Im nächsten Jahr wird die Design Fakultät der Hochschule München umziehen: Von ihrem derzeitigem Zuhause, das sie mehr als 40 Jahre bewohnt hat, in das gegenüberliegende, neu erbaute Gebäude. Demnach war die diesjährige Jahresausstellung eine der letzten Möglichkeiten die Fakultät in ihrem (demnächst) alten Zuhause zu besuchen.
Aber wurde die Ausstellung diesem Anlass gerecht? Oder was es eher ein unzufriedener Abschied von einem alten Freund?
Das Portfolio der 1971 gegründeten Hochschule München, die sich damals aus dem Zusammenschluss von sieben bereits existierenden Fachhochschulen bildete, bietet eine große Bandbreite: Von Studiengängen in den technischen und wirtschaftlichen Disziplinen bis hin zu sozialen und kreativen Feldern ist alles vertreten. Die Kreativen unter den Studenten sind in der Design-Fakultät untergebracht. 1971 wurde der Studiengang Grafikdesign mit 92 Studenten, die zum großen Teil von dem Werbegrafik-Studiengang der damaligen "Akademie für das graphische Gewerbe" kamen, eingeführt. 1974 wurde die Design-Fakultät der Hochschule München durch den Studiengang "Industriedesign" erweitert, bevor sie dann durch die Aufnahme der "Staatlichen Fachakadamie für Fotodesign" 2002 ihre heutige Form erreichte. Und obwohl die Design-Fakultät der Hochschule München eher zu den kleineren unter ihren Artgenossen zählt, bietet sie doch Platz für ungefähr 450 Bachelor- und Masterstudenten. Wie diese studieren, was diese studieren und wie die Resultate aussehen, konnte bei der Jahresausstellung 2017 betrachtet werden.
Die Bachelor-Programme an der Hochschule München beginnen mit einem gemeinsamen Grundlagen-Semester, bevor die Studierenden sich auf ihre jeweilige Spezialisierung fokussieren - sei es Industrie-, Foto- oder Kommunikationsdesign - und anschließend ihr Abschlussprojekt präsentieren. Alle drei Stadien wurden auf bei der Jahresausstellung präsentiert, wobei der aufmerksame Leser nicht überrascht sein wird, dass unser Fokus, auch wenn dieser keinesfalls exklusiv ist, auf den Industriedesign-Projekten liegt. Zusätzlich zur Präsentation der Abschlussprojekte der Bachelor- und Masterstudenten aus dem Studiengang "Advanced Design" liegt der Hauptfokus der diesjährigen Jahresausstellung auf den Semesterprojekten. Darunter finden sich unter anderem die Projekte, die im Rahmen des Kurses "Life Tools" entstanden sind, der die Studierenden dazu aufforderte ansprechende(re) medizinische Hilfs- und/oder Fortbewegungsmittel zu entwerfen. Oder der Kurs "Multisensual", der entdecken wollte, wie man das Fahren sicherer gestalten kann, indem man sich gezielt auf die menschlichen Fehler fokussiert, und auch das "Mercedes-Benz Speed-Projekt", bei dem Studenten vor die Herausforderung gestellt wurden ein Auto zu designen, das den Geschwindigkeitsrekord knacken kann. Und ja, ganz so wie man sich das vorstellt, waren die Autos alle superglänzend.
Ihrem Hintergrund nach ist die Hochschule München eine sehr technisch-versierte Hochschule, wenn auch nicht ausschließlich, und auch viele der Projekte und Kurse verfolgten neue konzeptionelle Wege. Ein oder zwei dieser Wege, bei denen sowohl technisch als auch konzeptionelle Ansätze verknüpft wurden, waren besonders interessant und regten durchaus zum Nachdenken an.
Entwickelt im Rahmen des Projekts "Gesundheit und Technik", in dem Studenten der Design-Fakultät mit ihren Kollegen der Angewandten Sozialwissenschaften zusammenarbeiteten, ist "Sensu" die wohl zufriedenstellendste Evolution einer Trennwand, die in Krankenhäusern angewandt werden kann. Nicht nur was die Benutzerfreundlichkeit angeht, sondern auch in Bezug auf die optimale Nutzung der Grundfläche in Krankenhäusern. Die traditionellen Trennwände in Krankenhäusern sind entweder Vorhänge, die permanent an Stangen befestigt sind oder tragbare Wandschirme: Beide Lösungen sind effizient und effektiv, auch wenn die erste erfordert, dass sich die Betten stets an derselben Stelle befinden und die zweite Stauraum für die Schirme benötigt, die gerade nicht in Verwendung sind. Das ist in Ordnung, aber nicht gerade optimal. "Sensu" bietet eine sehr viel flexiblere, platzsparendere Möglichkeit.
Im Prinzip ist "Sensu" nichts anderes als ein großer Fächer, der an der Seite des Bettes angebracht wird und aufgeklappt werden kann wann immer er gebraucht wird, oder zugeklappt wird, wenn er nicht verwendet wird. Ja, wir würden potentielle Hygieneprobleme beanstanden, denn immerhin ist der Kontakt zwischen dem Fächer und dem Patienten sehr intensiv, und auch das Dilemma mit dem Staub, der sich bei so vielen Faltungen ansammelt, lässt sich nicht von der Hand weisen, aber wir sind uns sicher, dass all das bedacht wurde. Und ja, es ist unbestreitbar, dass das Bett in Notfallsituationen nur von drei Seiten zugänglich ist - was auch immer das an Konsequenzen mit sich bringen mag -, aber bei einer normalen Patientenbehandlung (Verband wechseln, Routinebesuch vom Arzt, oder auch einfach nur beim Mittagsschlaf), bei der das Ziel vorrangig zeitweilige Privatsphäre ist, sehen wir keinerlei Probleme. Gesetzt den Fall, dass ein stabiles, langlebiges und vielleicht auch farbiges Material gefunden werden kann, dass eine angemessene, kosteneffektive Lösung darstellt, scheint "Sensu" ein eleganter Weg für ein Problem zu sein, dass so ganz niemals verschwinden wird.
