Auch wenn der Beitritt zur "Frauenabteilung" - der Weberei - für viele Bauhäuslerinnen nicht gerade ein aktiver Wunsch war, sondern eher eine Entscheidung nach dem Motto "Nimm, was du kriegen kannst", ist es keinesfalls so, dass die Werkstatt unfreiwillige, lieblose Arbeiten produziert hätte, bzw. die zweite Geige am Bauhaus spielte. Weit gefehlt! Die Qualität und Relevanz der in der Bauhaus-Weberei entstandenen Arbeiten wird in vielerlei Hinsicht dadurch bestätigt, dass es sich bei der Weberei um eine der produktivsten und kommerziell erfolgreichsten Bauhaus-Werkstätten handelt.
Die Ausstellung "Bauhaus. Textil und Grafik" in den Kunstsammlungen Chemnitz beschäftigt sich mit der Arbeit in den Bauhaus-Webereien, einigen Hauptakteuren der Institution und ihrem Platz im breiteren Kontext des Textildesigns aus der Zwischenkriegszeit. Dabei werden, wenn auch indirekt, die Geschlechterunterschiede, Ungleichheiten und Vorurteile am Bauhaus sehr deutlich.
"Sind gewebte Stoffe eine Herausforderung für den kreativen Willen des Menschen?", fragte Gunta Stölzl, die (zukünftige) Leiterin der Weberei des Bauhaus' Dessau 1926.
"Ja", antwortete sie mit Nachdruck, denn "der Webstoff ist ein ästhetisches Ganzes - eine Komposition aus Form, Farbe und Material in einer Einheit".1
Auf einer grundlegenden Ebene untersucht "Bauhaus. Textil und Grafik", wie sich dieses Verständnis des Wechselspiels von Form, Farbe und Material in Einheit am Bauhaus in Weimar und Dessau entwickelte und zum Ausdruck kam. Dabei stehen sowohl Werke von BauhäuslernInnen, wie unter anderem Ida Kerkovius, Otti Berger oder Benita Koch-Otte als auch die breite Palette der in den Bauhaus-Webereien produzierten Textilien im Vordergrund. Gunta Stölzl unterteilte diese Textilien in vier Kategorien: Decken/Gardinen, Teppiche, Möbelstoffe und Gobelins/Wandbehänge.2
Das hilft dabei, die Prozesse und das konzeptionelle Denken, die einem Großteil der Arbeiten zugrunde liegen, detailliert zu analysieren. Es handelt sich bei den ausgestellten Werken nicht nur um Muster, sondern um Textilien, die bewussten künstlerischen Handlungen und Entscheidungen folgen, die auf dem Verständnis beruhen, dass ein Textil, wie Gunta Stölzl argumentiert, zwar "immer ein Objekt des Dienstes ist", aber eben auch ein Objekt, das nicht nur durch seinen Zweck, sondern auch durch seine Zusammensetzung definiert ist - einschließlich der Eigenschaften des Materials, der Art des Gewebes, des Musters und "der Farbe, die durch Glanz oder Trübung verstärkt oder geschwächt wird".3
Und trotz des Alters der Werke unterstreicht die reduzierte Beleuchtung in den Ausstellungsräumen die Zerbrechlichkeit und die Farben der Textilien, ob glänzend oder stumpf, perfekt. Aber auch die Funktion der Textilien ist heute noch sehr präsent, kann erforscht, hinterfragt und bewundert werden, ebenso wie Formen und Materialien. So wird man einerseits daran erinnert, wie sehr die Werke der Zwischenkriegszeit zeitgenössisches Textildesign beeinflussen, und zum anderen, dass - auch wenn vieles, was in Chemnitz gezeigt wird, für heutige Augen völlig unscheinbar ist - es in der damaligen Zeit eine kleine Revolution war. Das kommt vielleicht am besten bei einem Flickenteppich von Helene Schmidt-Nonné aus der Mitte der 1920er Jahre zum Ausdruck, der nämlich, würde man ihn heute in den Regalen des berühmten schwedischen Möbelkonzerns finden, absolut nicht auffallen würde. Ein Teppich zudem, dessen zeitgenössischer Charakter und Relevanz dadurch erhöht wird, dass er im Besitz von Marianne Brandt war, die ihn, wie sie bemerkte, schweren Herzens 1976 im Zusammenhang mit dem gesundheitlich bedingten Umzug aus ihrem eigenen Haus in ein Pflegeheim verkauften musste.
