Obwohl sie älter als das Bauhaus ist, hat die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle nie dieselbe Anerkennung wie ihr hochgelobter Nachbar erfahren. Nichtsdestotrotz existiert die Burg noch und das nicht aufgrund ihrer Lorbeeren, sondern dank der Bemühungen und Ideen ihrer Mitarbeiter und Studierenden, die die Burg ständig weiterentwickeln. Die alljährliche Sommerausstellung zeigt, wie diese Bemühungen aussehen können.
Auch wenn die Ursprünge der Burg bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts reichen, so beginnt ihre eigentliche Geschichte erst 1915, als der Architekt Paul Thiersch zum Direktor der ehemaligen Handwerkerschule gemacht wurde. Mit ihm begann die Umwandlung der Einrichtung in eine Institution, die Kunst und Handwerk verbindet und dadurch sowohl für die Industrie als auch für die Kunden Profit versprach. Die Grundlage für diese Umwandlung bildeten Kurse, in denen Kunst und Handwerk zu angewandter Kunst und angewandtem Handwerk wurden. Diese Kurse bilden bis heute die Grundlage für die Schulung auf der Burg. Während das Bauhaus dem Druck des Nazi-Regimes nachgeben musste und seine Türen schloss - ein Schicksal, dass die Legende erst hervorbrachte - sah sich die Burg Giebichenstein lediglich dazu gezwungen, Kunst und Handwerk zu trennen und sich somit auch von Thierschs ursprünglichem Ansatz zu lösen. Während Kunst und Handwerk nach dem Krieg wieder vereint wurden, befand sich die Burg Giebichenstein unter der Kontrolle einer anderen Diktatur. Einer Diktatur, die ein wenig mehr kreative Freiheit zuließ – zumindest nachdem sie sich von der sogenannten Formalismus-Debatte der frühen 1950er losgesagt hatte und unter der sich die Institution anschickte, eines der wichtigsten Zentren für Industrie-, Produkt- und Möbeldesign in Ostdeutschland zu werden. Heute bietet die Burg Giebichenstein zusätzlich zu den Kursen in zahlreichen künstlerischen Disziplinen Bachelor- und Masterstudiengänge in Industriedesign, Innenarchitektur, Communication Design, Multimedia Design und Fashion an.
Was Design angeht, so liegt der Fokus der jährlichen Ausstellung der Burg auf den diversen Bachelorkursen, was zur Folge hat, dass die Ausstellung eine Präsentation des Lernprozesses der Burg-Studenten ist. Was die Studenten produzieren hängt dabei sowohl davon ab warum sie es produzieren, als auch vom gesamten Produktionsprozess und dem Gedanken hinter der Produktion. Mit anderen Worten: ein unspektakuläres Objekt von einer gut geschulten Klasse kann wesentlich wertvoller sein als ein außergewöhnliches Objekt das von einzelnen Studenten ins Leben gerufen wurde. Von all den Klassen waren wir besonders von „Reisen in 3 Etappen“ beeindruckt: Der erste Schritt malt sich das burgeigene Cargo-Bike aus, im zweiten Schritt wird eine Wasserflasche und im dritten ein Spazierstock designt. „Ausbeutung/Entdeckung” zielte darauf ab, einen einfachen, alltäglichen Gegenstand zu nehmen – unter ihnen ein Kolben, ein Kleiderbügel und ein Korb – und daraus etwas Neues zu kreieren. Oder die beiden “Baktertien-Klassen”, von denen “Microbes l” die Biomineralisation entdeckte, also jene Mikroben die in der Lage sind Mineralien zu produzieren, und “Microbes ll”, der sich mit der Nutzung von Algen beschäftigte. Es wurden jedoch nicht nur Semesterprojekte ausgestellt; auch die Abschlussabsolventen der Burg waren anwesend. Ihnen stand ein gesamter Raum zur Verfügung, in denen die Abschlussprojekte von den jeweiligen Arbeiten begleitet wurden. Diese machten deutlich, dass sich das Design-Studium genauso um die theoretischen und praktischen Prozesse vor einem Projekt, wie auch um seine finale Fertigstellung dreht.
Wie sich herausstellte, sollte “Raumgefühl” eine herrliche darüber Lehre sein, wie die Feinheiten eines Objektes seine Wahrnehmung bestimmen. Zumindest war es uns eine Lehre. Als wir “Raumgefühl” zum ersten Mal sahen, befand es sich auf einem Tisch und reckte ähnlich einer exotischen Blume gen Himmel. Und während wir die Idee durchaus zu schätzen wissen, so konnten wir mit “Raumgefühl” als Objekt schlichtweg nicht viel anfangen – die Proportionen und die Größe hatten etwas an sich, das uns irritierte. Kurze Zeit später sahen wir es noch einmal; dieses Mal jedoch als Pendelleuchte. Die Begeisterung war um ein Vielfaches höher. Es ist nicht so als ob uns zwischen den beiden Begegnungen etwas zugestoßen wäre – weder lebensverändernde Erlebnisse, noch einschneidende Ereignisse (von den 30 Metern Fußweg mal ganz abgesehen) – und somit konnten wir nur zu einem Schluss kommen: Unsere Wahrnehmung des Objekts musste etwas mit der Nutzung des Objekts im Raum zu tun haben. Als Hängeleuchte ergaben die Proportionen und die Größe auf einmal Sinn; sie kreierten ein Objekt, das mit zurückhaltender Dominanz über dem Raum schwebte, fast wie die Verkörperung eines Art Deco-Traums. So sehen wir die Lampe in einem Appartement in einem Wolkenkratzer in den späten 1920er Jahren: Unter ihrem Licht tummeln sich die Partygäste zwischen Cocktails und Snacks während sie immer wieder einen sehnsüchtigen Blick nach draußen werfen.
