Der Hochlehner ist ein Möbelstück, das mindestens seit dem Mittelalter (wenn nicht gar schon früher) bekannt ist und im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neu interpretiert wurde. So auch Anfang der 2000er Jahre von Ronan und Erwan Bouroullec, die, soweit wir uns erinnern, mit ihrem Alcove für Vitra das Konzept des gepolsterten Hochlehners einführten. Dieses neuartige Verständnis des Hochlehners wurde schnell zu einem beliebten Thema für Hersteller von Akustikmöbeln und schließlich auch für Hersteller von Büromöbeln. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass das Konzept der weichen Ergonomie immer mehr Verbreitung fand und von diesen Herstellern immer stärker eingefordert wurde. Wie wir in unserem (kurzen) Einführungsbeitrag zur Stockholm Furniture Fair 2023 angedeutet haben, ist der gepolsterte Hochlehner heute eines der Objekte, die fast alle Hersteller im Sortiment haben. Das heißt nicht, dass sie alle gleich sind, auch wenn es viele sind. Es gibt nämlich auch Ondulé.
Zu den Aspekten, die uns an Ondulé besonders gefallen, gehört, dass es sich im Grunde genommen nicht nur um eine Neuinterpretation des gepolsterten Hochlehnstuhls handelt, sondern um eine Neuinterpretation des Windsor-Stuhls. Dabei handelt es sich um ein Möbelobjekt, das, wie bereits in den vorangegangenen Beiträgen erwähnt, eher als ein Rahmen für ein Stuhldesign denn als ein Stuhl betrachtet werden sollte. Diese Auffassung demonstriert und verstärkt Anton Björsing mit Ondulé auf sehr elegante und mühelose Art und Weise. Indem er nämlich nichts Komplizierteres tut, als Filz durch die Spindeln zu weben, um die bisher unbekannte, aber wohl seit langem benötigte, gepolsterte Windsor-Sitzfläche mit hoher Rückenlehne zu erfinden.
Eine Entdeckung zu der Børge Mogensen 1945 mit seinem Tremmesofa, einem Sofa mit Speichenrücken, auf dem besten Weg war, die er aber nie gemacht hat. Mogensen setzte Kissen auf seinem Windsor-Sofa ein. Offenbar war die Welt noch nicht weit genug, um einzusehen, dass man Filz durch die Spindeln eines Windsors weben kann.
Diese Neuinterpretation oder Neuschöpfung des Windsors ist vor allem auch sehr schön anzuschauen. Wir können uns gut vorstellen, dass die fließende Mischung aus Filz und Holz es Ondulé ermöglicht, einem Büroraum, oder auch jedem anderen öffentlichen oder privaten Raum, Charakter, Vitalität und visuelle Ruhe zu verleihen. Das könnte Ondulé sehr viel besser gelingen als jenen Objekten, die einfach nur aus Akustikplatten geformt sind und oft nur wenig zu einem Raum beitragen. Es ist auch sehr, sehr schön, in und auf dem Ondulé Sofa zu sitzen, denn die rundum ansteigenden Holzspindeln vermitteln weniger den Eindruck einer Kiste, wie es bei solchen Hochlehner-Sofas oft der Fall ist, sondern vielmehr den Eindruck eines bewohnten Raumes. Man fühlt sich eins mit seiner Umgebung. Das ist nicht immer der Fall bei Sofas mit hoher Rückenlehne, denn allzu oft wird die Funktion über das Gefühl gestellt. Ähnlich wie das Vitra Sofa Alcove ist auch Ondulé ein Werk, das für den Nutzer da ist und als Erweiterung seiner Stimmung dient.
Und trotz der scheinbar unnachgiebigen Verbindung von Filz und Holz: Steckdosen und/oder USB-Ladegeräte können hinzugefügt werden. Ebenso wie frei einsetzbare und abnehmbare kleine Tische für den Doppelsitzer, die den Raum auflockern und aus einem Doppelsitzer zwei Einzelsessel machen.
Neben der Hochlehner-Variante gibt es Ondulé auch als Sessel in Standardhöhe und als Sofa mit relativ breiten Armlehnen. Auch das sind keineswegs unsympathische Objekte, die grafisch und visuell genauso ansprechend sind. Für uns ist der gepolsterte Windsor hier aber nicht so funktional wie bei der Hochlehner-Version.
