Bereits der Apostel Paulus schreib in seinem Galaterbrief: „Was der Mensch sät, das wird er auch ernten.“ Wie sich diese Weisheit manifestiert, kann man derzeit anhand unserer verdrehten Wahrnehmung bezüglich der modernen Farmwirtschaft und der Produktion von Lebensmitteln beobachten. Was wir säen könnten, oder vielmehr sollten, um die Früchte einer nachhaltigen, demokratischen Ernte zu erlangen und was unsere persönliche Einstellung zu Lebensmitteln mit dieser Frage zu tun hat, wird derzeit in der Ausstellung „Food Revolution 5.0 - Gestaltung für die Gesellschaft von morgen“ im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg näher betrachtet.
Die Tatsache, dass eine Ausstellung wie die “Food Revolution 5.0” im Jahre 2017 stattfindet, hat fast schon etwas, um es gleich ganz offen zu sagen, perverses an sich. Essen ist ein Grundbedürfnis – eigentlich sollten wir nicht einmal darüber nachdenken, wo es herkommt, wie leicht zugänglich und nahrhaft es ist und erst recht nicht wie wir es konsumieren. Eigentlich sollten wir das nicht. Tun wir aber.
Die Landwirtschaft und unser Verhältnis zum Essen sind derzeit keineswegs auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Eine Tatsache, die sich dringend ändern muss. Dass sich ein Museum für Kunst und Gewerbe der Frage annimmt, wie wir eine ausgewogene, demokratische Nachhaltigkeit erreichen können, ist überaus passend. Immerhin finden sich in Kunst und Industrie viele Probleme und Hindernisse, die überwunden werden müssen, um der Lösung dieser Frage ein Stückchen näher zu kommen. Zu diesem Zweck teilt die Ausstellung die Kette der Lebensmittelproduktion in vier Stadien ein: Farm, Markt, Küche und Tisch. Etwas mehr als 30 Projekte von diversen Designern und Künstlern widmen sich diesen Stadien.
Als eine höchst kritische, eigenwillige Ausstellung präsentiert die „Food Revolution 5.0“ zum Teil äußerst extreme Positionen; Positionen, die sich weit außerhalb des Konventionellen, Komfortablen oder Vorstellbaren befinden. Indem vermieden wird, sich in etwaigen spezifischen Banalitäten zu verlieren, gelingt es der Ausstellung eine Plattform zu schaffen, auf deren Grundlage es möglich ist, offen, ehrlich und konzentriert über die Ansätze von Lebensmittelproduktion, -verteilung und -konsum der Zukunft zu diskutieren.
Ein Grund für unsere missliche Lage ist wohl die Entwicklung der Landwirtschaft: War sie einst vorrangig zur Lebensmittelproduktion vorgesehen, ist sie zu einem äußerst profitablen Geschäft geworden. Auch wenn es kein Grund gibt, der gegen Landwirtschaft als eine Profit einbringende Industrie spricht, so hat die Landwirtschaft, wie wir sie heute kennen, nicht mehr viel mit dem Essen zu tun, die sie hervorbringt. Sei es durch die Intensivlandwirtschaft, die jede noch so kleine Parzelle so gut es geht nutzen möchte, durch Monokulturen oder durch die Ausbeutung von anderen, weit entfernten Ländern, die Lebensmittel für die Vorlieben unserer europäischen und nordamerikanischen Gaumen produzieren. Das Bestreben lediglich profitorientiert zu produzieren, schadet nicht nur unserer heimischen Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, sondern nimmt auch globalen Einfluss auf Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft. Während die Strecken, die unser Essen auf dem Weg zu uns zurücklegen muss, weder umweltfreundlich noch sonderlich sicher oder gar fair sind, so geht unsere Beziehung zu Essen, die einst von saisonaler und regionaler Verfügbarkeit geprägt war, kläglich den Bach herunter.
Angefangen mit einer Serie von Postern und Videos, die kurz und knapp relevante Daten rund um moderne Lebensmittelproduktion, -verteilung und -konsum präsentieren, untermauert „Food Revolution 5.0“ grafisch, in welchem Ungleichgewicht sich unser derzeitiges System befindet. Diese Grafiken bilden die Grundlage für die Entdeckungsreise der Ausstellung hin zu neuen, fairen und nachhaltigen Systemen. Gesetzt den Fall, dass solche Systeme überhaupt möglich sind.
Landwirtschaft funktioniert nach einem sehr einfachen Prinzip: Nutzpflanzen und Tiere werden gesät. Sie wachsen und werden geerntet. Anschließend werden sie verkauft. Und dann geht es wieder von vorne los.
Industrielle Landwirtschaft ist auch sehr einfach: Produziere so viel wie möglich, so günstig wie möglich und verkauf es dann weltweit für so viel Geld wie möglich. Was könnte daran falsch sein? Jetzt mal ernsthaft, was?
