Vertraut man den verbreiteten Darstellungen von Design aus Dänemark zu sehr, könnte man zu dem Schluss kommen, dass Dänen erst Ende der 1940er Jahre mit dem Entwerfen von Objekten begonnen haben - so oft wird man mit dänischen Designbüchern, Ausstellungen und Zeitungs-/Magazin-/Blogartikeln konfrontiert, die ganz selbstverständlich erst mit der Zeit nach dem Krieg beginnen. Mit der Ausstellung "Made in Denmark. Formgestaltung seit 1900" zeigt das Grassi Museum für angewandte Kunst Leipzig, dass Design in Dänemark auch eine Vorkriegs- und nicht nur eine Nachkriegsgeschichte hat.
Im Vorfeld der Ausstellungseröffnung stellte der Direktor des Grassi Museums Leipzig, Dr. Olaf Thormann, die rhetorische Frage, warum eine so umfassende Ausstellung dänischen Designs gerade in Leipzig stattfinden sollte? Eine Frage die wir uns auch gestellt hatten. Schließlich ist Leipzig nicht gerade für seine enge Beziehung zu Dänemark bekannt und gehörte auch nie zur Hanse. Warum also dänisches Design in Leipzig? Die Antwort liegt in der Geschichte des Grassi-Museums, bzw. in der Geschichte seiner Sammlung. Laut Dr. Thormann enthielt die Gründungssammlung des Museums von 1874 Exemplare dänischer Keramik, die auf der Weltausstellung 1873 in Wien erworben wurden. Die erste Jugendstilausstellung des Museums war eine dänische Glanzpfauenausstellung des Herstellers Kähler. Zudem besetzte Dänemark 1927 zwei Räume der gefeierten europäischen Kunstgewerbeausstellung des Grassi-Museums und nahm im Anschluss regelmäßig an der jährlichen Grassimesse teil. Jede Veranstaltung ermöglichte weitere Ankäufe und so konnte das Grassi eine umfangreiche dänische Sammlung und eine enge Verbindung zu Dänemark aufbauen. Dann kam der Krieg, und anschließend, unter der DDR Regierung, wurden Begegnungen und Möglichkeiten des Austauschs mit Dänemark drastisch reduziert. Doch seit der Wiedervereinigung und vor allem in den letzten Jahren hat das Museum seine Beziehungen zu Dänemark wieder intensiviert und verfügt derzeit über eine Sammlung von rund 950 Objekten. Und weil es Sammlungen gibt, die auch genutzt und nicht nur gelagert und entstaubt werden, präsentiert das Grassi-Museum rund 320 seiner Objekte, um die Geschichte des dänischen Designs seit 1900 zu beleuchten. Und das erscheint eben umso logischer und sinnvoller, als die Institution dänisches Design auf diesem Weg begleitet hat.
In sechs, theoretisch sieben Sektionen aufgeteilt nimmt "Made in Denmark" den Besucher mit auf einen chronologischen Rundgang durch 120 Jahre dänische Designkreativität. Trotz des ziemlich eindeutigen "1900" im Ausstellungstitel sind die ältesten Objekte aus dem späten 19. Die jüngsten sind von 2018. Da das Grassi Museum für angewandte Kunst Leipzig ein Museum für angewandte Kunst ist und vor allem angewandte Kunst sammelt, gibt es eine Menge angewandte Kunst zu sehen: Keramik, Silber, Steinzeug, Zinn, Glas, Steingut, Besteck und vieles mehr. Und ja, das bedeutet es sind eine Menge Objekte in Glasvitrinen zu sehen, was immer unerfreulich ist, sich jedoch allzu oft nicht vermeiden lässt. Das Grassi hat diese Herausforderung außerdem sehr sauber gelöst, da es ein intelligentes Ausstellungsformat präsentiert, das die Vitrinen überschaubar bestückt, jedoch genügend Objekte präsentiert, um eine kohärente und informative Erzählung zu gewährleisten, ohne den Besucher zu überfordern. Darüber hinaus präsentiert "Made in Denmark" Möbel, Beleuchtung und Spielzeugdesign, und ja, auch den Abe von Kay Bojesen, der offenbar in jeder Ausstellung über dänisches Design zu sehen sein muss. Das soll keine Beschwerde sein, ganz im Gegenteil, wir sind immer froh über sein zufriedenes Affengrinsen, und in Leipzig hat er außerdem ein paar Freunde, mit denen er sich den Glaskäfig teilen kann. Unterstützt werden die Objekte durch prägnante Wandtexte, die die jeweiligen Kapitel in Szene setzen und kurze Biografien einiger der wichtigsten Protagonisten liefern. Ein sehr wichtiger Teil des Ausstellungskonzepts, da die meisten Namen den meisten Besuchern nicht bekannt sein werden. Und das trotz ihrer Bedeutung für die Geschichte des Designs in Dänemark.
Obwohl man von Poul Hennigsens Leuchte PH Artischocke an der Tür der Ausstellung begrüßt wird, ist an der Ausstellung besonders erfreulich, dass es nicht um die "Danish Designs" geht, die man vielleicht kennt. Vielmehr hat man den Eindruck, dass die Ausstellung diesen aktiv aus dem Weg zu gehen schein, was beispielsweise durch das Fehlen von Verner Pantons allgegenwärtigem und gleichnamigem Kunststoff-Freischwinger ganz deutlich wird. Und wir wissen, dass das Grassi-Museum einen hat. "Made in Denmark" präsentiert stattdessen eine vielfältigere und differenziertere Sicht auf das dänischen Design. Das erste Kapitel ist der relativ unbekannten Welt des dänischen Jugendstils gewidmet, der unter dem Begriff Skønvirke bekannt ist. Der Name wurde wie beim Jugendstil einer Zeitschrift entlehnt, die reformistische Künstler jener Zeit förderte. Die Motivationen dänischer Jugendstilkünstler waren denen von Mackintosh, Behrens, Hoffmann, van de Velde u. a. sehr ähnlich - so auch das Wandzitat von Johan Rohde: "Mein Bestreben war es, die Dekoration dem Architektonischen unterzuordnen und dem Material und dessen Behandlung einen entscheidenden Einfluss auf die Realität zu geben".
