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Während seiner diversen Leben und Karrieren war Isamu Noguchi als Künstler, Bühnenbildner, Gartendesigner, Möbeldesigner, Lichtdesigner, etc. aktiv. Aber so unterschiedlich diese Bereiche auch sind, blieb er doch immer Bildhauer. Sein bekanntestes Werk sind unbestreitbar die Akari Leuchten. Vor den Akari Light Sculptures entstand jedoch eine andere Leuchte, die vielleicht viel besser zu Isamu Noguchi und in den Kontext seiner Kunst passt.
Isamu Noguchi wurde am 17. November 1904 in Los Angeles geboren und verbrachte seine ersten Lebensjahre in Kalifornien, bevor er 1907 mit seiner Mutter nach Japan zog. 1918 kehrte er allein nach Amerika zurück, um die Interlaken School in Rolling Prairie, Indiana, zu besuchen. Einen Großteil der folgenden Jahrzehnte bis zu seinem Tod 1988 verbrachte er damit, sich zwischen Japan und den USA zu bewegen, und das nicht nur physisch, sondern auch in metaphysischer und kultureller Hinsicht.
Wir haben uns in einem früheren Beitrag kurz mit Noguchis Biografie befasst. Hier soll es darum gehen einen Aspekt seiner Biografie zu beleuchten.
Nina Murayama zufolge war Isamu Noguchis erster Versuch mit Licht zu arbeiten das Power House von 1928, "eine Skulptur aus Neonröhren", "inspiriert von der modernistischen, futuristischen Begeisterung für den technologischen Fortschritt"1. Heute ist vom Power House nur noch ein Zinkmodell übrig geblieben. Aber auch dieses Modell verdeutlicht die unverkennbare Absicht aus Licht eine Leuchte zu machen und die neuen technologischen und materiellen Möglichkeiten zu nutzen. Das Modell weist, wenn auch sehr versteckt, unverkennbare Parallelen zu Wilhelm Wagenfelds und Carl Jakob Juckers Bauhaus-Leuchte von 1923 auf. Ob Isamu Noguchi diese Arbeit im Jahr 1928 gekannt hat, ist fraglich, aber nicht unmöglich.
Dass Isamu Noguchi mit der aufkommenden Neonlichttechnologie experimentieren wollte, passt sehr gut zu seinem Interesse an Materialien. Noguchis Oeuvre ist zwar sehr stark der direkten Bildhauerei verschrieben, gerade Arbeiten wie das Power House zeigen aber, wie frei, leicht und regelmäßig er sich zwischen unterschiedlichen Materialien bewegte. Er selbst bemerkte einmal, alles sei Skulptur. "Jedes Material, jede Idee, die ungehindert in den Raum geworfen wird, betrachtete ich als Skulptur. Ich arbeitete mit Treibholz, Knochen, Papier, Schnur, Stoff, Schale, Draht, Holz und Plastik; und mit Magnesit, das ich auf der Weltausstellung zu verwenden gelernt habe: Da es sich dünn mit Sackleinenverstärkung verarbeiten lässt, ermöglicht es schalenartige, hohle Strukturen. "2
Zur Begegnung mit dem Material Magnesit kam es vermutlich auf der Weltausstellung 1933 in Chicago. Im selben Jahr erschien Noguchis erstes Magnesitwerk mit dem Titel Musical Weather Vane. Ein Objekt mit Kanälen und Vertiefungen, das durch eine Brise, ähnlich einer äolischen Harfe, zum klingen gebracht werden konnte. Dieses Werk inspirierte Noguchi offensichtlich zu neuen Ideen: Später schrieb er, er habe dank der dünnen Strukturen, die er mit Magnesit erreichen konnte, über eine Skulptur nachgedacht, in der die Lichtquelle integral eingebettet sein würde.3 Diese Skulptur sollte auch entstehen, sie erforderte aber offensichtlich den Input von zwei wichtigen Momenten in Noguchis Biografie: Seine Zusammenarbeit mit der Choreografin Martha Graham und den Zweiten Weltkrieg.