“Bird” von Theresa Augustin ist eines dieser herrlich erfrischenden, unbeschreiblichen Objekte. Eigentlich stellt es auch nicht viel mehr als eine Form dar. Und somit ist es euch Ihnen, liebe Leser, überlassen, wie, wo und ob man es benutzt. In erster Linie scheint „Bird“ ein vielseitiges Sitzobjekt zu sein, dass zwei Sitzpositionen anbietet – Theresa schlägt auch eine dritte Position vor, aber diese konnten wir selbst bei bestem Willen nicht erkennen. Doch das ist ganz und gar nicht schlimm, denn dadurch verspricht „Bird“ seinen Nutzer auf eine Entdeckungsreise zu nehmen. In farbenfrohen pulverbeschichteten Metallen stellt das Objekt einen zeitgenössischen Vogel für das Büro oder das Eigenheim dar.
Eines der Dinge, in denen Designschulen wirklich gut sind und für das Designstudenten sich stets begeistern können, ist das Entdecken von neuen Materialien und Produktionsmethoden. Sei es, dass diese wissenschaftliche Forschung benötigen oder einfach nur eine Weiterentwicklung dessen sind, was bereits vorhanden ist. So wie beispielsweise Seegras. Mit “Reepwerk”, haben Marc Wejda und Rike Silz das, was normalerweise als organischer Müll an die Nordseeküste gespült wird, in Seile umgewandelt, was eine scheinbar elegante Lösung zu sein verspricht - auch wenn es bisher eine Lösung ist, die noch ein wenig Weiterentwicklung bedarf. Trotzdem zeigt die Arbeit ein interessantes neues Material, das Potenzial für ein vollkommen neues Gewerbe hat. Außerdem soll die Arbeit, wie Marc und Rike hoffen, eine Diskussion auslösen, wie die Unmengen an Seegras, die tagtäglich an den Küsten landen, kreativ umgesetzt werden können.
Wie unseren aufmerksamen Lesern mit Sicherheit nicht entgangen ist, haben wir eine – im besten Fall – stürmische Beziehung zu Readymades, wenn wir sie auch nicht gänzlich ablehnen. Auch wenn “Sitzen Stehend Leute” streng betrachtet kein Readymade ist, so werden wir es trotzdem als ein solches ansehen – immerhin kann eine echte Fahrradkette auch ein Sitzplatz sein, wenn auch nur für eine Wühlmaus. Sie müsste ziemlich vergrößert werden, um auch für Menschen nutzbar zu sein. Wenn man das allerdings macht, so wie Amélie Ikas und Chris Walter es getan haben, bekommt man eine höchst befriedigende, logische und gleichzeitig spielerische Sitzmöglichkeit, bei der die Nutzer sich frei bewegen können. Dabei können die Glieder je nach Bedarf unterschiedlich miteinander kombiniert werden. So entsteht eine sehr einfache und dennoch nie langweilig werdende Sitzlandschaft.
Die transportable, wiederaufladbare Lampe hat sich ziemlich schnell in der Lampenwelt etabliert. Im Prinzip ist die Version der Lampe nichts anderes als eine Form der Weiterentwicklung, die mit der Kerze begann und mit Öl- und Paraffinölen fortgesetzt wurde: Allesamt Objekte, die es einem ermöglichen, Licht überall hinzutragen, wo es benötigt wird – vom Garten ins Wohnzimmer und weiter ins Bett. In dieser Hinsicht ist „MI:“ nichts Neues. Auch formell schlägt es keine sonderlich neuen Wege ein. Dennoch gelingt es dem Objekt durch seine Vielseitigkeit zu beeindrucken. Und das durch nicht mehr als ein Schließmechanismus am Griff. Ein Mechanismus, der es erlaubt „MI:“ aufzuhängen. Es ist nicht so als ob andere transportable Lampen nicht auch aufgehangen werden können, aber „MI:“ kann so gedreht werden, dass das Licht praktisch und hilfreich nach unten zeigt und nicht, wie bei so vielen anderen Lampen, nach oben. Nichts revolutionäres, aber ein dennoch gut durchdachtes und realisiertes Objekt.
Alle Details über die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle unter: www.burg-halle.de