Auch auf die Gefahr hin, dass es jetzt politisch wird: Der Begriff "neokonservativ"/"neokon" hatte nicht immer den besten Ruf. Besonders in Europa nicht, wo seine Konnotation mit der amerikanischen Vorherrschaft durch das Militär ihn lange mit Verdacht, Intrigen und allgemeiner Ablehnung in Verbindung brachte.
Daher ist es für uns umso amüsanter, dass die "NeoCon" eine von Amerikas größten Messen für zeitgenössische Möbel werden sollte. Die Bilder, die dieser Name heraufbeschwört, konnten uns einen ganzen Langstreckenflug lang erheitern...
Die "NeoCon" findet seit 1969 im Showroom und Ausstellungszentrum des Merchandise Mart in Chicago statt, einem Gebäude also, das so groß ist, dass es eine eigene Postleitzahl hat. Die Messe ist Amerikas größte Plattform für "Objektmöbel", also im Wesentlichen - wenngleich nicht ausschließlich - Büromöbel. 2016 waren auf der Veranstaltung etwa 500 Firmen zugegen, die sich über drei Etagen mit festen Showrooms und über eine weitere Etage mit temporären Messeständen verteilten.
Das Wichtigste zuerst. Die NeoCon ist nicht glamourös. Ein Gebäude voller Männer in Anzügen, die andere Männer in Anzügen davon überzeugen wollen, dass ihre Stühle ergonomischer und umweltverträglicher sind, dass ihre höhenverstellbaren Tische gesundheitsfördernder und ihre schalldichten Vorrichtungen schalldichter sind als die äußerst ähnlich aussehenden Produkte der Konkurrenz, ist kein wirklich guter Ort, um sich selbst zu finden.
Veranstaltungen wie die "NeoCon" sind dazu da, Möbel zu verkaufen, oder zumindest den potentiellen Verkauf von Möbeln zu bewerben. Das ist ihre Daseinsberechtigung. Wir, die wir von Design fasziniert sind, müssen uns den Weg dort hindurch bahnen in der Hoffnung, Projekte zu finden, die uns bestätigen, dass eine designorientierte Möbelindustrie eine gesunde und nachhaltige Möbelindustrie ist.
Und das haben wir!
Was folgt, ist wie immer unsere subjektive Beurteilung dieser neuen, oder zumindest für uns neuen, ausgestellten Produkte. Wie immer haben wir nicht alles gesehen und nicht unbedingt alles verstanden, was wir gesehen haben. Vor diesem Hintergrund präsentieren wir euch hier unsere Top Five von der NeoCon Chicago.
Horsepower von Antenna Design für Knoll
Wir wir letztens bereits bemerkt haben, geht es bei gutem Design nicht unbedingt darum, die richtige Lösung zu finden, sondern die Frage richtig zu verstehen. Deswegen bewunderten wir die Kantbank von Andreas Grindler für kkaarrlls und die Metallstange, die die Ausstellungshallen in Mailand umgibt. Diese ist vermutlich aus Sicherheitsgründen da, stellt aber oft das beste Stuhldesign jeder Halle dar. Manchmal wollen wir uns einfach kurz hinsetzen. Daher waren wir von Horsepower von Antenna Design für Knoll auch so begeistert. Wenn ihr das nächste Mal in der Stadt oder in einem Einkaufszentrum unterwegs seid, dann achtet mal darauf, wie viele Menschen auf Treppen, Pollern, Fensterbänken, ihrem Gepäck oder auf dem Boden sitzen. Jede fünfte Person lädt ein Mobilgerät in einer ungünstig gelegenen Steckdose auf. Sie brauchen einen einfachen Balken mit Polsterung, Steckdosen und USB-Ladestationen. Die Welt kann so einfach sein.