Weil wir als Spezies nicht ansatzweise so clever sind, wie wir denken, sind wir nicht in der Lage die Konsequenzen unserer Handlungen in ihrem vollen Ausmaß nachvollziehen zu können. Noch weniger verstehen wir, dass jede beabsichtigte Konsequenz auch eine unbeabsichtigte mit sich zieht, sei diese positiv oder negativ. Eine Konsequenz unserer modernen, verknüpften Welt ist, dass Reize immer in Reichweite sind: Egal wo, egal wann und egal an welcher Bus-/Bahn-/Zughaltestelle man gerade steht, alle sind damit beschäftigt ihren Facebook/Snapchat/ Instagram-Account zu checken. Wohl eine beabsichtigte Konsequenz, zumindest wenn es nach den Einkommensströmen der Verantwortlichen in Kalifornien geht, die doch aber möglicherweise bedeutet, dass zukünftige Generationen nicht mehr wissen, was Langeweile ist. Ist das gut? Oder würden uns etwas weniger visuelle Reize glücklicher, produktiver und weniger gestresst machen? Ist Langeweile vielleicht wichtig? Das sind, im Wesentlichen, die Fragen denen sich Tom Semmelroth in seinem Bachelorprojekt im Studiengang Kommunikationsdesign stellte. Fragen, die wir hiermit jedem ans Herz legen möchten. Vielleicht findet man die Zeit darüber nachzudenken während man ganz apathisch einer Taube beim Herumhüpfen auf einem Gleis zuschaut...
"Wenn wir uns den dringenden ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit widmen wollen, müssen wir etwas daran verändern, wir wir designen." So begann die Einführung in die Präsentation der Projekte die im Rahmen des "Natural Design"-Kurses unter der Leitung von Prof. Ralph Ammer entstanden sind. Ein Kurs, der Grundlagenforschung bezüglich des Themas betrieb und Fragen stellte wie: Was ist Natur eigentlich? Ein Gemeingut? Was ist Müll? Wie können wir die komplexen Vorgänge in der Natur verstehen? Oder aber auch: Wie gelingt es uns, vernünftig zu bleiben? Eine Frage, der sich Manuel Erhard widmete und eine Sauna-ähnliche Zelle entwarf, in der man die pure, unverfälschte Langeweile finden kann. Wir nennen es den "Boredroom" (Langeweileraum), der, wenn man ihn zusammen mit dem Projekt "Investigating Boredom" betrachtet, das ebenfalls von Prof. Ammer betreut wurde, zu der Schlussfolgerung führt, dass die Hochschule München wohl die langweiligste Hochschule ist, die wir auf unserer #campustour besucht haben. Ralph Ammer ist demnach der langweiligste Professor in Deutschland. Natürlich im positiven Sinne.
Unter den 15 präsentierten Projekten - unter ihnen auch der allgegenwärtige und unvermeidliche Mehlwurm - waren wir besonders von Yasin Ittlingers Überlegungen bezüglich "What do we find when we get lost?" ("Was finden wir wenn wir verloren gehen?") angetan. Präsentiert als eine kurze Animation einer Figur, die die Massen links liegen lässt und sich für alternative, spontane Wege entscheidet, ist "What do we find when we get lost?" ein wundervoller Lobgesang auf die Spontanität, auf die Fähigkeit offen gegenüber Neuem zu sein, auf unverhoffte Möglichkeiten, darauf, dass man den Mut hat Chancen zu ergreifen, wann immer sie sich ergeben und ziellos Wege einzuschlagen, Sachen neu zu entdecken und alles in allem keinem festgesetztem Weg zu folgen. Von dem Verständnis eine Reise auch als solche anzunehmen, und dass das "Verlorensein" öfters als man vielleicht denkt nur eine Zwischenstation ist. In vielerlei Hinsicht ist das Projekt nicht nur ähnlich der Frage nach Langeweile, sondern auch das perfekte Gegenmittel zu der perfekt organisierten Smart-App-Hölle, die wir bei der Royal College of Art London Graduation Show vorfanden.
Während wir uns sonst keineswegs zu der Dramaturgie der Romantiker hingezogen fühlen, so erwachte doch der innere Shelley in uns als wir unser junges, unerfahrenes Auge auf den "Flowcaste Chair" von Michelle Hussel richteten. Im Rahmen des Kurses "Design Development" ist der "Flowcaste Chair" einerseits eine relativ selbsterklärende Sitz-auf-Holzbein-Konstruktion und andererseits eine aufrichtige, melancholische Ode an den Konsum, an Werte und an den Verfall. So findet man im oberen Teil des Sitzes frische Blumen, die langsam verwelken und verblassen und dennoch, so wie wahre Liebe, nie an Schönheit oder Anziehungskraft verlieren. In vielerlei Hinsicht erscheinen sie verführerischer mit jedem Tag der vergeht, während unter ihnen der unverwüstliche Müll des modernen Lebens lauert: Objekte, die, obwohl sie längst keine Funktion mehr haben, nicht verschwinden wollen und die uns für immer begleiten und verfolgen werden. Fast so wie die unzähligen Entbehrungen unserer Jugend. Oben das Opium, unten die schmutzige, syphilitische Realität. Als Stuhl unpraktisch, als Objekt eine wahre Freude.
Alle Details zu der Hochschule München unter: www.design.hm.edu