibliotheksecke integriert, in der sich Kinder und Erwachsene entspannen und lesen können. Über allem thront das monumentale Nashorn Clara aus Leder von Alexandra Kiesel.
Das Kapitel über Bücher macht auch deutlich, dass in der gesamten Präsentation keine Computertechnologie zu finden ist: ”Design für Kinder” ist eine Auseinandersetzung mit analogem Design für Kinder. Auch die Beispiele zeitgenössischen Designs für Kinder, die u.a. von Floris Hovers, Lilian Walters oder Insa Decker präsentiert werden, sind konsequent offline.
Dabei wird natürlich die sehr offensichtliche Tatsache ignoriert, dass Kindheit heute zu einem großen Teil online gelebt wird und dass zeitgenössisches Design für Kinder oft - und auf die Gefahr hin, noch zynischer zu sein, als wir es gewohnt sind - darauf abzielt, Online-Abhängigkeiten zu schaffen. Schließlich sollen die Kinder die Nachfolge ihrer Eltern antreten und Kunden von digitalen Plattformen und Social-Media-Unternehmen werden. Solche Entwicklungen müssen viel stärker erforscht, hinterfragt und kontextualisiert werden, als dies derzeit im öffentlichen Diskurs der Fall ist. Wenn Design für Kinder mehr ein Anspruch, eine Notwendigkeit, eine Verantwortung als ein Genre sein soll, dann wäre die Ausstellung eine sinnvolle Plattform, um diesen Diskurs aufzugreifen.
Auf der anderen Seite macht der Verzicht auf Computertechnologie deutlich, wie gesellschaftliche Veränderungen Design, Kinder und Kindheit beeinflusst und verändert haben.
Der starke analoge Faden, der sich durch die Erzählung der Ausstellung zieht, macht deutlich, dass es beim Kunsterziehungstag 1901 darum ging, Kunst/Design zu nutzen, um Kinder so zu formen, wie es die Gesellschaft von ihnen verlangte, während heute der Fokus viel mehr auf dem Kind als unabhängigem Wesen liegt, auf Kunst/Design als Werkzeug für die Entwicklung zu einem selbst bestimmten Mitglied der Gesellschaft. Zugleich macht die Ausstellung deutlich, dass Kindheit damals wie heute das Lernen des Erwachsenwerdens bedeutet, sei es zu Hause, in der Schule, auf dem Spielplatz oder wo auch immer, und dass die prägende pädagogische Didaktik des frühen 20. Jahrhunderts immer noch ein wichtiger Bestandteil des Designs für Kinder ist.
Das Nachdenken über damals und heute führt auch zu der Erkenntnis, dass es Kräfte gibt, die Kunst und Design gerne wieder als zentralen Bestandteil einer gefühlten nationalen Identität sehen würden und nicht als Bestandteil globaler Diskurse. Doch wie Design für Kinder zeigt, ist dies ebenso wenig möglich wie eine Rückkehr zu Design, Kindern und Kindheit der frühen 1900er Jahre.
Indem die Ausstellung die letzten 150 Jahre reflektiert, lässt sie auch Raum für Überlegungen, wie sich das Verhältnis von Design, Kindern und Kindheit in den kommenden Jahrzehnten entwickeln könnte. Damit verbunden ist die Frage nach der Verantwortung für diese unaufhaltsame Entwicklung.
“Design für Kinder” ist noch bis Sonntag, 16. Februar, im Bröhan-Museum, Schlossstraße 1a, 14059 Berlin, zu sehen. Weitere Informationen, auch zum Rahmenprogramm, unter www.broehan-museum.de.
1Siehe Vorwort, Kunsterziehung. Ergebnisse und Anregungen des Kunsterziehungstages in Dresden am 28. und 29. September 1901, R. Voigtländer, Leipzig, 1902 pages 7-9
2Verkaufskatalog, für Hans Gugelot Kinderspiel-Möbel durch Albin Grünzig, Sammlung HfG-Archiv, Signatur unbekannt. Wie ausgestellt in Hans Gugelot. Die Architektur des Designs, HfG-Archiv Ulm 21.03.2020—31.01.2021