Aufgewachsen nahe Quimper in der Bretagne, zog Ronan Bouroullec 1989 nach Paris, um Industriedesign zu studieren. In der französischen Hauptstadt hat er aber nicht nur sein Studium abgeschlossen, sondern auch sein eigenes Studio gegründet, seinen ersten kommerziellen Erfolg verbuchen können und zusammen mit seinem Bruder Erwan zahlreiche Projekte für eine Reihe von internationalen Klienten entwickelt, unter anderem für Vitra, Magis, Flos, Kvadrat und Samsung. Zudem kam es zu zahlreichen Kooperationen mit Galerie kreo.
Wir haben Ronan Bouroullec getroffen, um über Paris, seine Erfahrungen mit Paris und seine Beziehung zu dieser Stadt zu sprechen. Das Gespräch driftete allerdings schnell ab - über die Grenzen der Stadt hinaus.
Nach seinem Abschluss an der École nationale superieure des art appliqués et des métiers d'art, ENSAAMA, und anschließend an der École nationale supérieure des arts décoratifs, ENSAD, gründete Ronan Bouroullec 1991 sein eigenes Studio in Saint-Denis, am nördlichen Rand von Paris. Während sein Schwerpunkt anfänglich bei Haushaltsprodukten und ähnlichen kleinen Objekten lag, ermöglichte ihm ein Carte-Blanche-Preis der französischen Möbelindustrievereinigung VIA im Jahr 1997 sein modulares Konzept "Cuisine désintégrée" zu realisieren. Dieses Projekt machte ihn wiederum mit Giulio Cappellini bekannt und markiert so den Beginn seiner internationalen Karriere.
Nach zehn Jahren in Saint-Denis, während derer auch sein jüngerer Bruder Erwan Bouroullec dem Studio beitrat, kehrte Ronan Bouroullec nach Paris zurück und zog von einem Arrondissement ins nächste, bis er sich schließlich im Stadtteil Belleville niederließ.
Wir haben Ronan Bouroullec in seinem Atelier in Belleville getroffen, um über seine Beziehung zu Paris und seine Erfahrungen als junger Designer in der Stadt zu sprechen. Angefangen haben wir aber mit der Farge, wie er dazu kam, die Bretagne gegen Paris einzutauschen.
Ronan Bouroullec: Ich fühle mich der Bretagne sehr verbunden, aber ich wusste schon ziemlich früh, dass ich Designer werden will und dass ich dazu wegziehen muss. Das war vor dem Internet und das hieß, man musste physisch anwesend sein, was wiederum bedeutete, dass es nach Paris gehen musste.
smow Blog: Du sagst, du hast schon früh gewusst, dass du Designer werden willst. Wie kam es dazu?
Ronan Bouroullec: Die Kunsthochschule in Quimper hatte Kurse für Kinder, die ich ab einem Alter von sechs Jahren besuchte und die ich sehr geliebt habe. Mit 15 habe ich angefangen Angewandte Kunst in der Bretagne zu studieren - eine sehr befreiende Erfahrung! Ich hatte eine schreckliche Zeit in der Schule, an der Schule für Angewandte Kunst fühlte ich mich dann wie neu geboren. Die Schule war sehr offen, mit sehr guten Lehrern und ich lernte alle möglichen neuen Dinge; beispielsweise Fotografie, also wie ich eigene Fotografien entwickele und ich wusste, dass es das ist, was ich machen will - etwas kreieren, etwas designen. So zog ich im Alter von 18 Jahren nach Paris, um dort Industriedesign an der ENSAAMA zu studieren, was sich als Desaster herausstellte.
smow Blog: In akademischer Hinsicht?
Ronan Bouroullec: Die Schule hatte einen guten Ruf, aber Industriedesign wurde auf grauenhafte Art und Weise unterrichtet. Es ging nur darum Maschinen zu designen, zu lernen auf eine ganz bestimmte Art und Weise zu zeichnen - eine sehr technische Art und Weise. Alles war darauf ausgerichtet, die Designer auf die Arbeit in großen industriellen Unternehmen vorzubereiten. Das ist an sich keine uninteressante Sache, nur wurde es auf sehr uninteressante Art und Weise vermittelt. Rückblickend war das allerdings eine wichtige Erfahrung. Als ich in Paris ankam, war ich so glücklich, so voller Leidenschaft - und dann verstand ich nicht, was passiert war. Ich hatte keine Worte dafür, was mir widerfuhr. Und so fing ich an, meine eigenen Sachen zu machen, zu zeichnen, was ich wollte und wie ich wollte. Letztendlich zwang mich die Tatsache, dass ich während dieser Zeit so unglücklich war, damit anzufangen, meine eigenen Projekte zu entwickeln.
smow Blog: Gab es außerhalb der Schule eine gute kreative Atmosphäre in Paris?
