Im Text "Die Kunst des Krieges" des chinesischen Militärstrategen Sun Tzu heißt es:
Es gibt Straßen, die man nicht gehen soll.
Es gibt Armeen, die man nicht angreifen soll.
Es gibt Städte, die man nicht einnehmen soll.
Es gibt Gebiete, um die man nicht kämpfen soll.
Es gibt Befehle, die man nicht befolgen soll.
Wäre Sun Tzus Metier nicht die Kriegskunst, sondern Möbelmessen gewesen, hätte er mit Sicherheit hinzugefügt: Es gibt Objekte, die man nicht produzieren soll.
Die IMM Cologne 2018 ist voll mit solchen Produkten. Das ist nicht der Fehler der IMM; vielmehr ist das Problem in einer Industrie angesiedelt, die Utensilien für den menschlichen Bedarf liefert, Objekte die uns Tag und Nacht umgeben, unsere Abläufe, Sorgen, Triumphe und unsere zeitlich begrenzte Existenz begleiten. Nur tun sie das leider allzu oft nicht mit dem Ziel unsere direkte Umgebung zu verbessern, sei es in ästhetischer, funktionaler oder moralischer Hinsicht, sondern mit dem Ziel, Profit zu generieren. Das unausweichliche Resultat sind zahllose Marken, die alle verzweifelt versuchen unter Beweis zu stellen, dass sie genau das gleiche wie alle anderen machen können, dass sie alle in der Lage sind zu machen, was der Markt angeblich von ihnen verlangt. Und das obwohl uns George Nelson gelehrt hat: produziert nicht für einen vermeintlichen Markt, produziert für euch selbst. Eure Kunden werden euch finden. Und alle anderen sind nicht eure Kunden.
Wie gesagt, es ist nicht der Fehler der IMM. Die IMM ist eine der größten Plattformen der Möbelindustrie weltweit, und so sind die Besucher zwangsläufig mit einer sehr konzentrierten Menge an Unnötigem und Ungehörigem konfrontiert. Allerdings ist die Messe kein gänzlich seelenloses Potpourri aus faulen Appropriationen, es gibt auch Arbeiten, die demonstrieren woran uns Sun Tzu erinnert, und ganz egal was wir auch denken mögen, "Zorn kann sich Leidenschaft verwandeln". Wie immer nehmen wir nicht für uns in Anspruch alles gesehen zu haben. Mit Sicherheit sind uns einige Schmuckstücke entgangen, oder es gibt wieder andere Projekte, die rückblickend einen Platz in unserer Liste verdient hätten, über die wir uns aber immer noch eine Meinung bilden müssen. Damit im Hinterkopf und in besonderer Reihenfolge - unser IMM Cologne 2018 High Five!
Als wir uns in Richard Lamperts neues Zweisitz-Sofa setzen, bewegt sich der Sitz nach hinten. Zuerst dachten wir, wir hätten es kaputt gemacht, was sicherlich der schlechteste Start in diesen Tag gewesen wäre. Dann bewegte sich der Sitz wieder und wieder und wir realisierten, dass die Sache offenbar so gedacht ist. Ein Schaukelsofa? Auch wenn man von einem Schaukelsofa außerhalb des Gartens (Hollywoodschaukel) schon gehört hat, handelt es sich dabei doch um äußerst seltene Kreationen. Die Geschichte der "Swing" begann mit einem anoymen Exemplar, das sich im Besitz Richard Lamperts befindet und das, so Lampert, eine Menge Wünsche in formaler Hinsicht und in Bezug auf die Materialien aufkommen lässt. Allein die Schwingfunktion hat ihn "bewegt" und jenes Objekt zu einem seiner Lieblingsstücke gemacht, wenn es auch in Bezug auf Form und Material nicht zufriedenstellend war. Folglich beschloss er anlässlich des 25. Geburtstages seiner Firma ein Lampert Schaukelsofa zu entwickeln. Ein Exemplar bei dem formale Aspekte, Materialien und Funktion harmonieren. Das Londoner Studio Raw Edges, a.k.a. Yael Mer und Shay Alkalay, wurde mit der Aufgabe betraut, und herausgekommen ist dabei ein sehr scharfsinnig proportioniertes Objekt. Eines, das seine Aufgabe versteht und über eine wunderbare Balance zwischen technischen Notwendigkeiten des Rahmens und dem egoistischen Komfort des gepolsterten Sitzes verfügt, bei dem die Schaukelfunktion perfekt auf die Bewegung des Benutzers abgestimmt ist. Die Schaukelbewegung ist nie heftiger als man es möchte, es ist möglich auch einfach zu sitzen. Man weiß also um die Funktion, will man aber einfach sitzen, ist das auch ok. Nimmt man das Angebot allerdings an, kommt man in den Genuss einer ungewöhnlichen und doch sofort logischen, sehr, sehr befriedigenden Sitzerfahrung.