1935 schuf Isamu Noguchi sein erstes Bühnenbild für die Martha Graham Dance Company zu Grahams Solostück Frontier. Das war das erste von über 20 Bühnenbildern, die in einer rund 30-jährigen Partnerschaft entstehen sollten. Diese Erfahrung sollte Noguchis Verständnis von Größe, von den Beziehungen zwischen Objekten und Raum und von Skulptur deutlich beeinflussen. Oder wie er selbst meinte: "Das Volumen der Bühne und wie die Dinge in ihr und mit den sich bewegenden Menschen zusammenhingen, war ein skulpturales Problem. Ich interessierte mich für das Verhältnis von Bewegung und Raum - wie sie in Beziehung zueinander stehen. Einfach eine Skulptur zu machen und sie hinzustellen bedeutet mir nichts. Aber wenn eine Skulptur zu einem so integralen Bestandteil wird, dass man sich ihrer als Skulptur nicht mehr bewusst ist, dann finde ich sie gut."4
Diese einflussreiche Erfahrung wurde jedoch kurz nach dem sie begonnen hatte wieder unterbrochen.
Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour im Dezember 1941 und dem Eintritt Japans in den Zweiten Weltkrieg wurden alle in Kalifornien lebenden Japaner und Amerikaner japanischer Abstammung in Internierungslager gebracht. Als Einwohner von New York war Noguchi dazu nicht verpflichtet. Er ging jedoch freiwillig ins Poston War Relocation Center in Arizona, teils aus Solidarität, teils aus der idealistischen Absicht heraus, durch die Organisation künstlerischer Workshops und durch Hilfe bei der Gestaltung des Lagers zur Verbesserung der Bedingungen für die LagerbewohnerInnen beizutragen. Eine Entscheidung, die er allerdings schnell bedauern sollte: Die Realität im Lager stand in krassem Gegensatz zu dem, was er sich von seiner Entscheidung erhofft hatte. Eine frustrierende, demoralisierende Erfahrung für Noguchi, die jedoch auch zum Keim für die Kreativität Noguchis wurde: "Während ich mein dunkles, gefängnisähnliches Leben im Relocation Center von Poston führte", erinnert er sich später, "hatte ich eine nie endende Sehnsucht nach einer helleren Welt. Von da an dachte ich darüber nach, eine Skulptur mit einer steuerbaren Lichtquelle zu schaffen. Mit den Akari Leuchten wollte ich die dunkle Welt befreien."5
Im November 1942 wurde Noguchis Bitte, aus dem Relocation Center Poston entlassen zu werden, schließlich stattgegeben, und er kehrte nach New York zurück, wo er ein Studio in der MacDougal Alley an der Grenze zwischen Greenwich Village und SoHo mietete, "eine Oase, perfekt in jeder Hinsicht...", wie er sich später erinnerte. Regelmäßig bemerkte er, dass er dort am kreativsten war. 1943 begann er schließlich, seine "Sehnsucht nach einer helleren Welt" in die Realität umzusetzen, und entwickelte, was seine Lunar Collection werden sollte, eine Reihe von abstrakten Objekten aus Magnesit, die mit integrierten Lichtquellen versehen waren.
Während die Lunars als Kunstwerke zu verstehen sind, schenkte Noguchi seiner Schwester, der Tänzerin Ailes Gilmour, zu Weihnachten 1943 ein Objekt, das zweifellos ein Designobjekt war: Eine zylindrische, von drei Holzbeinen getragene Leuchte. Seine Beweggründe lassen sich nur erahnen. In jedem Fall hat er sie gestaltet. Und betrachtet man sie im weiteren Kontext von Isamu Noguchis Leben und Werk, dann hat die Leuchte eine gewisse Unvermeidbarkeit. 1936 fragte er in einem Text: "Was hat es mit der Bildhauerei auf sich?", und erklärt: "Abschließend bin ich der Meinung, dass Bildhauer wie Maler sich nicht ewig mit reiner Kunst oder bedeutungsvoller Kunst beschäftigen sollten, sondern ihr Wissen über Form und Materie in die alltäglichen, brauchbaren Entwürfe von Industrie und Handel einbringen sollten. "6
Das ist nur eine von mehreren ähnlichen Äußerungen Noguchis in den 1930er und 40er Jahren. Worte, denen Noguchi Taten folgen ließ: 1932 schuf Noguchi sein erstes Konsumprodukt, die sogenannte Hawkeye Küchenuhr/Zeitschaltuhr, 1937 folgte die Radio Nurse, in vielerlei Hinsicht das erste Babyphone der Welt, oder laut Friedrich von Borries der Beginn des Überwachungsstaates. Aus dem Jahr 1939 stammt ein einmaliger Tisch für den Leiter des MoMA, Anson Conger Goodyear. Dabei handelt es sich um einen von mehreren Tischentwürfen, die Noguchi im Laufe der 1940er Jahre realisierte. Der bekannteste ist unbestreitbar der gleichnamige Noguchi Coffee Table für Herman Miller.
