Kann Innovation ein Selbstzweck sein? Führen wir ein Leben im Exzess? Können uns Dinge immer noch verblüffen und inspirieren? Verliert eine Museumssammlung mit der Zeit automatisch ihren Bezug zur Realität? Was macht "gutes Design" aus? Die Ausstellung "Hella Jongerius & Louise Schouwenberg - Beyond the New" in der Neuen Sammlung, Design Museum München, formuliert eine Menge fragen. Fragen, die nicht notwendigerweise eine Antwort finden, die aber Inspiration und Anstoß zu weiteren Fragen liefern und so einen tiefgreifenden Diskurs über Design anstoßen.
Im Jahr 2015 veröffentlichten die Designerin Hella Jongerius und die niederlänsdische Designtheoretikerin Louise Schouwenberf Beyond the New, ein Manifest, in dem sie die zeitgenössische "Obsession" des Designs "für das Neue um des Neuen willen" hinterfragen und Designer auffordern einen dringend notwendigen Wandel der Denkweise anzuführen.
Im Jahr 2016 folgte die Ausstellung "A Search Behind Appearances" für und mit Serpentine Galleries. Dabei handelte es sich um eine Reihe mechanischer Installationen, die angedacht waren um an ihnen das Potential des Designs zu untersuchen. Design sollte eher gefeiert als kritisiert werden, während die Ausstellung gleichzeitig zeitgenössisches Design, die zeitgenössiche Designindustrie und zeitgenössische Designer hinterfragte.
Mit der Ausstellung "Beyond the New" in der Neuen Sammlung - Design Museum München kommt jetzt das dritte Projekt in drei Jahren - eine Erweiterung genauso wie eine Fortführung der vorangegangenen Ausstellungen. "Der manifestartige Titel, 'Beyond the New', kann sehr abschreckend wirken. Für mich als Designerin war es deshalb wichtig, dass er Hand und Fuß hat", erklärt Hella Jongerius, "als uns die Serpentine bat, eine Ausstellung zum Manifest zu machen, beschlossen wir die Möglichkeiten des Design zu erforschen. Hier ging es uns eher darum, die kulturelle Bedeutung des Designs in einem Museum, und die Rolle und Relevanz eines Museumsarchives für das Design und den Beruf des Designers zu untersuchen." Eine Erforschung, die notwendigerweise ein Bewusstsein für Design in einem musealen Kontext voraussetzt.
Neben der dritten Verkörperung des Projektes von Jongerius & Schouwenberg ist "Beyond the New" auch die dritte positionelle Ausstellung zu zeitgenössischem Design der Neuen Sammlung in ihrer sogenannten Paternoster Halle. Ein Raum im Herzen des Museumsgebäudes, der, so könnte man sagen, wiederum von zwei Paternostern dominiert wird. Zwei Paternoster die ohne müde zu werden eifrig ihre endlosen, letztlich sinnlosen Runden drehen. Wie eine Design PR-Aktion, die die angeborene Neuheit eines neuen Projektes wiederkäut.
Der Parternoster beherbergt die Installationen "Objects and things" und "New, nuevo, neu... ", die in unterschiedlichen Medien die Frage der Neuheit, und vor allem von kontinuierlicher Neuheit im Produktdesign erforschen. Sie sind so auch ein Wink auf das Manifest von 2015. Der sie umgebende Raum ist einerseits bespielt mit vier Installationen, die ursprünglich im Kontext von "A Search Behind Appearances" präsentiert wurden. Installationen, die sich mit glücklichen Zufällen im Design, der Realität des Designmarktes und unserer individuellen Verantwortung im Kontext von Design auseinandersetzen. Zum anderen wird in diesem Raum "Reading the Archive" präsentiert, eine Serie von speziell kreierten Wandbehängen, die Fragen aufwerfen, die dem Besucher helfen sollen, Designs zu lesen. Und vor allem Designausstellungen und Installationen besser zu deuten. Zudem präsentiert "Beyond the New" - und darin liegt wohl die direkteste Verbindung zum Produktdesign - 18 Küchenregaleinheiten von Leuten wie Erich Diekmann, Axel Kufus oder Ettore Sottsass, die von Jongerius & Schouwenberg aus der beachtlichen Sammlung des Museums ausgewählt wurden. Nicht, dass man sich vom Fokus der Ausstellung durch die Küchenregale ablenken lassen sollte, sie sind nur Verbindungselemente. "Beyond the New" ist nämlich keine Designausstellung über Produkte, sondern eine Designausstellung über Design, oder um das Manifest von 2015 zu zitieren:"Design handelt nicht von Produkten, Design handelt von Beziehungen."
