Vor dem Hintergrund einer nahenden Klimakatastrophe, zunehmenden Nationalismus’, politisch immer aktiverem, religiösen Fanatismus jeglicher Couleur, der Covid-Pandemie, der Rückkehr des Krieges nach Europa und vieler anderer existenzieller Übel unserer Zeit gibt es viele Fragen, die wir uns lieber stellen würden als: Glaubst du an die Zukunft?
Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg hält diese Frage jedoch für besonders relevant und notwendig, und präsentiert deshalb eine Ausstellung mit dem Titel: “Ask Me if I Believe in the Future”.
Überlegungen zum Thema Zukunft sind nicht neu. Seit Menschengedenken haben Zivilisationen in unterschiedlichem Maße über die Zukunft nachgedacht. Solche Überlegungen ziehen im Allgemeinen eine Beschreibung der Zukunft und die Frage, wie man sich die Zukunft vorstellt, nach sich.
Die Frage, die das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg in Zusammenarbeit mit der Mailänder Kuratorin Maria Cristina Didero formuliert hat, dreht sich jedoch nicht um eine Vorstellung der Zukunft, sondern darum, ob man an die Zukunft glaubt.
Damit ist nicht glauben im Sinne von "Glaubst du an Feen?", sondern glauben im Sinne von “Hast du Vertrauen in die Zukunft?” gemeint. Denn die Zukunft wird kommen, ganz gleich, ob wir uns über sie freuen werden oder nicht.
Das MKG Hamburg und Maria Cristina Didero haben die Frage “Glaubst du an die Zukunft” an vier internationale Kreativstudios weitergegeben.
Dabei handelt es sich um vier Studios, die (Vorsicht Spoiler!) alle an die Zukunft glauben, deren Glaube aber an gewisse Bedingungen geknüpft ist.
So wie sie in “Ask Me if I Believe in the Future” präsentiert werden, diskutieren diese vier Positionen in vier verschiedenen Formaten verschiedene Aspekte des Jetzt als Bestandteil der Zukunft. Sie kristallisieren so vier verschiedene Herausforderungen auf dem Weg in die Zukunft heraus und stellen vier verschiedene Prämissen für eine Zukunft auf, an die sich glauben ließe…
Unter den vier Projekten ist das, welches sich am direktesten auf die Covid-Pandemie bezieht “Teahouses for Domesticity” von Objects of Common Interest aus New York - den beiden aus Griechenland stammenden ArchitektInnen Eleni Petaloti und Leonidas Trampoukis. Inmitten der Covid-Pandemie stellten das MKG Hamburg und Maria Cristina Didero auch ihre Frage. In einem Moment also, an dem nicht nur die Zukunft in weiter Ferne lag, sondern auch die Gegenwart sich nicht auf sie zuzubewegen schien.
“Teahouses for Domesticity” präsentiert drei Teekannen, bei denen es sich um drei immersive, aufblasbare Plastik-Teekannen handelt. Als aufblasbare Rauminterventionen reflektieren diese Teekannen auf drei verschiedene Arten die Störungen persönlicher Beziehungen, die durch Logdowns und Social Distancing Maßnahmen verursacht wurden. In einer langen Röhre können sich zwei Menschen einander nähern, bis sie in der Mitte eine durchsichtige Trennwand entdecken. In einem weiteren Raum kann man sitzen und einen Echtzeitfilm von Menschen außerhalb des geschlossenen Raums sehen. Dabei handelt es sich allerdings um einen Film von einer Wärmebildkamera, der nur einen vagen Eindruck von Menschen, eine unpersönliche Darstellung von warmen, taktilen Individuen vermittelt. Der dritte Raum führt einen mit einem Boden aus Memory-Schaum und seinem lichtbrechenden Inneren weg vom MKG Hamburg und zwingt einen förmlich zu innerer Reflexion und einsamer Introspektion.
So wie wir diese drei Interventionen interpretieren, ermöglichen sie außerdem eine differenzierte Reflexion über die Rolle und Funktion von Kontakt und Kommunikation mit anderen und mit uns selbst. Es geht um die Bedeutung von Kontakt und Kommunikation nach außen und nach innen, auf persönlicher und gesamtgesellschaftlicher Ebene.