Wenn wir ehrlich sind, und wir versuchen immer ehrlich zu sein: "Hama" für diese Liste auszuwählen, ist ein bisschen so als würde man das Nachbarskind zum Gewinner des Schülerkunstwettbewerbs küren. Wir kennen "Hama" allerdings seit seinem Zustand als Prototyp, er ist eines dieser Objekte bei denen wir das Gefühl haben, dass sie immer Teil unseres Lebens waren, auch wenn wir wissen, dass dem nicht so ist. Auch wenn "Hama" ein glückliches, kultiviertes und um die Welt gereistes Objekt ist, musste es sich doch auch einigen Enttäuschungen stellen. Diese gehören aber nun hoffentlich der Vergangenheit an, jetzt wo "Hama" Teil des Portfolios des in Bonn ansässigen Herstellers Echtstahl ist. Erhältlich in zwei Versionen - "Hama High", ein Allzweckstuhl, und "Hama Low", eine etwas geräumigere und gemächlichere Loungevariante - geeignet für Innen- und/oder Außenbereich, ist "Hama" ein präzise durchdachtes, gut proportioniertes und in sich ausgewogenes Stuhldesign, und eines dessen Reduktion sich rein aus dem Material heraus ergibt. Formal hat der Stuhl einen angenehm expansiven Charakter, der trotz seiner augenscheinlichen Spärlichkeit eine vollständige Sitzerfahrung bietet, die sich nur vollständig entfaltet indem man den Stuhl benutzt und sich mit ihm vertraut macht. So froh wir auch sind, dass "Hama" jetzt dort ist wo er hingehört - auf dem internationalen Möbelmarkt - die Veröffentlichung nimmt ein Buchprojekt, an dem wir in den letzten Tagen gearbeitet haben ein wenig vorweg. In diesem sollte "Hama" eine zentrale Rolle spielen. Aber wozu sind Nachbarskinder nutze, wenn sie einem nicht den Fußball durch Gewächshausfenster schießen. Im sprichwörtlichen oder auch anderem Sinne.
Auch wenn es sich um ein in sich ehrliches Stück Stuhldesign handelt, ist der Igman Chair des finnischen Designers Harri Koskonen für den bosnischen Hersteller Zanat auch ein irreführendes Objekt voller Widersprüche. Aus Holzstäben, kombiniert mit einer dünnen Lederpolsterung gefertigt, ist der "Igman Chair" im Grunde genommen ein sehr, sehr einfaches Objekt, wenn auch eines, das nicht nur einen hohen Grad an Sitzkomfort bietet, sondern auch eine ästhetische Qualität, die über die der Einzelteile hinausgeht. Reizvoll ist der Kontrast zwischen dem Einfachen und dem Außergewöhnlichen, der durch die Holzschnitzerei auf der Lehnenspange des Beistellstuhls und den Armlehnen des Sessels deutlich unterstrichen wird. Die Holzschnitzerei ist eine historische Tradition in der Region Bosnien. Zwar ist der "Igman Chair" sich seiner Qualitäten und der Tradition aus der er hervorgeht sehr bewusst, er sorgt aber ohne Selbstverständlichkeit und Selbstgefälligkeit dafür, dass er den hohen Standards, die er setzt, auch wirklich gerecht wird, ohne dabei angestrengt zu wirken. Der "Igman Chair" macht den Unterschied zwischen Klasse und Stil sehr deutlich und behauptet sich in seiner ruhigen, selbstbewussten Art mühelos im Raum, ohne zu überwältigen oder zu verletzen. Subtil ist wahrscheinlich das Wort, das wir suchen, und charmant.