"Beyond the New" ist nicht nur eine Ausstellung über Hella Jongerius und Louise Schouwenbergs Beziehung zum Design, sondern auch über die Beziehung der Konsumenten zum Design, der Designer zum Design, der Designindustrie zum Design und eine Ausstellung über das Verhältnis zwischen von Museen gesammelten und ausgestelltem Design zum Design.
Ein wiederkehrendes, wenn nicht gar zentrales Thema des Manifestes von "A Search Behind Apperarances" und der jetzigen Ausstellung ist die Frage nach dem "guten Design". Keine neue Frage, aber eine Frage, die ihre Anziehungskraft und Relevanz nicht verliert. Vor allem in unserer heutigen "Alles ist Design! Celebrate! Instagram! Konsum!"-Gesellschaft. Dass die Mehrheit dieser Gesellschaft nicht zustimmt, und dass vielleicht auch nicht sollte, und dass Design beispielsweise auch gutes soziales Design, gutes Informationsdesign oder gute Designforschung sein kann, erfordert einen gut trainierten Sinn dafür, was unter "gut" zu verstehen ist. Das löst bei uns natürlich Verwirrung, aber auch Neugierde aus.
Als Chronisten der Geschichte des (guten) Designs sind Designmuseen und ihre Sammlungen logischerweise ein guter Platz um diesen Sinn zu trainieren, gute Orte, um etwas zu lernen. Zumindest wenn man die Irrationalität der menschlichen Subjektivität akzeptiert; ein Problem, das den menschlichen Geist beispielsweise in Bezug auf Schönheit und Moralität umtreibt, seit Zeit und Energie ausreichen, sich damit zu beschäftigen. Denn als Institutionen, die von Menschen betrieben werden, sind Designmuseen von dieser Subjektivität nicht ausgeschlossen. Sie bleiben von subjektiv geprägten Vorstellungen von "Schönheit" ist nicht verschont.
Darüber sind sich Designmuseen bewusst. Und mit Sicherheit ist sich auch eine so erfahrene Institution wie die Neue Sammlung ihrer Verantwortung und den Herausforderungen, die der Aufbau einer relevanten, nachhaltigen zeitgenössischen Designsammlung mit sich bringt, bewusst. Genauso muss sie aber auch mit der Erwartung der Gesellschaft umgehen, dass ein Designmuseum ihr helfen möge zu verstehen, was "gutes Design" ist. Eine Funktion, die das MoMA New York mit einer Serie von "Good Design"-Ausstellungen in den 1950er Jahren durch eine Zugabe von Misstrauen, wenn nicht gar Zynismus, verkompliziert hat, um diese Subjektivität noch zu krönen. Realisiert in Verbindung mit Einzelhändlern präsentierten die "Good Design"-Ausstellungen brandneue Objekte im Museumskontext, und verwischten so völlig die Linie zwischen kulturellem Vermittler und einem Museum als kommerziellem Unterstützer.
Aber wie sollten Museen dann Ideen von "gutem Design" vermitteln? "Ein Museum ist eine ideale Plattform, um den zeitgenössischen Designdiskurs zu verhandeln", antwortet Louisa Schouwerberg, "und deshalb denke ich, dass sich Museen darauf konzentrieren sollten, diesen Diskurs zu präsentieren, statt festzulegen und zu zeigen, was gutes Design ist."
"Beyond the New" ist genau so ein musealer Diskurs. Die Besucher werden herausgefordert, ihre Positionen selbst zu entwickeln. Texte, Statements und Installationen bieten allerdings Unterstützung, und auch wenn sie nicht immer zu direkten Antworten führen, dann doch zu Antworten auf Fragen die einem helfen seinen Weg zu finden.
