Wie bereits in einem früheren Blogpost erwähnt, ist die Geschichte des Büros lang und hat ihren Ursprung eher in Funktionen und Personen als in physischen Räumen. Dieses Verständnis entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte immer weiter und die Funktionen und Einzelpersonen wurden allmählich zu Synonymen für den Ort ihrer Tätigkeit. Im Laufe des 19. Jahrhunderts festigte es sich vor dem Hintergrund des aufkommenden Handels, der Industrie und der öffentlichen Verwaltung und führte dazu, dass das "Bürogebäude" zu einem festen Bereich innerhalb der Architektur wurde. Dieser Aspekt wird stark mit den Wolkenkratzern in Chicago assoziiert und mit den (schicksalhaften) Worten Louis H. Sullivans, der den Ausdruck "Form folgt Funktion, und das ist Gesetz"1 prägte.
Ein Gesetz, Grundsatz, Verständnis, das Sullivans ehemaliger Mitarbeiter und gewissermaßen Schüler, Frank Lloyd Wright, in Form des Larkin Administration Buildings in Buffalo, New York, zu einem Meilenstein der Gestaltung von Bürogebäuden machte.
Das Larkin Administration Building, das 1902 von der Larkin Soap Company in Auftrag gegeben und 1906 fertiggestellt wurde, war Frank Lloyd Wrights erstes eigenstädig geplantes Bürogebäude – zuvor arbeitete er bereits bei Adler & Sullivan an zahlreichen Projekten mit. Das Gebäude war wohl eines der ersten, das explizit für die Arbeit, die in ihm verrichtet werden sollte, entworfen wurde, und damit ein frühes Beispiel für Rationalisierung, wissenschaftliches Management und Funktionalismus in Architektur und Design.
Das Gebäude brachte einen neuen formalen Ausdruck und ganz neue Aspekte in das bisherige Verständnis von Bürogebäuden, was nicht überall Anklang fand. Der amerikanische Architekturkritiker Russell Sturgis bezeichnete es als "Monster der Unbeholfenheit", "so unbeholfen gruppiert, so ungeschickt in seinen Teilen und seiner Masse" und als "extrem hässliches Gebäude"2. Der niederländische Architekt H. P. Berlage, der es 1911 als einer der ersten europäischen Architekten in Augenschein nahm, äußerte sich viel positiver, wobei er die "gewaltige Wirkung" der scheinbaren Widersprüche zwischen Maßstab, Volumen, Bauwerk und der Offenheit und Leichtigkeit im Inneren bemerkte und sagte: "Ich ging von dannen mit der Ueberzeugung, ein echt modernes Werk gesehen zu haben, und mit Achtung erfüllt vor dem Meister, der solches zu schaffen vermocht, das in Europa seinesgleichen sucht".3
Nicht nur in Europa, sondern 1906 wohl überall. Die äußere nüchterne Sachlichkeit, Geometrie, die Verbindungen und Fenster sowie das Flachdach des Gebäudes sprachen eine Architektur- und Designsprache, die sich stetig weiterentwickelte und sich durch das Larkin Administration Building schon früh artikulierte. Nach seinem Besuch in Buffalo 1924 sagte der deutsche Architekt Erich Mendelsohn, das Larkin Administration Building sei ein "spontaner Wurf aus früh gefühlter Entwicklungslogik, zu früh für dieses unentwegt ungeebnete Kolonialland, aber früh genug, um eine ganze Generation aufzuwecken, zu belehren und weiter zu treiben."4
Innen verhält es sich wie außen.
"Im Gebäude gibt es nur einen Raum", bemerkte H. P. Berlage, was nicht ganz korrekt ist, aber mit Sicherheit den Eindruck widerspiegelt, den das große rechteckige Atrium hinterlässt, das sich über fünf Etagen erhebt und von offenen Zwischengeschossen umschlossen wird. Gekrönt wird das Ganze von einer Glasdecke, durch die Tageslicht in den Innenraum fällt. Heute mag solch ein Raum bekannt sein, damals war er dies keineswegs. Der Vergleich mit einer Kathedrale liegt nahe, aber ebenso der mit der Turbinenhalle eines Kraftwerks. In vielerlei Hinsicht sollte die Architektur die Larkin Company voranbringen, oder wie Frank Lloyd Wright sagte: " Das Gebäude wurde gebaut, um den kommerziellen Motor der Larkin Company in hellen, gut durchlüfteten Räumen unterzubringen."6
Diese wurden für die Tausenden von Bestellungen konzipiert, die Larkin täglich bearbeitete. Die Abläufe wurden aber nicht nur durch die Räumlichkeiten und interne Organisation unterstützt, zum Beispiel dadurch, dass die ManagerInnen direkt neben den SachbearbeiterInnen saßen, ein nicht hierarchisches Konzept, das heute gleichermaßen als demokratisch/fortschrittlich und totalitär/unterdrückend wahrgenommen wird. Vielmehr ging es um technische Innovationen: Das gesamte Gebäude war von Telekommunikationsleitungen durchzogen, was bedeutete, dass "jede/r MitarbeiterIn per Knopfdruck mit jeder/m MitarbeiterIn verbunden werden konnte"7. Auch Frank Lloyd Wrights Überlegungen zum Mobiliar wirkten unterstützend, der der Ansicht war, die Anordnung der Schreibtisch und das Ablagesystem sei so ordentlich und organisiert wie eine disziplinierte Armee.8 Dies wurde, wie Zeynep Çelik Alexander treffend erklärt, durch drei verschiedene von Lloyd Wright entwickelte Schreibtische erreicht: einen für SachbearbeiterInnen, einen für leitende Angestellte und einen für die Führungsebene. Die Tische waren für unterschiedliche Tätigkeiten konzipiert, regulierten das Verhalten der MitarbeiterInnen und "beeinflussten behutsam die Geschwindigkeit der Arbeitsabläufe."9 Der Schreibtisch war in diesem Prozess nicht nur Arbeitsplatz, sondern auch Werkzeug.