Realisiert von Klemens Grund in Zusammenarbeit mit dem Schreiner Martin Bereuter handelt es sich beim "D7" um einen "normalen" Stuhl und beim "D7K" - der Name deutet darauf hin - um einen Klappstuhl. Trotz dieses so fundamentalen Unterschiedes und abgesehen von einigen sehr marginalen, strukturellen Unterschieden sind beide formal der gleiche Stuhl. Beide Modelle haben die gleiche geschwungene Rückenlehne, die gleichen filigranen und schön proportionierten Beine, die gleiche Ausdehnung am Ende der Armlehne, um den Unterarm zu stützen, beide haben die gleiche offene, erklärende Konstruktion und die gleiche Liebe zum Detail hinsichtlich der Entwicklung und Verlängerung der Linie. Es handelt sich also bei den Stühlen um den gleichen Stuhl, nur dass der "K" über einen Klappmechanismus verfügt. Hat man also zusätzlichen Bedarf an Stühlen, beispielsweise am Esstisch, müssen die "D7" Stühle nicht provisorisch durch alte Stühle ergänzt werden, sondern können mit dem "D7K" Klappstuhl einfach ergänzt werden. Das präzise abgewogene Objekt "D7K" versinnbildlicht nicht nur das Verständnis und das echte Interesse seiner Schöpfer für das Material, sondern steht auch für deren technische Raffinesse: der Klappmechanismus ist nämlich denkbar einfach. Ja, es braucht eine Weile bis man die filigrane Leichtigkeit nicht mehr mit Zerbrechlichkeit in Verbindung bringt, und bis man versteht, dass es sich um robuste Objekte handelt. Aber hat man es einmal ausprobiert, verläuft der Vorgang des Aufklappens immer intuitiver. Ganz abgesehen von all dem: Beide Stühle wurden für TECTA von Martin Bereuter in Lingenau, Österreich entwickelt, oder besser gesagt in einer Werkstatt, die den Stuhl auch wirklich versteht, weil sie ihn entwickelt hat. Wir würden mal behaupten, dass es keine überzeugendere Garantie für die Qualität und Langlebigkeit eines Möbelstücks geben kann.
Auch wenn die Bezeichnung "Passage Table von Andreas Kowalewski für Caussa" technisch korrekt ist, ist sie doch auch leicht missverständlich, Andreas ist nämlich, gemeinsam mit Jan Drücker, der in Münster ansässige Hersteller Caussa. Andreas ist dabei für alles zuständig, was mit Design zu tun hat - Jan für alle geschäftlichen Aspekte. Die 2016 gegründete Firma Caussa feiert ihr IMM-Debüt. "Ihre Passage Table"-Kollektion gehört für uns zu den Höhenpunkten ihrer ersten Kollektion. Der "Passage Table" besteht aus einem Sockel, der aus einem einzigen Stück pulverbeschichtetem Stahl gefertigt ist und in unserer bevorzugten Version mit einer Glasplatte versehen ist. Der Passage Table ist ein intelligentes und effizientes Designobjekt, das, obwohl es optisch leicht wirkt, eine physische Masse hat: Die Passage Tables sind robuste Objekte und nichts für Nomaden. Der Tisch ist vielmehr für diejenigen gedacht, die wissen, dass sie zuhause sind und die auch nicht vorhaben das zu ändern. Tatsächlich ist der "Passage Table" visuell so leicht, dass wir ihn anfangs gar nicht bemerkt haben. Vielmehr lockte uns das Objekt direkt neben dem "Passage Table" an den Caussa-Stand. Es hat um ehrlich zu sein bestimmt gute 10 Minuten gedauert bis wir den massiven Beistelltisch aus Stahl und Rauchglas überhaupt bemerkt haben. Und dann verbrachten wir Ewigkeiten damit, die Tische zu fotografieren. Dabei hatten wir es mit einer Mischung aus unserer Beschränktheit und dem beschränkten Raum, den die IMM kleineren Herstellern einräumt, zu tun. Was uns wiederum dazu zwang, vorübergehend in den Caussa Stand einzuziehen. Durch das Fotografieren hatten wir allerdings die Gelegenheit, die feineren formalen, strukturellen und technischen Details noch besser kennenzulernen. Wir hatten Zeit Proportionen, Linien und Materialien zu betrachten, und vor allem das I-Tüpfelchen von all dem zu bestaunen: die Regaleinheit. Wie lange schon beklagen wir den Mangel an zeitgemäßen Beistelltischregalen. Der "Passage Table" bietet nicht nur all das, sondern das auch noch in einer sorgfältig durchdachten und höchst befriedigenden Form, die mittels einiger täuschend einfacher Konstruktionstricks realisiert wurde.