"Bauhaus. Textil und Grafik" umfasst auch einen kurzen Ausflug zur Debatte um Maschinen- und Handarbeit der Zwischenkriegszeit. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass die vorgestellten Bauhäuslerinnen zwar keine Ludditen, aber nicht abgeneigt waren, zumindest einen philosophischen Hammer zu schwingen, wenn es um die Verteidigung der Handarbeit ging. Ein Prozess, von dem man am Bauhaus (allgemein) annahm, das er interessantere Ergebnisse hervorbringt und am besten geeignet ist, Idee und Absicht Ausdruck zu verleihen. Die Bauhäuslerinnen waren aber nicht per se gegen technologischen Fortschritt, was durch die Verwendung, das Experimentieren mit neuen Materialien deutlich wird. Dazu gehört beispielsweise ein von der Handweberei Hohenhagen hergestelltes Gewebe mit Baykogarn, einer metallisch beschichteten Baumwolle - in diesem Fall vergoldeter Baumwolle.
Trotz der Eindeutigkeit des Titels "Bauhaus. Textil und Grafik" sind nicht nur das Bauhaus, sondern auch Werke von Institutionen und ProtagonistInnen, die konzeptionell mit dem Bauhaus verbunden sind, vertreten. Dazu gehören die Burg Giebichenstein Halle oder eben besagte Handweberei Hohenhagen, als auch Kooperationspartner des Bauhaus' und Hersteller der Bauhausentwürfe, wie Polytex Berlin oder die Deutschen Werkstätten Dresden. Hinzu kommen ausgewählte ProtagonistInnen der "Post-Bauhaus-Zeit", so zum Beispiel Else Mögelin in ihrer Werkstatt in Gildenhall bei Berlin oder Gunta Stölzl in ihrer Flora-Weberei in Zürich.
Ein weiteres Highlight ist neben den Arbeiten selbst ein Bauhaus-Signet aus Aluminium, das auf einigen wenigen Stücken zu finden ist. Es wurde als Qualitätsgarant und Branding gleichermaßen verwendet und bestätigte, dass das Bauhaus sowohl kommerzielle als auch pädagogische Ambitionen hatte. Produkte mit dem Bauhaus-Signet wurden so auch keinem einzelnen Künstler zugeschrieben, sondern waren einfach "Bauhaus". In Anbetracht der Kreativität, für die das Bauhaus so berühmt ist, wirkt das Signet ein wenig fad und uninspiriert, wenn auch nicht uninteressant.
Neben Textilien präsentiert "Bauhaus. Textil und Grafik" natürlich auch Grafiken.
Und auch wenn es eine kreative Verbindung zwischen beiden gibt - man denke nur an den Einfluss, den Gleichgesinnte wie Paul Klee oder Wassily Kandinsky auf die Farben, Muster, Formen und Ausrichtungen der Textildesigns und damit auf das Zusammenspiel von Bauhaus 2D und Bauhaus 3D hatten -, ist die wichtigste Verbindung zwischen "Textil und Grafik" die Sammlung der Kunstsammlungen selbst. Das Museum nutzt nämlich das Jubiläum des Bauhaus' Weimar, um seine Bauhaus-Sammlung zu präsentieren. Die Ausstellung umfasst ausschließlich Objekte aus der Sammlung und unterstreicht damit die Breite der Bauhaus-Sammlung der Institution, genauer gesagt der Sammlung Bauhaus & Freunde.
Wie die Präsentation der Textilien, gliedert sich auch die Präsentation der Grafiken in Werke, die im direkten Zusammenhang mit dem Bauhaus entstanden sind, darunter Lyonel Feiningers Dom-Holzschnitt, der auf dem Titelblatt von Gropius' Bauhaus-Manifest von 1919 zu sehen war, und Werke, die entweder von "Post-Bauhäuslern" oder von konzeptionell mit der Schule verbundenen KünstlerInnen geschaffen wurden, darunter Werke von Willi Baumeister, Kurt Schwitters, Alexej von Jawlensky und zahlreiche Seiten aus der 1921 von Walter Gropius organisierten Publikation "Neue Europäische Grafik. Drittes Portfolio."
