Wie können wir sicherstellen, dass es für die heutige Bevölkerung ausreichend erschwingliche, gesunde und praktische Unterkünfte gibt? Das ist nicht nur eine Frage unserer heutigen Gesellschaft, sondern auch eine Frage, die seit Ende des 19. Jahrhunderts von Architekten und Stadtplanern gestellt und angegangen wird.
Eine eindeutige, andauernde Antwort auf diese Frage wurde bisher nicht gefunden. Mit der Ausstellung "Die Neue Heimat (1950-1982). Eine sozialdemokratische Utopie und ihre Bauten" beleuchtet das Architekturmuseum der TU München die Geschichte der Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat und ihr Bestreben ausreichend bezahlbare, gesunde und praktische Unterkünfte in Westdeutschland zu gewährleisten und erweitert damit den dazugehörigen zeitgenössischen Diskurs.
Die Geschichte der Neuen Heimat geht auf die Gründung der Gemeinnützigen Kleinwohnungsbaugesellschaft Groß Hamburg, GKB, zurück, die 1933 von den Nazis übernommen wurde und beginnt genau genommen 1952, als die Wohnungsbehörde der Nazizeit an den Deutschen Gewerkschaftsbund, DGB, übergeben bzw. dem DGB zurückgegeben wurde.
Von Hamburg aus expandierte die Neue Heimat schnell durch eine Reihe von Fusionen mit anderen sozialen und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften in beispielsweise Stuttgart, Frankfurt, Westberlin oder Bremen, sodass die Neue Heimat bis 1960 über rund 27 Tochtergesellschaften verfügte, die rund 110.000 Wohnungen verwalteten. Eine Zahl, die sich bis 1963 auf 200.000 verdoppelte. Wie bei der Ausstellungseröffnung betont wurde, waren fast alle dieser Wohnungen als soziale, erschwingliche, städtische Unterkünfte konzipiert - also genau das, woran es uns heute so sehr mangelt.
Während die von der Neuen Heimat verwalteten Wohnung vielleicht sozial waren, waren die Motivationen einiger ihrer Manager ziemlich dubios: Als eine Spiegel-Titelstory am 08.02.1982 einen Finanzskandal innerhalb der Organisation aufdeckte, waren die Tage der Neuen Heimat gezählt. Zudem brachte der Spiegel auch ans Licht, dass die Organisation stark verschuldet war. Im Laufe des folgenden Jahrzehnts wurde die Neue Heimat in lokale Wohnungsbaugesellschaften aufgeteilt.
Die Ausstellung "Die Neue Heimat (1950-1982). Eine sozialdemokratische Utopie und ihre Bauten" ist ein Erklärungsversuch darüber, was die neue Heimat war.
Mehr oder weniger chronologisch angelegt, beginnt "Die Neue Heimat (1950-1982)" mit Projekten aus den frühen 1950er Jahren, vor allem in Hamburg, wie den Gutshöfen Hohnerkamp, Barmbek-Nord oder Veddel, bevor die Ausstellung zum Aufstieg und der Diversifikation des Unternehmens übergeht. Diese Geschichte wird anhand einer Mischung aus Modellen, Fotografien, Plänen, Skizzen und Videointerviews erzählt und gelangt schließlich zum Durchbruch des Skandals und damit zum Ende der Neuen Heimat als Architektur-, Bau- und Stadtplanungsunternehmen.
Die im Wesentlichen durch einzelne Projekte gegliederte Präsentation umfasst insbesondere rund 36 der zahllosen realisierten Neue-Heimat-Projekte und veranschaulicht so die Größe bzw. die Maßstäbe der Neuen Heimat sehr deutlich: Präsentiert werden Projekte, die nicht nur in Westdeutschland, sondern weltweit realisiert wurden, darunter und neben vielen anderen Standorten Frankreich, Ghana, Israel und Kanada. Hinzu kommen zahlreiche Hochhäuser, eine Reihe von Gärten und Altstadterneuerungen, letztere am Beispiel Hamelns; es folgen Einfamilienhäuser, Einkaufszentren, Krankenhäuser etc. ... . Die schiere Anzahl der von der Neuen Heimat realisierten Projekte liegt bei rund 400.000, wobei das größte Einzelprojekt die 24.600 Wohnungen sind, die zwischen 1967 und 1975 als "München Neuperlach" entstanden sind.