BuzziJungle von Jonas Van Put für BuzziSpace
Die Zukunft von Büros ist vertikal. Das gilt natürlich nicht für alle Büros, das wäre lächerlich. Als Teil von ganzheitlichen Bürokonzepten, die Stillarbeitsplätze und Bereiche für konzentrierte Gruppenarbeit, Brainstorming, soziale Interaktion und Ruhepausen beinhalten, werden vertikale Lösungen immer unvermeidbarer, da sie räumliche und organisatorische Möglichkeiten bieten, die traditionelle "2D"-Büros nicht bieten können. In der Vergangenheit haben wir neben anderen Innovationen die Installation "The End of Sitting" von RAAAF & Barbara Visser in der Galerie Looiersgracht 60 in Amsterdam und das "Shrinking Office Project" von dem in Rotterdam ansässigen Roy Yin positiv erwähnt. Soweit wir wissen - und wir mögen uns irren - ist BuzziJungle die erste im Handel erhältliche Lösung für ein vertikales Arbeitsplatzmodell. BuzziJungle wurde von dem belgischen Designer Jonas Van Put für die belgische Marke BuzziSpace entwickelt, ist frei konfigurierbar und kann so den speziellen Anforderungen eines Raumes angepasst werden. Auf verschiedenen Etagen bietet es viele Sitz- und Liegemöglichkeiten und somit einen Platz für zwanglose Gruppenarbeit oder für Ruhepausen der Arbeitnehmer. Wir sind nicht unbedingt begeistert davon, dass Drahtgitter als Basis zum Sitzen/Liegen verwendet wurden. Wir verstehen den Gedanken dahinter, finden aber, dass ein leichtes Gefühl von "Gefängnis" ausgelöst wird. Wir hätten der starren, dauerhaften Version, die präsentiert wurde, ein modulares System vorgezogen. Als Einstieg in eine schöne neue Welt ist BuzziJungle jedoch ein sehr positiver und sehr willkommener Schritt. Dass BuzziSpace diesen gegangen ist, ergibt nicht nur Sinn, sondern verspricht auch Gutes für zukünftige Entwicklungen.
Massaud Conference Low Back von Jean-Marie Massaud für Coalesse
Der Massaud Chair, den der französische Designer Jean-Marie Massaud für den US-Hersteller Coalesse entworfen hat, ist nicht neu. Neu ist die Low Back Conference Version und für uns sind das entscheidende, wenn nicht sogar krönende Merkmal die Armlehnen. Optisch erinnert er sehr an Hans J. Wegners PP19 "Papa Bear Chair" und die wohlüberlegte Krümmung macht die Armlehnen komfortabel und das ist bei Armlehnen - ein bisschen absurd - nicht immer der Fall. Zusätzlich sorgen sie für einen hohen Sitzkomfort, ohne den Sitzenden unnötig einzuengen. Man hat seine Freiheit und genießt sie. Fügt man diesem Komfort und dieser Nutzerfreundlichkeit die sehr schöne, cleane Verbindung zwischen Sitz und Rückenlehne und die einladende Vertrautheit hinzu, die man eher mit einem Lounge Chair als mit einem Konferenzstuhl verbindet, so erhält man ein sehr rundes, interessantes Objekt. Ja, der Markt für Konferenz- und Gästestühle ist übersättigt, aber für uns ist der Massaud Conference Low Back eine sehr erfreuliche Ergänzung des Genres. Und wir kennen da viele, ohne die wir auch ganz gut zurechtkommen würden.