Designmuseen sind fast schon per Definition unnatürliche Umgebungen. Während sich andere Museen auf Objekte spezialisieren, die die meisten von uns wohl eher nicht zuhause haben - Mumien, Dinosaurierskelette, mittelalterliche Folterinstrumente - horten Designmuseen vertraute Dinge, die wir möglicherweise auch selbst zuhause haben: der wichtige Unterschied zwischen unserem Objekt und dem Museumsstück ist der des Kontextes, der Kontext in dem sich das Objekt befindet und der Kontext in dem wir uns dem Objekt gegenüber befinden. Oder, wie Hella Jongerius das Paradox des Objektes im Designmuseum umschreibt: "es handelt sich nicht um ein Ding, das noch funktioniert, es funktioniert nicht nur für sich genommen nicht mehr. Die Dinge des täglichen Lebens existieren immer in Verbindung mit anderen Dingen, sobald man ein Ding von seiner Funktion und seinem sozialen Kontext isoliert, wird es zum Objekt. Und wie kann man sich ein Ding anschauen, das zum Objekt geworden ist, und als Objekt keinen Wert hat?"
Eine Frage, die durch das Präsentationsformat der 18 Küchenregaleinheiten aus der Neuen Sammlung noch dringlicher wird - bzw. durch die Präsentation ihrer Rückseiten, pardon, dass wir es nicht früher erwähnt haben. So werden sie nicht nur ihrer Funktion enthoben, weil sie sich in einem Museum befinden, sondern weil sie nicht mehr in der Lage sind, ihrer eigentlichen, grundlegenden Funktion nachzukommen. Ein einfaches und effektives Tool und eines, das einem eine neue Perspektive auf Objekte erlaubt. Und so Fragen aufwirft, wie man sich einer Designmuseumsausstellung nähern kann. Durch die sehr einfache Analogie des Regals als eines der essentiellsten Museumsutensilien wird zudem eine weitere Reflexion über das Designmuseum möglich: Betrachtet man in Anbetracht der Subjektivität und Unnatürlichkeit von Designmuseen Ausstellungen in Designmuseen metaphorisch gesehen nicht immer von ihrer Rückseite?
"Beyond the New" argumentiert in diese Richtung. Nicht nur, dass es an kulturellen, sozialen und praktischen Kontexten mangelt, auch der ebenso relevante kommerzielle Kontext kommt zu kurz, denn um es mit den Worten Max Borkas zu sagen: "Design steh auf zwei Beinen, einem kommerziellen und einem kulturellen." Im Museum steht Design häufig auf einem weißen Podest. Was in Ordnung ist, solange man es reflektiert und die Botschaft interpretieren kann, die einem gesendet wird.
Als Ausstellung will uns "Beyond the New" genau einer solchen Position näher bringen, indem uns nämlich einerseits geholfen wird zeitgenössisches Design besser zu verstehen, und indem wir auf der anderen Seite ermutigt werden die eigentlich Leere des Begriffes "neu" nachzuvollziehen. Und, das ist der 3. und letzte Grund, indem wir ermahnt werden niemals zu vergessen, dass Design in einem Kontext existiert.
Beyond the New ist eine offene und fesselnde Ausstellung mit eben so viel Humor wie Überzeugung. Und erschließt sich, ähnlich wie die Ausstellung Breathing Colour by Hella Jongerius, dem Ausstellungsbesucher nicht sofort. Sie erfordert vielmehr ein wenig Zeit um sich durch die Themen zu arbeiten, Schlüsse zu ziehen und zu überlegen, was all das bedeuten mag. Das trifft vor allem im Zusammenhang mit der Frage zu, ob es sich bei den 18 ausgestellten Regalen um "gutes Design" handelt.
Was hoffen Hella Jongerius und Louise Schouwenberg dem Besucher mit dieser Ausstellung mitgeben zu können? "Eine Einsicht", antwortet Hella Jongerius, "dass der Besucher durch die aufgeworfenen Fragen versteht, dass es bei der Design-Profession nicht nur um Konsum geht , sondern, dass es sich dabei um eine kulturelle Disziplin handelt. Und vielleicht, dass Designer einige Antworten liefern können, oder vielleicht andere Fragen aufwerfen, und so innerhalb des Designbereichs für eine offene Diskussion sorgen."
"Hella Jongerius & Louise Schouwenberg - Beyond the New" ist zweisprachig deutsch/englisch und läuft in "Die Neue Sammlung - Design Museum München", Pinakothek der Moderne, Türkenstraße 15, 80333 bis Sonntag, den 16. September 2018.
Alle Details sind unter zu finden http://dnstdm.de zu finden.