Darüber hinaus macht "Die Neue Heimat (1950-1982)" auch sehr deutlich, welche zentrale Rolle Konstruktions- und Bauverfahren bei dem spielen, was wir leichtfertig den Ansatz der Neuen Heimat nennen würden. Zwar handelt es sich bei den Projekten der Neuen Heimat zweifellos um Architektur und Stadtplanung - im Mittelpunkt der Vorhaben stand aber meist nicht das letztendliche Erscheinungsbild, sondern die Effizienz und Zweckmäßigkeit der Bauweise, die Funktionalität der Gebäude und die daraus resultierenden sozialen Verbindungen der Nutzer*Innen. In vielerlei Hinsicht griff die Neue Heimat so viele der Bestrebungen und Ideale aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen direkt wieder auf. Ernst May als Chefplaner der Neuen Heimat von 1954 macht es für alle relativ einfach diese Verbindung herzustellen. Wenn man aber die Masse der präsentierten Neue-Heimat-Projekte in so unmittelbarer Nähe betrachtet, erschließt sich einem ein sehr viel tiefergehender Zusammenhang.
"Die Neue Heimat (1950-1982)" präsentiert zudem kurze Exkurse zum Magazin Neue Heimat, das Bewohner und Fachleute über die Projekte der Neuen Heimat informieren sollte, aber auch Überlegungen zu breiteren Themen hinsichtlich Wohnen, Planen und Gestalten präsentierte. Es handelte sich bei dem Magazin gewissermaßen um ein Medium, mit dem Ernst May während seiner Zeit bei der Wohnungsfürsorgegesellschaft Oberschlesien und dem Neuen Frankfurt Nachrichten und Forschung verbreitete; so zum Beispiel Gärten und Landschaftsgestaltung als wichtige soziale, kulturelle und ökologische Aspekte; und Themen wie die Einrichtung von Innenräumen. Dass das Magazin Neue Heimat diese Themen fast schon erschreckend zeitgemäß präsentierte, zeigen Fotos, die eine Fülle von Werken beispielsweise Verner Pantons, Charles & Ray Eames' oder Eero Saarinens sowie zahlreiche Kartell-Objekte zeigen.
Ebenso wichtig wie der historische Rückblick auf die Neue Heimat ist die Präsentation des Projektes "Großsiedelungen der Neuen Heimat". Die Münchner Fotografinnen Ulrike Myrzik und Manfred Jarisch dokumentierten 14 der größeren Siedlungen der Neuen Heimat - sowohl auf Fotos als auch durch Kommentare und Meinungen von Anwohnern. Wie ein Stadtplanungsprojekt letztendlich altert ist genauso wichtig wie das, was die Planer beabsichtigten. Erwartungsgemäß gibt es zahlreiche negative und positive Kommentare und Meinungen, die die offensichtliche Frage aufwerfen, was die Neue Heimat zu den aktuellen Diskursen über bezahlbares Wohnen beitragen kann.
Als erste architektonische Revision der Neuen Heimat seit ihrem Zusammenbruch ist die Ausstellung "Die Neue Heimat (1950-1982)" zwangsläufig sehr viel breiter als tief und bietet zwar einen sehr erfreulichen, leicht zugänglichen und klar strukturierten Überblick, erreicht aber nicht den Tiefgang, der es erlauben würde ernsthafte zeitgenössische Interpretationen vorzunehmen. Es zeigt sich jedoch sehr deutlich, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach Lektionen gibt, die gelernt werden können.
Dass wir potenziell von der Neuen Heimat lernen können, ist jedoch ein echter Glücksfall, oder vielleicht Schicksal. Wie Ullrich Schwarz, Leiter des Hamburger Architekturarchivs, einer der Mitveranstalter der Ausstellung, erklärt, erhielt das Archiv im Vorfeld der Auflösung der Neuen Heimat einen Hinweis und konnte so Dokumente, Filme und rund 25.000 Fotos retten, ohne die die Rekonstruktion der Neuen Heimat heute nicht möglich gewesen wäre.
Dass es Ende der 1980er Jahre in Hamburg Menschen gegeben haben wird, die sich wünschten, dass die Neue Heimat für immer verschwindet, ist naheliegend; und ist wohl auch der Grund dafür, dass Die Neue Heimat seit ihrem endgültigen Untergang eine vernachlässigte Rolle bei Überlegungen zur zeitgenössischen Stadtplanung gespielt hat. Mit "Die Neue Heimat (1950-1982)" haben die TU München und das Hamburger Architekturarchiv sie wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Es wäre an der Zeit darüber nachzudenken, ob sich Lehren aus der Geschichte der Neuen Heimat für die Bereitstellung erschwinglicher, gesunder und praktischer Wohnungen für unsere heutige Bevölkerung und ihre Bedürfnisse ziehen lassen.
"Die Neue Heimat (1950-1982). Eine sozialdemokratische Utopie und ihre Bauten" läuft bis Sonntag, den 19. Mai im Architekturmuseum der TU München, Pinakothek der Moderne, Barerstraße 40, 80333 München.
Alle Details, darunter Informationen zum Rahmenprogramm, gibt es auf www.architekturmuseum.de.
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