„The Cow of Tomorrow“ von Paul Gong beispielsweise: 50 % Maschine, 50 % Biotechnologie, 100 % Freak, oder das “Second Livestock” von Austin Stewart, bei dem Fabrikhühner Virtual-Reality Brillen aufhaben, die ihnen vorgaukeln, sie wären in einer angenehmen, freien, Umgebung, wodurch sich ihre Leistungsfähigkeit steigern soll. Lediglich zwei von zahlreichen eindrucksvollen Beispielen, warum man nicht alles, was technisch möglich ist, auch tatsächlich umsetzen sollte.
Weit über die Farm hinaus bedeutet die weltweite Natur der modernen Lebensmittelproduktion für all die blickdichten, geldgesteuerten, weltpolitisch-empfindlichen globalen Lebensmittelmärkte, dass es viele Menschen gibt, deren essentielle Lebensmittelversorgung bedroht ist, Menschen, in deren Leben Situationen außerhalb der eigenen Kontrolle die Möglichkeit haben, dieses ohne Vorwarnung zunichte zu machen. Diese Lebenslage veranschaulicht die Collage „Intimacy of Food and War“ von Isabel Mager eindrucksvoll. Möglicherweise sind wir auch alle bald angewiesen auf Projekte wie die „Near Future Algae Symbiosis Suit“ vom Studio Burtonnitta, das ausgestoßenes Kohlendioxid zur Versorgung von Algen nutzt, die wiederum Menschen in einem geschlossenen, maskenartigen System versorgen. Zum Glück gibt es auch Alternativen.
Projekte wie beispielsweise die „Greenhouse Pigs“ von den Gottlieb Paludan Architekten oder die „Free-range Shelter“ des Studios Makkink & Bey, die eine Rückkehr zu einer kleineren, weniger invasiven und intensiven Landwirtschaft versprechen, wodurch das Lebensmittel als solches wieder in den Vordergrund gerückt wird. Doch so schön diese Ideen auch sein mögen, eine Folge unseres derzeitigen Systems ist, dass nicht nur das landwirtschaftliche arbeiten, sondern auch die Verarbeitung und Verteilung von Lebensmitteln industrialisiert wird. Während es also durchaus möglich wäre lokal zu produzieren, so mangelt es doch an allen Ecken und Enden in der lokalen Infrastruktur: Schlachthöfe, Metzger, Mühlen, Gemüsehändler – all das fehlt. Oder wird zumindest fehlen, wenn wir unser Konsumverhalten nicht schleunigst überdenken. Und obwohl es viel leichter und weitaus bequemer wäre, die Schuld der Lebensmittelindustrie, dem Handel und der Politik zu geben, so macht die „Food Revolution 5.0“ deutlich, dass wir uns eingestehen müssen, dass wir allein für unsere Beziehung zu Lebensmitteln verantwortlich sind und, dass es die beste Alternative zum Status Quo und möglichen Zukunftsszenarien ist, diese Beziehung zu ändern – oder zumindest zu überdenken.
Ein Punkt, der auf der Hand liegt, wenn man seine Beziehung zu Lebensmitteln überdenkt, ist, sich zu fragen, was man isst. Die fleischlose Zukunft ist gerade ein besonders populäres Thema. Eine Zukunft, die wir mehr als nur gut heißen würden: Viel zu viele limitierte Ressourcen werden in die globale Produktion und Verteilung gesteckt, was einfach absurd ist.
Durch Projekte wie “Sea-Meat Seaweed” von Hanan Alkouh oder “Falscher Hase”, der auf einem Mehlwurm basiert, präsentiert die „Food Revolution 5.0“ mögliche realistische Alternativen, Alternativen, die wiederum Fragen nach der zukünftigen Lebensmittelproduktion und -verteilung aufwerfen. Mit “Sea-Meat Seaweed” wird sowohl die traditionelle Form von Fleisch als auch das Handwerk des Schlachters beibehalten. Aber ist das wirklich nötig? Wäre es nicht viel besser sich damit abzufinden, dass die Gesellschaft der Zukunft ihre eigenen Traditionen entwickeln wird? „Falscher Hase“ wiederum bedient sich eines 3D-Druckers. Werden wir Essen mit einem 3D-Drucker herstellen? Und ist das wirklich nötig?
