Man könnte sagen, nur weniges wäre so sinnlos wie ein Le Corbusier-Malbuch.
Denn das gängige Bild des Architekten Le Corbusier ist ausgesprochen "unbunt". Dieser Mangel an Farbe wird durch eine eher mürrische, strenge, rundliche und bebrillte Persönlichkeit, die man allgemein mit Le Corbusier assoziiert, noch verstärkt: Was, so fragt man sich also, könnte es in einem Le Corbusier-Malbuch schon auszumalen geben?
Doch im Gegensatz zum populären Bild des Architekten war die Farbe ein wichtiger Aspekt in Le Corbusiers Werdegang. Seine gesamte Laufbahn begleiten Überlegungen und Studien zur Farbe.
Dabei handelt es sich um einen oft übersehenen Aspekt seines Werks, seiner Herangehensweise und seiner Persönlichkeit, der in der Ausstellung “Le Corbusier und die Farbe” im Pavillon Le Corbusier in Zürich untersucht wird.
Charles-Édouard Jeanneret-Gris wurde am 6. Oktober 1887 in La Chaux-de-Fonds in der Schweiz geboren. Wir haben die Le Corbusier-Biographie zuvor schon oft auf diesem Blog besprochen und verweisen daher auf die umfassendere Le Corbusier-Biographie. Beziehungsweise verweisen wir Sie auf die Übersichtsskizze der Le Corbusier-Biografie und befassen uns hier mit einer Auswahl von besonderen Aspekten, die mit Le Corbusier, seiner Architektur und der Farbe zusammenhängen.
In der Einleitung der Ausstellung heißt es: "Nachdem er 1924 den Sprung von der Malerei zur Architektur vollzogen hatte...". Was das eigentlich bedeutet haben mag, wird allerdings nicht diskutiert und so setzt ein Großteil der Ausstellung auch in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre ein, ohne weiter darauf einzugehen, was davor geschehen ist. Immerhin handelt es sich um die ersten 37 Jahren in der Biographie von Charles-Édouard / Le Corbusier.1
Dieser Umstand ist bedauerlich, denn es gäbe eine ganze Menge Material aus der Zeit davor, einschließlich einer Menge Farbstudien und zahlreicher Überlegungen zum Thema Farbe. Repräsentiert wird dieser Bereich in der Ausstellung durch Le Corbusiers Gemälde “Nature morte pâle à la lanterne” aus dem Jahr 1922, das Farbe als formales, strukturelles Element vorstellt. Darüberhinaus gab es aber auch eine ganze Reihe von Bauten, die vor 1924 entstanden sind. Dazu gehören auch Architekturprojekte, die farbig konzipiert waren.
Doch obwohl all das, was vorher war, die Diskussion über Le Corbusiers Werk nach 1924, zweifellos bereichern und vertiefen würde, mindert der fehlende Bezug auf die Vergangenheit nicht die Qualität der Präsentation und der Überlegungen zu Le Corbusier und der Farbe.
Die Ausstellung beginnt mit Projekten Le Corbusiers aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, die die Verwendung von Farbe mit einschließen. Dazu gehört ein Modell seines und Pierre Jeannerets Doppelhauses für die Bauausstellung in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung von 1927, anhand dessen Le Corbusiers Verwendung von Farbe innerhalb der weißen quadratischen Strukturen erläutert wird, für die er so bekannt ist. Die Ausstellung untersucht die Veränderungen in Le Corbusiers Umgang mit Farbe, die sich aus der Konzentration auf Beton in der Nachkriegszeit ergibt, und mit seiner sich entwickelnden Auffassung der Beziehungen zwischen Farbe und Form zusammenhängt. Diese beiden Aspekte werden anhand des Fabrikgebäudes für das Hutmacherunternehmen Claude et Duval veranschaulicht. Die Ausstellung endet mit Überlegungen zu Le Corbusiers Einsatz von Licht als Farbe. Ein Beispiel dafür ist seine Kathedrale Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp oder das sogenannte “Poème Électronique”, das er 1958 auf der Weltausstellung in Brüssel vorstellte. Dabei handelte es sich um jene immersive Multimedia-Präsentation, die wir im Zusammenhang mit unseren Überlegungen zu Le Corbusier und der Musik besprochen haben. Le Corbusier hüllte hier einen Saal nicht nur in ein Kleid aus ständig wechselnden Farben, sondern unterbrach auch den Schwarz-Weiß-Film, der als visuelles Herzstück diente, mit abstrakten Farbklecksen. Einen Eindruck von der Wirkung vermittelt in der Ausstellung die Rekonstruktion des Films, die in Dauerschleife abgespielt wird. Dieser Eindruck wird noch verstärkt wird, wenn man die begleitende Sinfonie von Edgard Varèse dazu hört.
Leider bleibt es nur bei diesem Eindruck, denn es fehlt der so wichtige hyperbolische Paraboloid-Raum, den Iannis Xenakis als Konzept und Geometrie des Weltausstellungsgebäudes unter der Leitung von Le Corbusier entwickelte.
