Die schwedische Stadt Lund ist berühmt als Geburtsort des Tetra Packs und so der Ausgangspunkt einer globalen Revolution hinsichtlich unserer Konsummuster und des Vertriebs von Nahrungsmitteln. Ob sich unter den Abschlussprojekten der Lunder Universität School of Industrial Design auch welche finden, die zu so simplen, logischen und Ressourcen schonenden Lösungen finden - idealerweise natürlich ohne die zusätzlichen Recyclingprobleme - lässt sich jetzt auf der Abschlussausstellung 2017 der Institution herausfinden.
Gegründet 1966 ist die Universität Lund eine der ältesten Skandinaviens. Die Universität Lund School of Industrial Design steckt im Gegensatz dazu noch in den Kinderschuhen. Sie wurde im Jahr 1995 als Studienprogramm innerhalb der Fakultät Ingenieurwesen gegründet und bot anfänglich einen fünfjährigen Masterstudiengang im Bereich Industriedesign an. 2007 führten Reformen zur Aufsplittung in einen dreijährigen Bachelor- und einen zweijährigen Masterstudiengang. Im Jahr 2009 wurde dann aus dem Studiengang Industrialdesign die Lund University School of Industrial Design, eine Institution innerhalb des Bereichs Designforschung, zu der neben dem Bachelor- und Masterstudiengang auch ein Forschungsbereich Industriedesign und ein PhD Programm gehören. Ein wichtiger Protagonist, wenn nicht gar eine Schlüsselfigur bei der Entwicklung der Lund School of Industrial Design, war Schwedens globale Möbelmarke: Im Jahr 1999 lieferte die IKEA Foundation finanzielle Unterstützung, die einerseits zu einem Anstieg der Studentenzahl führte und andererseits auch ein unabhängiges Gebäude auf dem Lund Campus möglich machte - das Ingvar Kamprad Designcentrum. Die Verbindungen zwischen Ikea und der Schule sind nach wie vor eng und zahlreiche Ausstellungsprojekte wurden von der Firma gesponsert. Und nicht nur von Ikea, viele der Abschlussprojekte sind das Resultat von Kooperationen mit Firmen oder zivilen NGOs und Partnern. An sich ist das keine schlechte Sache, solang die Studenten die Autoren ihrer Arbeiten bleiben und das Wesen der Kooperation nicht dazu führt, dass sie davon abkommen, ihre eigenen Vorstellungen von Design zu realisieren.
Mit einer Mischung aus Bachelor- und Master-Abschlussprojekten in einer Vielzahl von Genres beinhaltete die Abschlussausstellung der Lund University School of Industrial Design unserer Meinung nach nichts, das sich als etwas so revolutionäres wie das Tetra Pack herausstellen dürfte. Allerdings war die Ausstellung eine gesunde und angenehme Mischung von Theoretischem, Konzeptuellem und Praktischem, Funktionalem, das heißt von Projekten, die Designprozesse in einer breiten Spanne von zeitgenössischen Settings und Kontexten anwenden - mit unterschiedlich viel Erfolg und Eleganz versteht sich. Wobei, und wir werden nicht müde es zu wiederholen, bei Studentenprojekten kommt es selten bzw. nie vor, dass die Resultate die Hauptrolle spielen. Wichtig ist wie die Studenten zu diesem Resultat gekommen sind, wie sie auf eine Aufgabe reagiert haben, das vorliegende Problem gelöst haben. Wichtig ist ihr Denken und die Art und Weise, auf die sie ein Projekt entwickeln. Das wird auch in Lund wunderbar von Projekten wie, unter vielen anderen, dem Konzept für einen Staubsauger Suck it Up von Isak Folenius, Beyond Local von Anna Gudmundsdottir, das die lokale Produktion von Haushaltswaren erforscht, und der Microbite "biting pouch" von Jan Micha Gamer, einem Projekt, das hoffentlich provokant gemeint ist, gezeigt. Vier Projekte haben unsere Aufmerksamkeit ganz besonders auf sich gezogen...