1943 begann Noguchi dann nicht nur mit seiner Lunar Collection, sondern schuf auch die Skulptur Monument to Heroes, ein Werk, das von Thomas B. Hess sehr bildhaft beschrieben wurde: "Hier, gefangen in einem Papierzylinder, von innen beleuchtet, ragen Knochen und geschwungene Formen aus Schlitzen und Kreisen hervor. Es ist ein Denkmal der Verzweiflung und des Gefängnisses, ein Scheiterhaufen aus zerbrochenen Fragmenten"7 . Die Leuchte, die er für seine Schwester Ailes schuf, mag nichts mit den Knochen und der Verzweiflung seiner Arbeit Monument to Heroes gemein haben; es ist jedoch naheliegend, eine konzeptuelle Linie von der Lunars Collection zu Monument to Heroes und zur Leuchte für Ailes herzustellen, handelt es sich doch jedes Mal um den nächsten Schritt.
Ailes' Lampe war mit einem Aluminiumzylinder8 ausgestattet. Noguchi erklärte aber: "Ich habe einige Varianten für Freunde mit Plastik oder Papier gemacht"9 . Dabei handelt es sich in vielerlei Hinsicht um das logischere Material: Aluminium ist nicht besonders lichtdurchlässig, ein zylindrischer Aluminium-Leuchtenschirm deshalb nur bedingt brauchbar. Papier und Kunststoff sind da natürlich viel besser geeignet. Zudem knüpft das Papier an Noguchis eigene Erinnerungen an die Shoji-Papierwände aus seiner Kindheit in Japan an, oder wie er 1950 bemerkte: "Ein Fenster muss nicht nur ein Fenster sein. Wenn man sich ein Fenster als eine Lichtwand vorstellt, dann kann man die konventionelle Idee eines Fensters eliminieren, und nun wird es zu einer Wand, die auch eine Lichtquelle ist".10
Auch bei der zylindrischen Leuchte entsteht diese Lichtwand, die die konventionelle Idee einer Leuchte übersteigt. Statt einer Leuchte handelt es sich um eine "Skulptur, in die die Lichtquelle integral eingebettet" ist, eine Skulptur im Sinne eines alltäglichen, brauchbaren Entwurfs der Industrie und des Handels. Und vor allem um ein Objekt, das ganz in Noguchis Sinne "nicht mehr als Skulptur wahrgenommen" wird.
Der Legende nach sah Hans Knoll die Leuchte und erkundigte sich, ob es möglich sei, sie kommerziell zu produzieren. Noguchi stimmte zu und 1947 brachte Knoll Associates die Tischleuchte Modell 9 von Isamu Noguchi heraus. Angepasst an die industrielle Produktion sind die drei Stäbe der Knoll Leuchte viel einfacher gehalten - ohne die abgerundeten Endstücke des Originals von 1943/44. Zudem wurde der PVC-Schirm mit Fiberglas verstärkt, um seine Haltbarkeit zu erhöhen, aber die vielleicht wichtigste Änderung war die Größe: Die ursprüngliche Version für Ailes war etwa 93 cm hoch und damit ein Objekt, das als eigenständiger Teil der Szenographie eines Raumes auf dem Boden stehen sollte, die Knoll Version ist mit nur 40 cm sehr viel kleiner und damit, wie der Name schon sagt, eine Tischleuchte.
