Bei der Adresse "Am Weissenhof 1" sollte es nicht überraschend sein, dass die Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (ABK) nicht nur das erste Gebäude an dem sagenumwobenen Standort auf dem Stuttgarter Killesberg war, sondern dass sie auch eine wenngleich relativ kleine Rolle dabei spielte, das Märchen aufzubauen. Professor Adolf Schneck designte zwei der Häuser, die Werkstätten der Schule, unter der Aufsicht von Hilde Zimmermann, die für die Küche eines von Schnecks Häusern verantwortlich war. Studenten und Alumni wie Camille Graeser, Rudolf Frank und Hermann Gretsch leisteten Beiträge zum Interieur weiterer Häuser. Abseits der Konstruktion und der Einrichtung war der ehemalige Student und zukünftige Professor Willi Baumeister für die Typografie der Ausstellung verantwortlich und gründete zusammen mit seinem Alumnikollegen Karl Straub die "Grafikabteilung". Sie waren für das verantwortlich, was man heute als Corporate Identity bezeichnen würde.
Das war allerdings damals. Einen Eindruck vom Jetzt der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart gibt es auf dem Rundgang 2016 mit Semester- und Abschlussarbeiten.
Das originale Hochschulgebäude Am Weissenhof 1, der sogenannte Altbau* , wurde 1913 für die damals neu gegründete Kunstgewerbeschule errichtet und von Bernhard Pankok, dem Leiter der Hochschule, designt. Pankoks Vorstellung ging allerdings weit über die Mauern der Kunstgewerbeschule hinaus und sah eine Institution voraus, die Stuttgarts zahlreichen Kunsthochschulen vereinte und so einen integrierten, interdisziplinären Ansatz bei der Ausbildung in den Bereichen Kunst und Architektur ermöglichte. Dies war trotz Pankoks Anstrengungen vor dem Ersten Weltkrieg und der Anwesenheit so vieler ähnlich denkender Modernisten in Stuttgart in den Jahren zwischen den Kriegen formal bis 1946 und zur Gründung der Akademie der Bildenden Künste nicht realisiert worden.
In den Bereichen Produkt- und Möbeldesign wurde der Neustart nach dem Krieg größtenteils von Professoren wie Herbert Hirche, Hans Warnecke oder Adolf Schneck geprägt. In den folgenden Jahren übernahmen Arno Votteler, Herta-Maria Witzemann oder Richard Sapper das Zepter und gaben es schließlich an Uwe Fischer und Winfried Scheuer weiter, die heute für die Vordiplom-Klassen verantwortlich sind. Diese Tatsache hebt hervor, dass der Abschluss an der ABK Stuttgart immer noch das Diplom ist und nicht, wie es in Deutschland immer häufiger der Fall ist, der Bachelor und/oder Master.
Wie es sich für eine Designschule, die seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besteht, gehört, haben Workshops und praktisches Arbeiten immer eine zentrale Rolle an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart gespielt. Zu diesen technischen Fähigkeiten kommen im Bereich Industriedesign noch Entwerfen, Konzeptualisieren, Styling, Planung und Designen hinzu, wie Peter Mark Roget ohne Zweifel sagen würde.
Für Studierende der Architektur und des Industriedesigns findet das erste Jahr an der ABK Stuttgart gemeinsam statt. Ihnen werden die Grundlagen des Entwerfens, Zeichnens und Konstruierens gelehrt sowie einige Kurse, aus denen eine der interessanteren Ausstellungen des Rundgangs 2016 hervorging, nämlich "Sitzen - Von der Idee zum Objekt". Die Kursteilnehmer wurden dazu aufgerufen, innerhalb von nur 9 Stunden einen Stuhl/Hocker aus einem einzigen Holzbrett (4,5 m lang, 45 mm breit, 19 cm dick) zu entwerfen. Die Ergebnisse waren überraschend originell und betonten in ihrer Originalität einerseits die Auffassung, dass Einschränkungen oft der beste Antrieb für Inspiration sind und andererseits, dass man jemandem nicht unbedingt beibringen kann, Ideen zu haben. Entweder hat man Ideen, oder eben nicht. Wie man diese Idee dann aus einer Skizze oder in diesem Fall aus einem schnell gebauten Modell zu einem Prototyp und dann zu einem Endprodukt weiterentwickelt, ist allerdings etwas, das man lehren kann. Wie dies an der ABK Stuttgart umgesetzt wird, war die grundlegende, elementare Frage der weiteren Ausstellungen.
Unter dem Titel "No Entry - Industrial Design 2016" präsentiert der Bereich Industriedesign der ABK Stuttgart Gruppenprojekte, Einzelprojekte und Diplomprojekte aus dem vergangenen Semester. Der Flur des Werkstattgebäudes wurde abgedunkelt und mit roten Lichtern ausgestattet - ein Präsentationskonzept, das den Eindruck vermittelt, als wäre man in einem übermäßig stereotypen Bordell und einen so dazu bringt, über den aktuellen Zustand des Designberufs nachzudenken. Wir wissen nicht, ob das beabsichtigt war oder ob nur wir darauf kamen.
Es gab Präsentationen der Ergebnisse von Projekten wie "Unleashed – Autonomous Intelligence", das die Möglichkeiten der autonomen Intelligenz im Produktdesign und die Extrapolation, wie Designer die neuen Möglichkeiten nutzen können und/oder sollten behandelt oder "Kleiner Schlossplatz", ein Projekt, das in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Stuttgart durchgeführt wurde und das Vorschläge für eine Neugestaltung des Kleinen Schlossplatzes in der Stadt suchte. Neben diesen Projekten erregte das Projekt "Coffice" unter der Leitung von Bastian Müller unsere Aufmerksamkeit. Keines der ausgestellten Objekte aus dem Bereich Co-Working-Spaces hat uns besonders gefallen, sie konnten uns nicht von ihrer Daseinsberechtigung überzeugen. Dennoch zeigten sie alle interessante Perspektiven auf die Unterschiede zwischen Co-Working und konventionellen Arbeitsplätzen, betonten die unterschiedlichen Anforderungen von und an Möbel und Accessoires und zeigten so die Sorgfalt, die Wahrnehmung und die Aufmerksamkeit für Details, mit der die Studierenden sich der Aufgabe widmeten. Der konkrete Bedarf nach auf Co-Working-Spaces zugeschnittenen Lösungen, nach Objekten, die wir auf der NeoCon 2016 nicht gesehen haben, wurde verdeutlicht. Wir freuen uns darauf, diese auf der Orgatec 2016 zu suchen.
Natürlich brachte der Rundgang 2016 an der ABK Stuttgart auch ein freudiges Wiedersehen mit dem Projekt Più di Pegoretti aus Mailand mit sich.
Weitere Informationen zu dem Bereich Industriedesign an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart gibt es auf http://id.abk-stuttgart.de/.
*Der Name unterscheidet es deutlich von dem jüngeren Neubau 1 und Neubau 2