Die Mehrzahl sozialer Designprojekte befasst sich damit, Alternativen für Menschen zu schaffen, denen diese offensichtlich fehlen. Dabei liefern sie allerdings häufig eher Lösungen für Probleme, als die Probleme direkt anzugehen. Grundsätzlich ist das Problem einfach immer zu komplex um es allein mit einem Designprojekt zu lösen. Humanium Lantern von Erik Arnell geht das Problem an und liefert eine Lösung.
Veröffentlicht im Juni 2016 von der schwedischen NGO IM Swedish Development Partner, wird Humanium aus Metall produziert, das von konfiszierten, illegalen Waffen stammt, und liefert so eine wirklich bedeutungsvolle Art des Recyclings. Für die erste Fuhre Humanium wurde das Material in El Salvador bezogen - kommerziell erhältliches Metall für alle, die interessiert daran sind, damit zu arbeiten. Im Kontext seiner Masterarbeit entwickelte Erik Arnell daraus eine Familie von Humanium Kerzenständern, die in Fair Trade Shops in Schweden verkauft werden sollen - der Profit wird dann wieder dem Projekt zugeführt. Ein elegantes und sehr symbolträchtiges Projekt. Ein Kerzenständer allein wird El Salvadors Waffenproblem jedoch nicht lösen. Allerdings hat Erik neben dem Kerzenständer die Grundelemente eines Produktions-, Vertriebs- und Verkaufsprozesses entwickelt. Das erlaubt ihm und anderen Designern, weiter Projekte zu entwickeln, die in Schweden oder auch in anderen Ländern verkauft werden können. So können sie nicht nur direkt Geld, sondern auch Aufmerksamkeit und Verständnis für das Projekt generieren, und auch die Möglichkeiten des Materials und so hoffentlich die kommerzielle Nachfrage an unbearbeitetem Humanium vermehren. Jedes verkauftes Kilo bedeutet weniger Waffen auf der Straße. Und auch wenn uns die NRA etwas anderes glauben machen will - Waffen töten Menschen!
Kreiert in Zusammenarbeit mit dem schwedischen Outdoormöbel- und Gerätehersteller Nola entstand Norra Hamnen by Odin Brange Sollie aus dem Wunsch heraus, Möbelobjekte zu entwickeln, die sozialen Kontakt in kommunalen Höfen oder anderen aktuellen urbanen Räumen anregen. Das Sofa ist ein gut proportioniertes und ausgeklügeltes Objekt, bei dem die offensichtliche Privatsphäre der Konstruktion mit ihren hohen Flügeln mit der offenen Struktur kontrastiert und so für die notwendige formale Spannung sorgt. Die rostige rote Farbe ähnelt laut Odin wiederum dem berühmten schwedischen Faluröd-Rot und verwurzelt das Objekt so in der Tradition seiner Umgebung. Unnötigerweise, würden wir ergänzen. Für uns ist das Objekt selbstbewusst genug um es mit jedem Farbton aufzunehmen. Und sollte man es wirklich in öffentlichen Plätzen benutzen, wäre es wohl tatsächlich angebracht, damit neben dem Komfort auch etwas Farbe in europäische Höfe zu bringen. Und das gleiche trifft auf zeitgenössische Interieurs zu - sind wir uns doch sicher, dass Norra Hamnen innen genauso wunderbar innen wie auch außen funktioniert.