Knoll produzierte die Noguchi Leuchte noch bis 1954. Dann wurde sie wegen der hohen Anzahl von Plagiaten, sowohl des Originals als auch einer späteren quadratischen Version, zurückgezogen. Ein Beweis für die Attraktivität und den Erfolg der Leuchten, denn Fälscher kopieren nur selten das, was sich nicht verkauft. Darüber hinaus könnte man mutmaßen, dass, da die ersten Akaris 1953 in Amerika zum Verkauf angeboten wurden, die viel einfachere Leuchte Modell 9 etwas weniger interessant wirkte. Möglicherweise hat sie Knoll auch deshalb still und leise vom Markt zurückgezogen. Die eigentliche Frage ist natürlich, warum Knoll als etablierter Leuchtenhersteller von Isamu Noguchi die Akari nicht übernommen hat?
Die Akari Kollektion kann nicht als direkte Fortsetzung der Tischleuchte Modell 9 betrachtet werden, stehen die Akari Leuchten doch sehr für sich. Sie hängen eng mit Noguchis Besuchen in Japan in den frühen 1950er Jahren, mit seinen Überlegungen zu seinem japanisch-amerikanischen Erbe und vor allem den Erfahrungen zusammen, die er bei seinem Besuch in Hiroshima gemacht hat. Außerdem werden sie aus japanischem Shoji-Papier und nicht aus dem amerikanischeren glasfaserverstärkten PVC hergestellt. Trotz allem aber sind beide vor demselben Hintergrund entstanden - den Entwürfen liegen sehr ähnliche Überlegungen zugrunde. Überlegungen, die bei der Tischleuchte Modell 9 erstmals zur Reife gelangten.
Exemplare der Tischleuchte Modell 9 finden sich regelmäßig in den Katalogen von Auktionshäusern, sodass sie als Werk nicht so gänzlich verloren ist, wie es auf einige der in dieser Serie vorgestellten Objekte zutrifft. Überstrahlt wurde von der Akari Leuchte jedoch, was uns diese einfache, unscheinbare, durch und durch charmante Modell 9 Leuchte über Isamu Noguchi, seine Herangehensweise und seine Arbeitsauffassung lehrt. Geht dieses Wissen verloren, dann geht auch ein Verständnis der Tischleuchte Modell 9 und der Akari als ein skulpturales Werk der Bildhauerei verloren.
Und wie bereits erwähnt, verstand sich Isamu Noguchi während seiner zahlreichen Leben und Karrieren immer als Bildhauer.
1Nina Murayama, Toward (re)defining Akari in Bonnie Rychlak [Ed.], Design: Isamu Noguchi and Isamu Kenmochi, Five Ties Publishing, New York 2007
2Isamu Noguchi, A sculptor's world, Harper & Row, New York, 1968
3ibid
4Isamu Noguchi in conversation with Paul Cummings for the Archives of American Art, Nov. 7 - Dec. 26 1973 https://www.aaa.si.edu/collections/interviews/oral-history-interview-isamu-noguchi-11906 (accessed 09.04.2020)
5Isamu Noguchi, Akari, Geijutsu shinchō, 5, August 1954, quoted in Masayo Duus, The life of Isamu Noguchi: Journey without borders, Princeton University Press, Princeton, 2004
6Isamu Noguchi, What's the Matter with Sculpture?, Art Front, 16, (September–October 1936), 13–14
7Thomas B Hess, Isamu Noguchi '46 ARTnews Vol 45 Number 7 September 1946
8We are unable to find an image of the aluminium lamp, and are thus a little unsure how it worked. The current situation not aiding our research. However the Noguchi Archive have an image of a 93 cm tall Three-Legged Cylinder Lamp with a PVC shade that originates from Ailes Gilmour Spinden, and which presumably is one of the plastic versions mentioned. And which shows the rounded ends of the legs/supports
9Isamu Noguchi, A sculptor's world, Harper & Row, New York, 1968
10.