Aber am wichtigsten ist vielleicht, dass der Übergang von den Textilien zu den Grafiken nicht nur einer von 3D zu 2D, sondern auch einer von weiblicher Domäne zu männlicher Domäne ist.
Unter den TextildesignerInnen findet sich nur ein Mann, Sigmund von Weech, der zudem kein Bauhäusler war, dessen Werke aber im Kontext des Bauhaus' sehr gut zu verstehen sind; und es gibt eine Frau unter den GrafikerInnen, Jacoba van Heemskerck, die auch keine Bauhäuslerin, aber in der oben genannten Publikation "Neue Europäische Grafik" vertreten war. Ansonsten macht die geschlechtsspezifische Diskrepanz zwischen TextildesignerInnen und GrafikerInnen die klare Geschlechterverteilung am Bauhaus unübersehbar.
Ja, "Bauhaus. Textil und Grafik" zeigt Werke von BauhäuslerInnen und nicht BauhäuslerInnen und auch Werke, die am Bauhaus und anderenorts entstanden sind - keine "reine" Bauhausausstellung also. Und ja, die Ausstellung basiert ausschließlich auf der Sammlung einer Institution und nicht auf einer wissenschaftlichen Bestandsaufnahme der im Bauhaus Weimar und Dessau entstandenen Werke. Man könnte also argumentieren, dass wir uns mit einer so kühnen Aussage ein paar Freiheiten nehmen; aber die klare Trennung von Frau und Mann bei den UrheberInnen von Textilien und Grafiken spiegelt wider, was am Bauhaus Realität war.
Eine Realität, in der Studentinnen in den Bereichen arbeiteten, in denen man sie arbeiten ließ: Frauen woben, arbeiteten mit Keramik oder banden Bücher. Und das lag nicht nur an der Einstellung eines Walter Gropius - "wir sind grundsätzlich gegen die Ausbildung von Architektinnen" oder eines Oskar Schlemmers - "wo es Wolle gibt, gibt es eine Frau", sondern auch an den Bauhäuslerinnen selbst.
"Die künstlerisch arbeitende Frau", bemerkte Helene Schmidt-Nonné 1926, "beschäftigt sich in erster Linie und sehr erfolgreich mit Oberflächen. Dies erklärt sich aus ihrem Mangel an räumlicher Vorstellungskraft, die dem Mann eigen ist"4 . Sie spiegelt damit die Meinung von Gunta Stölzl wider, dass "das Spiel mit Form und Farbe, erhöhte materielle Sensibilität, starkes Einfühlungsvermögen und Anpassungsfähigkeit, ein eher rhythmisches als logisches Denken allgemeine Merkmale der weiblichen Figur sind"5. Stölzl stellt auch fest, dass während "in den frühen Tagen das Bauhausmädchen jede Werkstatt ausprobiert hat: Schreinerei, Wandmalerei, Metall, Keramik, Buchbinderei", schnell klar wurde, dass "die schwere Ebene, das Hartmetall, das Malen von Wänden, für einige nicht die Tätigkeit war, die ihren geistigen und körperlichen Kräften entsprach."6
Für uns kommt die Problematik der Geschlechtertrennung in der Präsentation ein wenig zu kurz. In der Begleitpublikation stellt der Direktor der Kunstsammlungen, Frédéric Bußmann, zwar fest, dass Frauen in die Weberei "verbannt" wurden und dass die in der Ausstellung gezeigten Grafiken sehr männlich dominiert sind, aber in der Ausstellung selbst wird dies nicht thematisiert. Wenn die Ausstellung die BesucherInnen informiert, dass Gunta Stölzl 1927 die erste und einzige Bauhaus-Jungmeisterin wurde, müssten die BesucherInnen eigentlich sofort verstehen, dass es sich im übertragenen Sinn um eine Frau handelt, die in der katholischen Kirche zur Priesterin geweiht wird.