Außerdem entwarf Lloyd Wright Schreibtische, auf deren eines Tischbein eine drehbare Sitzschale ohne Beine montiert wurde, um das Putzen zu erleichtern. Aus dem gleichen Grund wurden die Toiletten direkt in die Wand und ohne Bodenkontakt eingebaut, was damals ebenfalls als Innovation galt. Weitere Schreibtische bestanden aus Eisen, Stahl und Magnesit und wurden wie fast alle Möbel von Van Dorn Iron Works in Cleveland, Ohio, entworfen.
Sowohl diese Möbel als auch das gesamte Gebäude mit seinem Magnesitboden, ganz ohne Trennwände aus Holz und bis auf die Lederpolster auch ohne Textilien, waren feuerfest. Oder wie Charles E. Illsley sagte: "Vom Keller bis zum Dach, von Wand zu Wand, vom einen Ende zum anderen suchen BesucherInnen vergeblich nach entflammbaren Materialien, abgesehen vom Briefpapier und der Sommerkleidung der weiblichen Angestellten."10 Die männlichen Angestellten bevorzugten vermutlich eiserne Kopfbedeckungen im Sommer und Winter.
Diese Überlegung ist natürlich nicht unwichtig, da es um die Büroräume eines Versandunternehmens geht, dessen KundInnendaten und Details seines Netzwerks aus sogenannten Larkin Club Hostessen auf Papier erfasst wurden. Von Bedeutung war hier ein neuartiges Karteikartensystem, ein Kundenmanagementsystem, das 1885 von Larkins Corporate Secretary Darwin D. Martin entwickelt wurde, für das Wachstum und den Erfolg des Unternehmens von zentraler Bedeutung war und das im neuen Gebäude von Lloyd Wright sicher in feuerfesten, in die Wände eingelassenen Metall-Aktenschränken untergebracht war. So ähnlich, wie heutige Online-Händler ihre KundInnendaten hinter Firewalls verbergen.
Neben anderen Möbeln und Einrichtungsgegenständen, darunter mindestens ein Holzstuhl, dessen schräge Rückenlehne aus massiven Brettern gleichermaßen verwirrt und erfreut, und der wohl ein Jahrzehnt später von Gerrit T. Rietveld aufgegriffen wurde, verfügte das Larkin Gebäude auch über eine direkt an den Schreibtischen angebrachte Beleuchtung. Wie so vieles im Larkin Building ist dieses Konzept heute gängig, war im Jahr 1906 allerdings eine Neuheit. Außerdem gab es einen mobilen Metallstuhl, der in erster Linie von den Führungskräften des Unternehmens genutzt wurde, und der genauso "ungeschickt", "hässlich" und "ein Monster der Unbeholfenheit" ist, wie laut Russell Sturgis das Äußere des Gebäudes. Doch wie wir alle wissen, ist die Versachlichung von Möbeln durch eine Bewertung ihrer äußeren Form abscheulich, es kommt darauf an, was das Werk verkörpert, welche Ideale es enthält, was es repräsentiert, und wie Mathias Remmele anmerkt, überwindet der Larkin Stuhl "unmissverständlich den damals noch vorherrschenden Historismus. Die Metallmöbel für das Larkin Building markieren somit den Übergang zur Moderne in der Designgeschichte".11
Dies gilt aber nicht nur für die Metallmöbel des Larkin Administration Buildings, sondern für das gesamte Gebäude.
Aufmerksamen LeserInnen wird aufgefallen sein, dass das Larkin Building schon einmal Thema eines Blogposts war. 1950 wurde es unnötigerweise abgerissen. Dank der vielen Fotos, die Frank Lloyd Wright und die Larkin Soap Company in Auftrag gaben, seiner stetigen Präsenz in damaligen Artikeln zum Thema Architektur und der umfassenden Dokumentation bleibt es weiterhin präsent und informativ.
Und dank Frank Lloyd Trust ist seit 2018 ein virtueller Rundgang möglich. Die Tour zeigt das Gebäude von außen und von innen und ermöglicht anhand dieses Meilensteins in der Gestaltung von Bürogebäuden ein besseres Verständnis der Architektur des 20. Jahrhunderts.