Presto von Thorsten Franck für Wilkhahn
Bei Möbeldesign geht es nicht nur darum, formal attraktive Objekte zu entwickeln. In vielerlei Hinsicht ist das sogar das Letzte, worum es geht. Eher steht beim Möbeldesign im Fokus, sich dort an den Wandel im sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und ökologischen Bereich anzupassen, wo Möbel genutzt werden. Es geht darum, sich dem technologischen Wandel und somit neuen Verarbeitungsmöglichkeiten anzupassen, der Entwicklung der Materialien zu folgen und sie auf neue Produkte und/oder Produktionsprozesse zu übertragen. Ein wunderbares Beispiel für Letzteres ist der Presto Hocker, den der in München ansässige Designer Thorsten Franck für den deutschen Hersteller Wilkhahn entworfen hat. Der bikonische Hocker ist in Sachen Form nicht besonders neu oder aufregend, er ist zweifellos optisch ansprechend. Die Tatsache, dass es sich um einen mit einem 3D-Drucker hergestellten Hocker handelt, ist allerdings sehr neu und aufregend. Thorsten Franck zufolge ist die Möglichkeit, solch einen Hocker zu drucken, erst im Laufe der neuesten Entwicklungen von im Handel erhältlichen Materialien für den 3D-Druck entstanden. Theoretisch war das bereits möglich, allerdings mangelte es noch an der Wärmestabilität und an heißen Tagen konnte die Stabilität der Struktur nicht garantiert werden. Neuere Materialien sind wärmebeständiger und bieten die erforderliche Robustheit. Auch das äußere Muster ist wichtig für die Beständigkeit des Hockers Presto. Das Muster sorgt für die physische Stabilität der sehr dünnwandigen Struktur und ist mehr als bloße Verzierung. Hier folgt die Form der Funktion insofern, als die Dekoration funktional ist. Wir denken, diese Tatsache ist sehr im Sinne Louis H. Sullivans.
Neben dem Objekt selbst begeistert uns an Presto besonders, dass es uns einen Schritt näher an die dezentralisierte industrielle Möbelproduktion heranbringt. Der Gedanke, ein Möbel am Ort X zu produzieren und es um die Welt zu transportieren, ist immer weniger zu rechtfertigen und jede technologische, materielle oder den Prozess betreffende Entwicklung, die uns einen Schritt näher zur Reduzierung des Ganzen auf ein Mindestmaß bringt, muss beglückwünscht werden.
Formal ist das Produkt in verschiedenen Mustern und Größen erhältlich. Die NeoCon Chicago war ein "Pre-launch-launch" und der Launch des Produkts und seiner Verfügbarkeit auf dem Markt ist für die Orgatec Köln im kommenden Herbst geplant.
Zip von Alex Akopova für Bernhardt Design
Sofabeine haben ohne Frage eine wichtige Funktion, sind aber nicht immer notwendig. Genau wie ein Bett, kann auch ein Sofa direkt auf dem Boden stehen. Zip von Alex Akopova wurde als Teil der langjährigen Zusammenarbeit zwischen dem US-Hersteller Bernhardt Design und Studenten des in Pasadena ansässigen Art Center College of Design entworfen. Es zeigt wunderbar, dass das Entfernen der Beine nicht nur die Beziehung des Sofas zu einem Raum ändert, sondern auch für eine neue Sitzerfahrung, verschiedene Sitzmodi und somit eine andere Beziehung zu dem Sofa sorgt.
Ja, es ist ein Sofa. Zip ist kein glorifizierter Sitzsack, sondern ein Sofa. Noch dazu ein sehr bequemes und ein modulares obendrein. Die einzelnen Module sind robust, ohne zu wuchtig zu wirken und mit einem Reißverschluss verbunden, sodass sie mühelos zusammengebaut und umgestellt werden können. So passt sich das Möbel an die jeweiligen Bedürfnisse des Nutzers an, sei es in Form einer Sitzgruppe, einzelner Sessel oder einer Sofalandschaft. Diese Funktionalität ist vielleicht für Büros, Geschäfte und öffentliche Räume wichtiger als für den Wohnbereich. Obwohl es für Arbeitsbereiche entworfen wurde, funktioniert Zip für uns genauso gut als Objekt im Wohnbereich.
Ein anderer Vorteil eines Sofas ohne Beine ist natürlich, dass, solltest du darauf ein kurzes Nickerchen machen oder einschlafen, weil Donnerstag ist und es eine lange Woche war, und herunterrollen, du nicht so tief fällst. Das kann wichtig sein........