Ronan Bouroullec: Ja, beispielsweise das Centre George Pompidou war zu dieser Zeit eine großartige Institution voller Leben, Anarchie und leidenschaftlicher Debatten. Ähnliches traf auf das Centre de création industrielle, CCI, zu. VIA war zu dieser Zeit eine bereits existierende Institution und es gab regelmäßig Veranstaltungen. Man hatte dort die Möglichkeit andere Designer zu treffen, zu schauen, was andere Designer machen. Und durch solche Erfahrungen verstand ich, dass es auch außerhalb der Tristesse der Schule andere Richtungen und Möglichkeiten gab.
smow Blog: Könnte man also sagen, dass dich während dieser Zeit eher die kreative Atmosphäre von Paris und weniger die Schule per se geprägt hat?
Ronan Bouroullec: Ich denke schon. Es war eine fast schon barocke Zeit - man konnte einen Stein an ein Stück Glas kleben und das ein Objekt nennen. Es war eine sehr freie Zeit, vor allem weil es nicht um Industriedesign ging; es ging nur um Objekte und es gibt unendliche Möglichkeiten, Objekte zu realisieren. Zu dieser Zeit war Design noch kein Adjektiv, sondern befand sich noch im Prozess eines zu werden. Alles war sehr frei.
smow Blog: In Anbetracht der Erfahrungen, die du an der ENSAAMA gemacht hast: Wie kam es danach zu der Entscheidung, sich an der ENSAD einzuschreiben?
Ronan Bouroullec: Während der zwei Jahre an der ENSAAMA realisierte ich, dass Schule nichts für mich ist. Zwischen 15 und 18 war ich so glücklich, das waren wirklich goldene Jahre. Dann in Paris wurde die Schule für mich wieder dieser schreckliche Ort, an dem man seine Zeit damit verschwendet, sinnlose Dinge zu machen und an dem es kein Leben gibt. Trotz allem machte ich meinen Abschluss und schrieb mich dann an der ENSAD ein, überwiegend, weil ich so die Möglichkeit hatte in Paris zu bleiben und meine eigenen Projekte zu entwickeln. Meine Eltern waren zufrieden: Ich war Student, kam nur selten zu Besuch und war überwiegend damit beschäftigt mein eigenes Studio aufzubauen. Meine erste Gruppenausstellung hatte ich mit 19, das Feedback war positiv und danach fing ich an ernsthaft meine eigenen Projekte zu entwickeln.
smow Blog: Gab es zu dieser Zeit Partner für einen jungen Designer in der Stadt?
Ronan Bouroullec: Da ich zumindest theoretisch Student an der École war, konnte ich die Werkstätten nutzen, was sehr wichtig und hilfreich bei der Entwicklung meiner Ideen war. Es gab zu dieser Zeit eine Menge kleinformatige Firmen in Paris, normalerweise nur mit ein bis zwei Personen, die Objekte produzierten. Ich hatte Kontakt zu solchen Firmen und realisierte einige kleinere Projekte, die mir etwas Aufmerksamkeit einbrachten. Eine größere Rolle spielte allerdings, dass es zu dieser Zeit in Frankreich überall Handwerker gab. Heute sind es sehr viel weniger. Ich entwickelte meine Ideen also in Paris und Handwerker in der Bretagne produzierten sie dann für mich. Diese ersten fünf Jahre, in denen ich kleine Objekte entwickelte, waren ein guter und wichtiger Lernprozess für mich.
smow Blog: Du sagtest, dass es zu dieser Zeit beim Design nicht zwangsläufig um industrielle Produktion ging. War das denn ein Ziel für dich, hast du über industrielle Produktionsmethoden nachgedacht?
Ronan Bouroullec: Ich war immer an Serienproduktion interessiert. Andererseits bin ich sehr pragmatisch veranlagt und war deshalb in meinen frühen 20ern auf die Möglichkeiten und Optionen konzentriert, die mir auch wirklich zur Verfügung standen. Industrielle Produktion stand da auf einem anderen Blatt. Ich habe daran gedacht, aber es gab dazu einfach keine Möglichkeit. Auch weil in Paris keine großen Hersteller vertreten waren. Zudem gab es kein Internet, man musste die Zeichnungen also mit der Post schicken. Es war nicht so einfach wie heute. Als ich in Saint-Denis lebte, habe ich ein Faxgerät gekauft und fühlte mich wie James Bond.
smow Blog: Eine Hightech-Verbindung zur Außenwelt...
Ronan Bouroullec: Genau, ich kann mich beispielsweise auch noch genau daran erinnern, wie ich das Fax von Cappellini bekam, ob ich interessiert daran sei, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ich habe zuerst das Firmenlogo gesehen, dann kam langsam der Text aus der Maschine und schließlich Giulios Signatur am Ende. Das war eine andere Welt!
smow Blog: Du bist jetzt seit fast 30 Jahren hier, ist Paris ein guter Standort für einen Designer?
Ronan Bouroullec: Paris ist für mich als Designer eine gute Stadt. Da wir uns in der Peripherie der Designwelt befinden, ist hier nichts interessant. Ich würde Paris nicht als kreative Stadt bezeichnen, zumindest nicht mehr. Das geht für mich allerdings völlig in Ordnung. Ich weiß nicht warum, vielleicht weil ich schüchtern bin, aber ich habe es nie als Notwendigkeit empfunden von Designern und einer Community kreativer Leute umgeben zu sein. Ich habe meine Arbeit nie gerne mit Kollegen diskutiert. Insofern war Saint-Denis ein guter Standort. Gewissermaßen war ich geschützt vor den Ablenkungen der Stadt.
smow Blog: Und das trotz der kreativen Atmosphäre in der Stadt?