Neben Le Corbusiers Verwendung von Farbe in seiner Architektur liegt der zweite Schwerpunkt der Ausstellung auf den kommerziellen Farbsystemen, die Le Corbusier entwickelte. Insbesondere auf den beiden Tapetenkollektionen, die er für das Basler Unternehmen Salubra entwarf. Die erste entstand im Jahr 1931 und damit zu einer Zeit, als die Verwendung von Tapeten noch nicht so verbreitet war wie heute. Diese Tapeten stellten für Le Corbusier "gleichbleibend gute Qualität und Dauerhaftigkeit in Farbe und Material"2 sicher und verhinderten, dass der Architekt oder auch Hausbesitzer von der Geschicklichkeit, Sorgfalt und Zuverlässigkeit des einzelnen Malers beim Mischen der Farbe abhängig war/ist.
1959 folgte die zweite Salubra-Kollektion, für die Le Corbusier die Farben den neuen Tönen und Schattierungen des Betons anpasste, und der er zudem eine Reihe von gemusterten Papieren hinzufügte, die auf den Oberflächenstrukturen von Materialien wie Marmor oder Stein basierten. Diese Strukturen wurden wiederum mit Farbe gebrochen, um, wie man aus den Salubra-Werbungen der 1950er Jahre entnehmen kann, Innenräume zu schaffen, die weit von den dogmatischen weißen Quadraten entfernt waren, die man gemeinhin mit Le Corbusier assoziiert.
Abgesehen von Le Corbusiers Umgang mit Farbe, geht die Ausstellung auch kurz auf Farbpigmente ein und zeigt unter anderem eine Pigmentsammlung und -palette von Johannes Itten, die einem besonders schwierigen Puzzle ähnelt. Die Diskussion über Farbe und Architektur wird zudem auch auf die Verwendung von Farbe durch andere Architekten ausgeweitet. Das betrifft vor allem die 1920er Jahren, also die Zeit, mit der “Le Corbusier und die Farbe” beginnt, und eine Zeit, die, wie Arthur Rüegg im Begleitheft anmerkt, oft als ebenso achromatisch wie Le Corbusier selbst angesehen wird.3
Kurze Besprechungen von Projekten von Gerrit Rietveld, Bruno Taut oder Mies van der Rohe zeigen jedoch, dass dies nicht der Fall war. Sie untermauern vielmehr, dass Farben in der Architektur der Zwischenkriegsmoderne durchaus existierten und bestätigen für uns tendenziell, was wir in der Ausstellung “Peter Gustaf Dorén. Innenarchitektur in Hamburg um 1900” im Museum für Kunst und Gewerbe bereits festgestellt haben: dass die Farbe nämlich im Laufe der Zeit aus unserem kollektiven Gedächtnis verschwindet.
Dies wird in “Le Corbusier und die Farbe” durch eine Kore aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. anschaulich demonstriert, die einst Teil der Akropolis war und deren Farbe längst verblasst ist.
Dass die Farben von Le Corbusier längst verblasst sind, hat wohl eher mit der Art und Weise zu tun, welches Bild heute von Le Corbusier vorherrscht. Das populäre Bild von Le Corbusier ist sehr begrenzt, und auf die immer gleichen Projekte, Objekte, Zitate und Schwarz-Weiß-Fotos einer mürrischen, bebrillten Person reduziert.
Diese Überlegungen weisen auf das andere große Versäumnis der Ausstellung hin.
Das populäre Bild von Le Corbusier ist nicht nur unbunt, sondern das eines einsamen Genies. Man kann sogar behaupten, dass nur sehr wenige Architekten und Designer in der Geschichte so einzigartig sind wie Le Corbusier.
Das ist natürlich Unsinn, denn der größte Teil von Le Corbusiers Werk war abhängig von Kooperationen und damit von den Beiträgen und Anregungen anderer. Dazu gehört insbesondere seine Zusammenarbeit mit Amédée Ozenfant.
Wie bereits in vorangegangenen Beiträgen erwähnt, unterhielten Ozenfant und Le Corbusier über viele Jahre hinweg eine sehr enge Beziehung, bevor dann alles auf spektakuläre Weise schief ging. Diese enge Beziehung wird vor allem durch die von ihnen 1921 mitbegründete und bis zu ihrer Einstellung 1925 gemeinsam herausgegebene Kulturzeitschrift “L'Esprit Nouveau” und durch ihre Malerei verkörpert wurde. Ozenfant und Le Corbusier entwickelten nämlich als Antwort auf die ihrer Meinung nach bestehenden Mängel des Kubismus den sogenannten Purismus, der unter anderem "Malerei nicht als Fläche, sondern als Raum" verstand.4
Diese Beziehung war zudem geprägt von gemeinsamen Überlegungen zur Farbe, zur Physik und Psychologie der Farbe, zur Farbe als Form und Struktur. So ist es für uns unvorstellbar, dass sich Le Corbusiers Verständnis von und Umgang mit Farbe ohne diese Jahre mit Ozenfant, ohne die Diskussionen und gemeinsamen Erfahrungen dieser Zeit, in der Art entwickelt haben könnte, wie es 1924 nach seinem “Sprung von der Malerei zur Architektur” der Fall war.