Die Einschränkungen unserer persönlichen Beziehungen, die wir alle im Verlauf der Covid-Pandemie erlebt haben, waren nicht gut. Unsere Erfahrungen jedoch - unsere Versuche, Kontakt und Kommunikation trotz allem aufrechtzuerhalten - können uns wertvolle Lektionen über die Natur des Menschen, seine Bedürfnisse und über die Gesellschaft lehren.
Trotz der nachvollziehbaren Dominanz von SARS-CoV-2 in den Schlagzeilen während der letzten Jahre war die Corona Pandemie nicht der einzige Grund für den Verlust unseres Zukunftsoptimismus. Vielmehr handelte es sich nur um einen Grund, unter vielen anderen. So wird auch die Frage, wie wir uns als globale Gemeinschaft weiterhin ernähren können, immer akuter und immer schwieriger zu beantworten. Insbesondere im Zusammenhang mit der ständig wachsenden Weltbevölkerung und dem Klimawandel. Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen haben zudem deutlich gemacht, dass der heutige, globalisierte Charakter der Lebensmittelindustrie in einer geopolitisch fragilen Welt zu den zahlreichen Problemen bei der Sicherung der örtlichen Nahrungsmittelversorgung beiträgt.
So wie wir das Projekt interpretieren würden, spricht sich die in Zürich ansässige Designerin Carolien Niebling mit dem Projekt “Future-Proof Plating” für eine Neuausrichtung bei der Suche nach Lösungen für eine zukünftige Lebensmittelversorgung aus. Diese Neuausrichtung betrifft die Art und Weise, wie wir unsere Lebensmittel produzieren, wie wir sie beschaffen und liefern, was wir als Lebensmittel verstehen und wie wir mit Lebensmitteln umgehen. In “Ask Me if I Believe in the Future” wird diese Neuausrichtung durch eine Präsentation großformatiger Nahaufnahmen von Algen und essbaren Blättern und durch eine Reihe von Keramiktellern, die mit Abdrücken von Algen und essbaren Blättern versehen sind, symbolisiert. Ersteres ermöglicht es, sich der Frage zu nähern, wie gut wir unsere Nahrung tatsächlich kennen, verstehen und begreifen. Im zweiten Fall werden Algen und essbare Blätter in einer fast jugendstilartigen Verbindung von Objekt und Natur buchstäblich auf den Teller gebracht, und zwar auf eine attraktive, ästhetische und ansprechende Weise. So entsteht eine visuell appetitanregende Präsentation, die anregt, darüber nachzudenken, wie schmackhaft und wünschenswert eine Ernährung mit selbst gezüchteten Algen sein könnte. Und wie appetitlich, reichhaltig und nahrhaft könnte Nahrung sein, wenn wir sie weniger als Ware, sondern als Grundlage des menschlichen Lebens betrachten würden? Allen menschlichen Lebens.
Analog zu Fragen der Produktion, der Verteilung und des Konsums von Lebensmitteln stellen sich Fragen zu Gebrauchsgegenständen, auf die wir in Zukunft nicht verzichten wollen, von denen wir aber alle wissen, dass sie viel nachhaltiger produziert, vertrieben und konsumiert werden müssen, als dies heute der Fall ist.
In diesem Zusammenhang stellt das in Venedig ansässige Studio Zaven, bestehend aus den DesignerInnen Enrica Cavarzan und Marco Zavagno, die Frage "Warum nicht?".
Bei “Warum nicht” handelt es sich um eine einfache und sicherlich sehr berechtigte, zeitgenössische Frage. Zaven antwortet darauf mit einer Sammlung von Objekten, die in unserer Interpretation des Projekts den Schwerpunkt von der globalen industriellen Produktion auf eine kostengünstige, technologiearme, lokale Produktion verlagern. In vielerlei Hinsicht stellt das wiederum eine jugendstilähnliche Neuausrichtung der Methoden zur Bereitstellung von Gegenständen des täglichen Gebrauchs dar. Außerdem handelt es sich hier um Objekte, die wir alle selbst aus leicht zu beschaffenden, einfach zu verarbeitenden Materialien herstellen können.