Ronan Bouroullec: Ich habe Diskussionen, Ausstellungen und Veranstaltungen besucht, aber ich hatte kein Bedürfnis unter anderen kreativen Menschen zu sein. Bevor ich nach Saint-Denis zog, hatte ich ein 9 Quadratmeter großes Zimmer und habe viel Zeit zeichnend in diesem Zimmer verbracht: Ich muss in der Lage sein mich vollständig zu konzentrieren, wenn ich arbeite, mich auf das Projekt zu fokussieren, das ansteht. Ich mag deshalb keine Ablenkungen.
smow Blog: Was, wie wir annehmen würden, auch bedeutet, dass du nicht in Erwägung ziehen würdest beispielsweise nach Mailand zu ziehen?
Ronan Bouroullec: Mailand? Niemals. Als ich beispielsweise anfing mit Cappellini zu arbeiten, wurde vorgeschlagen, dass ich Piero Lissonis Studio beitreten könnte, der damals eng mit Capellini zusammenarbeitete, aber ich will nicht für andere Leute arbeiten und insofern war das keine Option für mich. In jedem Fall kann ich mir nicht vorstellen irgendwo mit zu vielen kreativen Leuten glücklich zu sein. Paris ist eine kleine Stadt und zudem sehr teuer. Viele Designer wollen deshalb hier entweder nicht arbeiten oder können es sich nicht leisten, aber ich bin sehr glücklich hier.
smow Blog: Aber bist du grundsätzlich glücklich mit der Stadt? Fühlst du dich nach so langer Zeit noch als Pariser?
Ronan Bouroullec: Ich habe ein sehr bizarres Verhältnis zu Paris. Ich sage immer ich mag Paris nicht, aber ich bin schon seit fast 30 Jahren hier. Insofern ist Paris vielleicht gar keine schlechte Stadt zum Leben. Wann immer ich in der Bretagne bin, sage ich, ich bin zuhause. Ich fühle mich immer noch sehr bretonisch und muss regelmäßig zurück. Auch wenn ich 18 Jahre in der Bretagne gelebt habe und jetzt schon seit 28 Jahren in Paris lebe. Aber es gibt immer noch Vieles, was mich an Paris frustriert, beispielsweise dass die Stadt so starr ist, dass sie sich nicht verändert. Eine Metropole wie London ist in permanenter Bewegung. Jedes Mal wenn du dort hinkommst, gibt es etwas Neues, eine konstante Evolution. Paris ist immer gleich. Und wenn neue Gebäude gebaut werden, sind sie so eingeschränkt durch die strengen Regulierungen, dass sich eigentlich nichts Interessantes entwickeln kann. Das ist frustrierend. Allerdings bin ich eine sehr ambivalente Person. Ich arbeite in Paris und bin sehr glücklich mit dieser Situation. Und doch würde ich mich nicht als Pariser bezeichnen.
smow Blog: Das "Belleville" im Namen des Belleville Chair braucht man also nicht als Hommage an diesen Stadtteil hier auffassen?
Ronan Bouroullec: Einem Objekt einen Namen zu geben ist immer der schmerzlichste Teil eines langen Prozesses. Also ja, das Studio befindet sich hier, aber vor allem ging es darum, dass im Wort "Belleville" eine gewisse Musikalität steckt, es schwingt und bewegt sich auf eine Art, die dem Stuhl sehr ähnlich ist. Ich mag aber auch die Nachbarschaft sehr gerne: Das Viertel ist sehr speziell, sehr zentral gelegen, mit einem unglaublichen Mix aus arabischen und chinesischen Einflüssen. Gleichzeitig leben hier viele junge Architekten. Diese Mischung gefällt mir sehr gut. Sie macht das Viertel zu einer sehr interessanten, lebendigen Gegend. Wenn ich Paris verlasse, sind so ziemlich das einzige was ich vermisse, die chinesischen Restaurants hier in Belleville.
smow Blog: Noch kurz zum Abschluss, nachdem wir so viel diskutiert haben: Wäre es eine Option das Studio in die Bretagne zu verlegen?
Ronan Bouroullec: Das könnte ich machen. Ich bin aber mit einer der überzeugtesten Pariserinnen verheiratet, die ich kenne. Sie wurde hier geboren, kennt jede Straße und jedes Gebäude, brennt für Paris. Wenn sie zu lange raus ist aus der Stadt, ergeht es ihr wie einer Blume im falschen Boden. Sie ist die erste Person, die ich getroffen habe, die diese Stadt wirklich braucht, die auch die Hektik, den Lärm und die Bewegung der Stadt braucht. Ich bin am liebsten am Meer. Dieses Panorama dort ist für mich voller Fantasie und ein wichtiger Ausgangspunkt.
Weitere Details zur Arbeit von Ronan und Erwan Bouroullec gibt es auf www.bouroullec.com.