Neben der Frage, was wir essen, versucht „Food Revolution 5.0“ unsere Beziehung zu Essen durch die Art und Weise wie und wie viel wir konsumieren und wie viel wir kaufen zu verstehen. „Volumes“ von Marije Vogelzang beispielsweise ist eine Serie von Objekten, die dem Gehirn weismachen wollen, es wäre mehr Essen auf dem Teller als es tatsächlich der Fall ist. Oder die Fotoserie „One Third“ von Klaus Pichler, die Lebensmittelabfälle zeigt und somit verdeutlicht, wie viel Essen produziert und gekauft wird. Oder „Maze Cover“ von José de la O, das die Geschwindigkeit der Nahrungsmittelaufnahme verringert und so dem Gehirn Zeit für Rücksprache mit dem Magen gibt, der folglich rechtzeitig Bescheid geben kann, wenn die maximale Auslastung erreicht ist. „Food Revolution 5.0“ zwingt uns dazu, uns mit unserer individuellen Beziehung zu Essen auseinanderzusetzen, und alle die Gültigkeit und Nachhaltigkeit dieser Beziehung in Frage zu stellen. Und ja, damit meinen wir auch unsere selbsternannten Foodies und selbstherrlichen Instagrammer, ja im Prinzip alle, die Essen als ein Erlebnis, fast schon eine Performance ansehen, als eine Kunstform vielmehr als einen Nährstoff. Ihr alle seid Teil des Problems – lasst es einfach sein! Ein durchaus elegantes Gegenmittel wir von “Communal Cooking Landscape”, einem Konzept von Werner Aisslinger, vorgeschlagen. Darunter kann man sich eine Fläche vorstellen, die Essen wieder zu einem sozialen Erlebnis in der analogen Welt macht und sich abgrenzt von seiner virtuellen Wahrnehmung, was möglicherweise die Rettung für unsere Essgewohnheiten ist, auch wenn wir die Idee hinter Küchenutensilien, die miteinander kommunizieren, komplett verstörend finden. Die einzige Form der Kommunikation, die in der Küche stattfinden sollte, ist die zwischen den anwesenden Menschen und Tieren. Und die Beschimpfungen des nervigen Typs im Radio.
Die große Zahl an konzeptionellen Projekten, welche die „Food Revolution 5.0“ präsentiert, könnte, oder sollte, einen vermuten lassen, dass das Wort „Eindhoven“ in sämtlichen Designerbiografien vorkommt. Wir sind uns nicht ganz sicher, ob das so gut ist. Entgegen aller Behauptungen ist die Designakademie Eindhoven kein modernes Delphi, sondern vielmehr steht sie stellvertretend für eine Annäherung an Design. Deswegen ist es umso erfreulicher, dass der letzte Abschnitt der Ausstellung auch andere Designschulen zu Wort kommen lässt. Ausnahmslos sind diese von sehr viel praktischerer Natur. Genauso befriedigend ist der gut ausgestattete Lesebereich in dem Labor, der es den Besuchern ermöglicht ihr Interesse zu vertiefen, was nicht nur zur Unterstützung, sondern auch zur Erweiterung der Präsentation beiträgt.
Auch wenn wir das am Anfang vielleicht so angedeutet haben, so ist es ein Irrtum zu glauben, dass früher alles besser war. War es nicht. Die Dinge waren einfach anders schlecht. Ganz egal welches Zeitalter man betrachtet, man wird niemals eine sichergestellte, demokratische Verteilung von Lebensmitteln finden, man wird niemals einen Zeitraum finden, in dem niemand unter Hungersnot oder Mangelernährung litt. Die Tatsache, dass es uns heute auf eine andere Art und Weise schlecht geht, liegt daran, wie eine Vielzahl an aufeinander folgenden Generationen mit neuen Techniken, Materialien und Prozessen umgegangen ist. In diesem Post wurde ja bereits darauf hingewiesen, dass moderne Wissenschaft und Technik Möglichkeiten besitzen, alles noch viel, viel schlechter zu machen als es ohnehin schon ist.
In unseren Augen hat sich jedoch eine Sache drastisch verbessert: Das Verständnis in großen Teilen der Bevölkerung, dass sich etwas verändern muss, das nicht nur unsere aktuelle Situation und Richtung falsch sind, sondern, dass wir uns vielleicht von vornherein nicht auf dem richtigen Weg befunden haben. Breitgefächerte Aufklärung und effizientere Verteilung von Informationen verschaffen uns einen enormen Vorteil gegenüber unseren Vorfahren und ermöglichen uns eine großflächige Debatte zu der alle beitragen können und sollten. Weil eine Ausstellung wie die “Food Revolution 5.0” nicht die kostspieligste ist, zumindest was die Ausstellungsobjekte angeht, verbirgt sie ihre Geheimnisse tief und es wird den Besuchern überlassen, diese zu finden. Durch die einfache Art und Weise der Präsentation sowie die übertriebenen Lösungsvorschläge, die gleichermaßen inspirierend und abschreckend sind, trägt die Ausstellung „Food Revolution 5.0“ zu einer willkommenen Abwechslung in der Debatte rund um das Thema Essen und Lebensmittelindustrie bei.
„Food Revolution 5.0. - Gestaltung für die Gesellschaft von morgen“ läuft bis zum 29. Oktober 2017 im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Steintorplatz, 20099 Hamburg. Alle Details können unter www.mkg-hamburg.de gefunden werden.