Uns ist absolut klar, dass die Diskussion über Geschlechterungleichheit am Bauhaus ein großes Thema ist und nicht schnell erklärt werden kann oder sollte, sondern dass diese Diskussion eine vollständige, nüchterne Analyse verdient. Wir glauben aber, dass, wenn man eine Ausstellung wie "Bauhaus, Textil und Grafik" präsentiert, die Geschlechterungleichheit zwischen Textildesignerinnen und Grafikern am Bauhaus Teil eines Diskurses sein sollte.
Den Kunstsammlungen gelingt es auch, die Chemnitzerin Marianne Brandt in die Ausstellung zu befördern. Das soll keine Beschwerde sein - alle, die mit diesem Blog vertraut sind, werden wissen, wie sehr wir Marianne Brandt schätzen. Die zehn präsentierten Fotografien haben vielleicht nur wenig mit den Textilien zu tun, erinnern so aber daran, dass es am Bauhaus Frauen gab, die nicht gewebt haben, dass es also möglich war, wenn auch selten, eine Verbannung in die Frauenabteilung zu verhindern. Außerdem bieten sie eine sehr angenehme Einführung in das abstrakte, technische, experimentelle und kreative Denken von Marianne Brandt und sorgen so für einen schönen Kontrapunkt zum Schwerpunkt der Ausstellung.
Ein weiterer Kontrapunkt ist die parallel verlaufende angrenzende Präsentation von Werken des Sächsischen Künstlers Karl-Heinz Adler. Er ist selbst kein Bauhäusler, sondern ein Künstler, dessen Werk typisch für die Entwicklungen der Zwischenkriegszeit ist, und das es einem so ermöglicht, zu den Textilien zurückzukehren und sie neu zu betrachten.
"Bauhaus. Textil und Grafik" bietet einen einnehmenden, zugänglichen, kohärenten und informativen Überblick über die Bauhaus-Webereien, sowohl direkt als auch im weiteren Kontext, hätte aber durchaus einen kritischeren Blick auf die Realität werfen können, in der an der Institution gelehrt und studiert wurde. Anhaltspunkte gibt es allerdings genug, um sich später auf eigene Faust weiter zu informieren. Wozu wir ganz klar raten würden!
"Bauhaus. Textil und Grafik" vermittelt ein gutes Verständnis der in den Bauhaus-Webereien realisierten Werke, der beteiligten Personen, ihrer Beziehungen und Theorien und stellt Qualität und Relevanz dieser Arbeiten heraus. Oder anders gesagt: Als Ausstellung spiegelt "Bauhaus. Textil und Grafik" folgende Behauptung von Gunta Stölzl aus dem Jahr 1931 wider: "Dass wir auf dem richtigen Weg sind, zeigt die Erfahrung: Der kulturelle Einfluss unserer Arbeit auf die Textilindustrie und andere Textilwerkstätten ist heute deutlich sichtbar "7.
Und das ist auch 2019 noch der Fall.
"Bauhaus. Textil und Grafik" läuft in den Kunstsammlungen Chemnitz, Theaterplatz 1, 09111 Chemnitz bis Sonntag, den 4. August.
"Hommage à Karl-Heinz Adler" läuft bis Sonntag, den 11. August.
1Gunta Stölzl Weberei am Bauhaus, Offset, 1926 nachgedruckt in Gunta Stölzl. Weberei am Bauhaus und aus eigener Werkstatt, Bauhaus Archiv, Kupfergraben-Verlag, Berlin 1987
2ibid
3ibid
4Helene Nonné-Schmidt, Das Gebiet der Frau im Bauhaus, Vivos voco, Band V, Edition 8/9 August/September 1926, nachgedruckt als unvollständiger Auszug in Hans Maria Wingler, Das Bauhaus: 1919 - 1933, Weimar, Dessau, Berlin und die Nachfolge in Chicago seit 1937, Rasch Verlag, Bramsche, 1975
5Gunta Stölzl Weberei am Bauhaus, Offset 1926 nachgedruckt in Gunta Stölzl. Weberei am Bauhaus und aus eigener Werkstatt, Bauhaus Archiv, Kupfergraben-Verlag, Berlin 1987
6Gunta Sharon-Stölzl, Die Entwicklung der Bauhausweberei, Bauhaus Dessau 5, 1931, nachgedruckt in Form und Zweck, Ausgabe 3, 1979
7ibid
Alle Details sind unter www.kunstsammlungen-chemnitz.de zu finden.