Wie jeder, der mit der Philosophie von Ron Manager vertaut ist, wissen wird: Alles, was man für ein Fußballspiel benötigt sind ein paar Kumpel, ein Ball und ein paar Pullover um die Tore zu markieren. Die App Goool von Johan Bohman behält die Pullover, beziehungsweise jedes andere Objekt, und kreiert ausgehend von ihnen ein virtuelles Set mit Torpfosten und Querlatten. Der Benutzer legt die Dimensionen in der App fest, die Kamera des Telefons überblickt den virtuellen Raum und pfeift und klingelt jedes mal, wenn der Ball aufs Netz schlägt. Johan Bohman zufolge bedeutet Goool "ein Ende der Diskussion: Tor oder kein Tor?" Da liegt natürlich das ganze Problem von Pullovern als Tormarkierung. Man streitet darüber, wo die Querlatte liegt, ob der Ball reingegangen ist oder wieder nach draußen, nachdem er den Pfosten getroffen hat, ob er den Pfosten überhaupt getroffen hat... Argumente, die sich seit Kindertagen verändert haben mögen. Sicher ist nicht nur, dass Teamsportarten Kindern helfen, sich auf die Erwachsenenwelt vorzubereiten, sondern auch dass intuitive, formlose Erfahrungen für unsere persönliche Entwicklung genauso wichtig sind wie die förmlichen, gut erwogenen Erscheinungen. Schlimm genug, dass die Fußballobrigkeiten Video Replays einführen wollen, um "Fehler" im professionellen Fußball zu vermeiden; wir müssen die Pullover als Torpfosten nicht zensieren. All das soll aber nicht heißen, dass die Technologie, die im Kontext der App entwickelt wurde, nicht ihren Nutzen hätte. Wir können uns beispielsweise verschiedene Trainingssituationen vorstellen, wo die Möglichkeit, ein virtuelles "Ziel" festzulegen, durchaus wertvoll wäre. Aber lasst uns unsere Kickerei im Park...
Wir sind uns nicht sicher, ob man Gentrifizierung als Entwicklung bezeichnen kann oder sollte. Also umgehen wir das Thema. Kurz bevor wir uns auf den Weg nach Lund gemacht haben, waren wir auf dem Festival State of Design Berlin, wo die Präsentation "wie nachhaltig war meine Nachhaltigkeit" das Projekt Watercone von Stephan Augustin umfasste. Designt für Gebiete mit Brackwasser nutzt Watercone Destillierung und Verdunstung um Abwasser in Trinkwasser zu verwandeln. Das Projekt ist eines von mehreren solcher low-tech und low-cost Projekte für Bereiche mit einem Mangel an Trinkwasserreserven, die wir in den letzten Jahren gesehen haben. Und eines, das keinen Geldgeber gefunden hat, auch wenn es sich in der ständigen Sammlung des MoMA befindet.
Sundrop von Erin Karlsson operiert nach einem ähnlichen Prinzip wie Watercone, ist aber gedacht für Segler und andere Seefahrer. Erin Karlsson zufolge ist Sundrop in der Lage bis zu einem Liter Trinkwasser am Tag zu produzieren und könnte so, da es für den täglichen Wassergebrauch eher ungeeignet scheint, vor allem als Notfallzubehör eine wichtige Rolle spielen. Präsentiert in einer passenden, gut abgewogenen Form in Seefahrtsgewand, beinhaltet Sundrop zusätzlich eine clever integrierte Flasche um das neu gewonnene Wasser zu lagern. Alles in allem ein schönes Stück gut erwogenes Produktdesign. Wünschen würden wir uns, ganz nach dem Motto des Little Sun Projektes von Olafur Eliasson, dass, sollte ein Hersteller Interesse an Sundrop finden, man untersucht ob man es nicht als kommerzielles und soziales Projekt gleichermaßen entwickeln könnte. Denn die Probleme von Fischern und Seemännern in den Weiten der Meere sind nun mal denen der Millionen von Menschen mit beschränktem Zugang zu frischem Wasser sehr ähnlich.
Alle Details zur Lund University School of Industrial Design sind unter www.industrialdesign.lth.se zu finden, Informationen zu allen Bachelor- und Masterprojekten des Jahres 2017 unter Lund Exhibition -17