Doch wie der dänische Designer und Autor Thomas Dickson festhielt, "hatte der Jugendstil in Dänemark seine eigene Interpretation und Form". Betrachtet man die Objekte aus den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts bekommt man ein Gefühl dafür, was er meint. Zwar gibt es z. B. florale und der Natur nachempfundene Motive, doch werden sie in der Regel wesentlich naturalistischer aufgefasst als das bei den gleichzeitig in Darmstadt, Wien oder Glasgow entstandenen typischen figürlichen Darstellungen der Fall ist. Die Objekte selbst scheinen eher mit klassischen Genres und Formaten verwandt. Nicht auf neoklassizistische Weise, vielmehr handelt es sich um Interpretationen die einem neuen Ansatz folgen und auf neuen Erkenntnissen basieren.
Auch die beiden präsentierten, mit Jugendstil-Möbeln ausgestatteten, Suiten machen eine viel klassischere Figur, als man es erwartet hätte. Wenn man beispielsweise die Werke von Thorvald Bindesbøll und Johan Rohde von 1905 bzw. 1900 mit Werken vergleicht, die etwa zur gleichen Zeit von Künstlern wie Mackintosh, Behrens oder Hoffmann geschaffen wurden, stellt man fest, dass die dänischen Werke, auch wenn es eine formale Reduktion gibt, nicht das gleiche Maß an materieller oder konstruktiver Reduktion vorweisen. Die dänischen Werke erscheinen noch immer sehr präsent, ihnen fehlt die visuelle Leichtigkeit, sie wollen eher wie ihre Vorgänger betrachtet werden.
Vom Art Nouveau ausgehend folgt die Ausstellung dem allseits bekannten Weg des europäischen Designs über Art Déco über Funktionalismus zu postfunktionalistischen Positionen der Nachkriegszeit. Und wie beim Jugendstil handelt es sich auch hier um eine sehr viel zurückhaltendere, moderatere Progression, in der sich Künstler und Designer offenbar zaghafter vorwärts bewegen als ihre Zeitgenossen. Diese Entwicklung wird anhand so unterschiedlicher Arbeiten von Designern, Künstlern und Architekten wie Alma Agnethe Jørgensen, Ole Wanscher, Kaare Klint, Nanna Ditzel, Jens Harald Quistgaard oder Arne Jacobsen nachvollzogen. Danach endet "Made in Denmark" mit zeitgenössischen Projekten: Zeitgenössische dänische Keramik erhält einen eigenen Abschnitt, während zeitgenössische Möbel und Accessoires durch Werken von Louis Campbell, Cecilie Manz oder Kasper Salto vertreten sind. Der letzte Teil der Ausstellung präsentiert Exemplare zeitgenössischen dänischen Schmuckdesigns aus der privaten Sammlung Schwandt. Eine schöne Erweiterung der Ausstellung, die ein weiteres Genre einbindet und den Rest der Ausstellung mühelos ergänzt.
Je länger eine Ausstellung dauert, desto weniger kann man ihr in aller Tiefe folgen, und das gilt auch für "Made in Denmark". Während die Entwicklung des Designs in Dänemark sehr anschaulich und prägnant erklärt wird, gibt es fast keinen Raum für Diskussionen über die kulturelle, soziale, technologische, politische und wirtschaftliche Realität des Jahrhunderts - bloß ein Fünftel der Ausstellung. Doch wie alle kreativen Genres ist auch Design untrennbar mit solchen Veränderungen verknüpft. Und auch wenn uns eine solche Diskussion gefehlt hat, verstehen wir auch, dass dies mit einem erheblichen Mehraufwand und einer Vergrößerung der Ausstellung verbunden gewesen wäre, nicht nur in Bezug auf Wandtexte, sondern auch was den Bedarf an Objekten aus Bereichen wie Transport, Elektronik, Druck, Grafik, Typografie usw. angeht. Es wäre eine ganz und gar andere Ausstellung dabei herausgekommen. Mit "Made in Denmark" zeigt das Grassi Museum eine Ausstellung die weniger das Warum und Wofür und vielmehr das Was und Wie in den Vordergrund rückt. Eine Ausstellung, die die Entwicklung des Designs in Dänemark im Kontext von Objekten, Materialien, Prozessen und ihrer Protagonisten verfolgt. Und das gelingt "Made in Denmark" sehr eloquent. "Made in Denmark" liefert so nicht nur eine ansprechende, zugängliche, informative und unterhaltsame Präsentation, sondern auch eine ausgewogene, präzise Erklärung dafür, wie sich Design in Dänemark im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelt hat.
"Made in Denmark. Formgestaltung seit 1900" läuft im Grassi Museum für Angewandte Kunst zu Leipzig, Johannisplatz 5-11, 04103 Leipzig bis Montag, den 7. Oktober.
Ausführliche Informationen sowie Informationen zum Rahmenprogramm finden Sie unter www.grassimuseum.de