Dieser Zusammenhang wird für uns dadurch betont, dass viele von Le Corbusiers Positionen zur Farbe, zumindest in den Zwischenkriegsjahren, denen ähneln, die Ozenfant 1937 in seiner Artikelserie für “The Architectural Review” dargelegt hat. Leider ist hier weder Zeit noch Ort für einen detaillierten, kritischen Vergleich der beiden, aber Ozenfant und Le Corbusier sind sich zum Beispiel einig, wenn es um standardisierte Farbsysteme, oder darum geht, sich auf historische überlieferte Verwendungen von Farbe zu beziehen und daraus zu lernen. Das heißt sie teilen ein Verständnis von Beziehungen zwischen Farbe und Form und von Farbharmonie, sodass es schwer fällt Ozenfant und Le Corbusier als zwei getrennte Entwicklungswege zu behandeln. Wenn Ozenfant schreibt, dass "die Farbe ein wesentliches Element der Architektur ist ”5, könnten das schließlich genauso gut Worte aus der Feder von Le Corbusier sein.
Man kann deshalb unserer Meinung nach nicht über Le Corbusier und Farbe sprechen, ohne Amédée Ozenfant zu erwähnen. Die Tatsache, dass “Le Corbusier und die Farbe” es dennoch versucht, spiegelt letztendlich Le Corbusiers eigene Abneigung wider, die Lorbeeren für seine Projekte mit anderen zu teilen. Das ist, wie gesagt, bedauerlich, denn um Le Corbusiers Platz in der Kunst- und Architektur- und Designgeschichte und sein Vermächtnis zu verstehen, muss man sich von dem zeitgenössischen, populären Bild des Architekten entfernen.
Dazu gehört auch, sich von dem (durch und durch unwahrscheinlichen) einsamen Genie Le Corbusier zu lösen, und ihn im Kontext und im Diskurs mit all den anderen Zeitgenossen und Entwicklungen zu sehen.
Mit einer Mischung aus Dokumenten, Skizzen, Modellen und Fotografien sowie Musterbüchern und Verkaufsmaterial für seine beiden Salubra-Kollektionen beschreibt die dreisprachige Präsentation (deutsch/französisch/englisch) “Le Corbusier und die Farbe” die Entwicklung von Le Corbusier und seinem Verständnis von Farbe. Die Ausstellung nimmt den Besucher mit auf eine Reise vom Purismus der Zwischenkriegszeit bis zum Gesamtkunstwerk der letzten Jahre. Diese Reise wird im Pavillon Le Corbusier allerdings lange, lange nach ihrem Beginn aufgegriffen.
Der Fairness halber muss man sagen, dass der Pavillon Le Corbusier trotz seiner scheinbaren Unendlichkeit einfach nicht genug Platz für all das bietet, was die Ausstellung zu unserem Bedauern ausgelassen haben.
Und so bietet “Le Corbusier und die Farbe” eine angenehme, wenn auch notgedrungen kurze Einführung zum Thema, die einem hilft, besser zu verstehen, dass Le Corbusiers Werk nicht nur voller Farbe war, sondern voller sorgfältig konzipierter und bewusst geplanter Farbgestaltung, die auf seiner lebenslangen Faszination für die Farbe beruhte.
Le Corbusier und die Farbe ist noch bis Sonntag, den 28. November, im Pavillon Le Corbusier, Höschgasse 8, 8008 Zürich, zu sehen.
Alle Einzelheiten finden Sie unter https://pavillon-le-corbusier.ch/.
Und wie immer in diesen Zeiten sollten Sie sich im Voraus mit den aktuellen Regeln und Systemen in Bezug auf Eintritt, Sicherheit und Hygiene usw. vertraut machen. Bleiben Sie während Ihres Besuchs bitte sicher, verantwortungsbewusst und vor allem neugierig.....
1Der Essay von Arthur Rüegg in der Begleitpublikation Le Corbusier und die Farbe, Pavillon Le Corbusier, 2021, verweist auf die Biografie von Jeanneret/Le Corbusier und seine Arbeit an/mit Farbe vor 1924.
2Zitat von Le Corbusier aus der Salubra-Werbung, die in der Ausstellung gezeigt wird
3siehe Arthur Rüegg, Monochromie und Ornament: Le Corbusier und die Farbigkeit der Architektur, in Le Corbusier und die Farbe, Pavillon Le Corbusier, 2021
4Ozenfant et Jeanneret, Le Purism, l'Esprit Nouveau, Nr. 4, Januar 1921, zugänglich über http://arti.sba.uniroma3.it/esprit/ (Zugriff am 13.10.2021)
5Amédée Ozenfant, Colour - The English Tradition, The Architectural Review, Band 81, Ausgabe 482, Januar 1937