Warum also nicht?
Und obwohl der Schwerpunkt von “Why Not?” auf dem Wie und nicht auf dem Was liegt, waren wir sehr angetan von Zavens Holzstuhl Glueless. Dabei handelt es sich um ein Objekt aus Holzblöcken, die durch eine genial einfache und klebstofffreie Strategie miteinander verbunden sind. So ist ein Holzstuhl entstanden, der trotz seiner natürlichen, inhärenten Flexibilität, die dem ergonomischen Sitzen sehr förderlich ist, seine Stabilität beibehält. Glueless interpretiert so die Funktionalität eines Stuhls und unsere Beziehung zu einem Stuhl neu. Diese Neuinterpretation nimmt Zaven auch im Zusammenhang mit Kleidung, Beleuchtung und Geschirr vor. So wirft Zaven nicht nur die Frage “warum nicht?” auf, sondern fragt auch, worin Alternativen bestehen könnten.
Je schlechter die Situation auf der Erde wird, desto mehr wird darüber nachgedacht, ob wir nicht unser Glück woanders versuchen könnten. Auch das ist wiederum kein neuer Gedanke. Wie zum Beispiel die Ausstellung “Back to Future” im Museum für Kommunikation, Frankfurt, deutlich machte, haben wir im Laufe der Geschichte oft erwogen, uns auf anderen Planeten niederzulassen. Diese Tradition setzt auch der in Tel Aviv lebende Designer Erez Nevi Pana fort, wobei seine Besiedelung anderer Planeten weniger eine Flucht von der Erde als vielmehr eine Ausweitung des Bereichs ist, in dem der Mensch existieren kann. Es handelt sich eher um den Vorschlag, Zeit auf anderen Planeten zu verbringen, aber immer wieder auf die Erde zurückzukehren. Erez Nevi Pana stellt sich vor, dass wir, wenn man so will, Bürger des Kosmos werden und nicht nur Bewohner eines kleinen Fleckes darin, ohne aber jemals unseren eigenen kleinen Fleck aufzugeben oder zu verlassen.
Dieser Vorschlag erfordert natürlich etwas mehr Disziplin. Wenn sich Gesellschaften in der Vergangenheit über ihre bestehenden Grenzen hinaus bewegten, mangelte es daran bisher immer. Stattdessen wäre ein Zurückdrängen des menschlichen Egos nötig.
Erez Nevi Panas Überzeugung, sein Glaube, dass wir bessere Reisende werden können, dass wir das Universum bewohnen können, ohne es zu zerstören, ist eng verbunden mit Neil Armstrongs Erfahrung, vom Mond aus auf die Erde zu blicken und sich sehr, sehr klein zu fühlen. In unserer Interpretation wird man demütigt, wenn man mit der eigenen Irrelevanz konfrontiert wird, indem man das größere Bild sieht und versteht. Es kommt zu einem Punkt, an dem sich der Egoismus auflöst und man sich nicht mehr von anderen unterscheiden kann. Dadurch entsteht ein Respekt für andere, der es uns vielleicht ermöglichen wird, andere Planeten friedlich zu bewohnen.
Wenn es uns gelingt, diesen Respekt entstehen zu lassen, dann resultiert daraus in einem allgemeineren Sinne das Versprechen einer Zukunft, an die man glauben kann.
Möglicherweise.
“Ask Me if I Believe in the Future” macht deutlich, dass Objects of Common Interest, Carolien Niebling, Zaven und Erez Nevi Pana diese Frage mit Ja beantworten können. Die Ausstellung präsentiert Argumente für die Möglichkeit eines Glaubens an die Zukunft.
Aber glauben auch Sie an die Zukunft?
Die Frage “Ask Me if I Believe in the Future” wird in der Ausstellung nicht nur jedem Besucher gestellt. Es wird auch jedem Besucher ermöglicht, sich ihr besser anzunähern, indem er dazu angeregt wird, den Glauben der vier Mitwirkenden an die Zukunft zu hinterfragen. Der Besucher ist angehalten die Grundlagen dieses Glaubens zu hinterfragen, die Positionen der vier Studios zur Gegenwart im Verhältnis zur Zukunft, die Gültigkeit des Gezeigten, sowie die Plausibilität der Argumente in Frage zu stellen.
Diese Befragung wird durch einen Film von Francesca Molteni unterstützt. Dieser Film wurde anstelle eines Katalogs produziert und ist in der Ausstellung in Dauerschleife zu sehen. Er zeigt die vier mitwirkenden Studios bei der Entwicklung ihrer Projekte und liefert dabei Einblicke in ihr Denken und in die Gründe für ihren Glauben an die Zukunft.
Die Fragestellung der Ausstellung geht natürlich weit über das Gezeigte hinaus. Die vier Projekte reflektieren zwar vier sehr spezifische Themen, aber die Art der Diskussionen, die sie anstoßen, lassen sich im wörtlichen und übertragenen Sinne leicht auf weitere Themen ausdehnen. Ja, wir haben diese Überlegungen auf autonome Autos ausgeweitet, und ja, wir finden es immer noch unmöglich, an eine Zukunft zu glauben, in der sich der städtische Verkehr um Autos dreht, oder wo Lieferdrohnen und fliegende Taxis, um es mit Konstantin Grcic zu sagen, die neue Normalität in unseren Städten sind. Wir glauben auch nicht daran, dass die Kommunikation mit anderen weiterhin - und in zunehmendem Maße - durch gegenseitiges Anschreien in den sozialen Medien erfolgen sollte, anstatt durch tatsächliches miteinander Reden.
Aber das sind nur unsere Ansichten, aber die Ausstellung hat gefragt und wir sind früh darüber.
Die vier Projekte werden gerahmt von einem Ausstellungsdesign des Prager Kollektivs Okolo. Die Konstellation von “Ask Me if I Believe in the Future” aus vier Projekten mit vier verschiedenen Schwerpunkten, die in vier verschiedenen Formaten diskutiert werden, ist sehr erfreulich und sorgt nicht nur für eine zufriedenstellend abwechslungsreiche Präsentation, sondern auch für einen sehr schönen Rahmen, in dem man sich bewegen kann.
Der ständige Wechsel von Thema und konzeptioneller Herangehensweise verläuft fließend und lässt unterschiedliche Impulse zu, so dass die Gedanken in immer neue Richtungen wandern können. Dadurch wird auch eines der gemeinsamen Themen der vier Projekte sehr gut unterstützt, nämlich die Notwendigkeit, das Leben und die Gesellschaft aus immer neuen Perspektiven zu betrachten, und die sehr reale Gefahr, in Gewohnheiten zu verfallen, unhinterfragte Konventionen zu entwickeln und sich einfach treiben zu lassen, weil es einfacher ist.
“Ask Me if I Believe in the Future” schafft es zu verdeutlichen, dass die Zukunft nicht einfach passiert, sie nicht einfach von physikalischen Gesetzen bestimmt und von unsichtbaren Kräften gelenkt wird, sondern dass sie von uns abhängt, dass wir alle die Zukunft aktiv mit gestalten - individuell und kollektiv. Kooperation, Austausch und Partizipation sind in der Ausstellung deshalb immer präsent.
Keine Zukunftsvison der vier Studios kann ohne Kooperation, Austausch und Partizipation funktionieren. Alle vier mögen unterschiedliche Aspekte der Menschheit erforschen, aber Kooperation, Austausch und Partizipation durchziehen sie gleichermaßen. So begreifen wir Kooperation, Austausch und Partizipation als Schlüsselwerkzeuge für die Gestaltung, die Formung und die Definition unserer Zukunft begreifen.
“Ask Me if I Believe in the Future” läuft noch bis Sonntag, 23. Oktober, im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Steintorplatz, 20099 Hamburg.
Ausführliche Informationen, u.a. zu den Öffnungszeiten, Ticketpreisen, aktuellen Hygieneregeln und Details zum Rahmenprogramm finden Sie unter www.mkg-hamburg.de/ask-me-if-i-believe-the-future