Sichtlich verärgert über einen kritischen Bericht über das Haus seines Freundes Alexander Girard in Santa Fe, schrieb Charles Eames am 26. Dezember 1956 einen kurzen Brief an Walter McQuade, den Herausgeber des Magazins:
"Alexander Girard ist an der Qualität von allem interessiert und handelt auch persönlich und unmittelbar in diesem Interesse. Aus einem solchen Handeln könnte womöglich kein Klischee entstehen und kein Klischee zu sein erfordert eine Erklärung.
Die Antwort liegt vielleicht in Girards Engagement in allem, was er anfasst und zeitliche Grenzen sind nicht erlaubt. Von Bedeutung ist auch die Tatsache, dass er etwas von einer Elster und etwas von einem Florentiner hat"
Alexander Girards Interesse an Qualität, sein absolutes Engagement und seine elsterartigen Tendenzen sind in der Ausstellung "Alexander Girard. A Designer's Universe" im Vitra Design Museum zu sehen.
Alexander Girard wurde 1907 als Sohn einer amerikanischen Mutter und eines französisch-italienischen Vaters geboren und wuchs in Florenz auf. 1917 wurde er am Bedford Modern Internat in London angemeldet, in der Stadt, in der er später Architektur an der Architectural Association School of Architecture studierte und 1929 seinen Abschluss machte. 1932 ging Alexander Girard nach Aufenthalten in Stockholm und Rom "zurück" nach New York, wo er Möbel und Inneneinrichtungen für Privatkunden entwarf, bevor er und seine neue Frau Susan 1937 nach Detroit zogen. Er begann, für ein dort ansässiges Interior-Design-Studio zu arbeiten und das unberechenbare Schicksal hatte noch mehr für ihn vorgesehen ...
1943 designte Alexander Girard die Kantine für den Detroiter Radiohersteller Detrola neu, dessen Chefdesigner er 1945 wurde. Charles Eames arbeitete zu dieser Zeit mit der Evans Products Company in Los Angeles zusammen und designte Radiogehäuse aus gebogenem Schichtholz. Es wird erzählt, dass er eines Tages bei Detrola auftauchte, um sich zu bewerben. Alexander Girard war nicht da und so hinterließ Eames eine Nachricht und merkte, dass Detrola ihn nicht brauchte, weil der Chefdesigner, den sie gerade hatten, viel besser war. Es ist zweifelhaft, ob es nun so war oder nicht, aber sicher ist, dass Girard nach seinem Umzug nach Detroit intensive und lange Freundschaften mit vielen der bekannten Persönlichkeiten der nahe gelegenen Cranbrook Academy of Art schloss. Darunter waren Charles & Ray Eames und Eero Saarinen, mit dem er 1948 das erste Mal zusammenarbeitete, bevor George Nelson Alexander Girard 1951 zum Leiter der Textilabteilung des Möbelunternehmens Herman Miller ernannte. In dieser Position entwarf er über 300 Textildesigns, half dabei, einen Look und ein Gefühl für die zahlreichen Herman-Miller-Möbelprogramme für den Wohn- und Arbeitsbereich zu definieren und hierfür ist er ohne Frage besonders bekannt.
Neben seiner Kooperation mit Herman Miller war Alexander Girard auch ein erfolgreicher und sehr gefragter Ausstellungsdesigner, Interior Designer und ein weniger gefragter und weniger erfolgreicher, wenn auch unserer Meinung nach höchst talentierter Möbeldesigner. Unter anderem seine sogenannte Girard Group aus dem Jahr 1967 für Herman Miller motivierte uns zu unserer Serie "Verlorene Klassiker des Möbeldesigns". Er designte Besteck, Geschirr und Haushaltswaren, entwarf eine ganze Corporate Identity für Braniff Airlines und sammelte vor allem Volkskunst... Als er seine Sammlung 1978 an den Staat New Mexico spendete, umfasste sie über 100 000 Gegenstände.
Wie Charles Eames schon richtig sagte, war er "teilweise eine Elster" und seine Leidenschaft für das Sammeln half ihm in vielerlei Hinsicht dabei, die Welt zu verstehen und bestimmte, wie er an seine Arbeit heranging und seine Funktion sowie die Funktion all dieser Objekte und Umgebungen verstand, die er entwarf.
Alexander Girard starb im Jahr 1993 im Alter von 85 Jahren und sein persönliches Archiv wurde 1996 dem Vitra Design Museum anvertraut. "A Designer's Universe" ist das Ergebnis der ersten strukturierten, wissenschaftlichen Studie dieses Archivs.
"A Designer's Universe" wurde von Dr. Jochen Eisenbrand, dem leitenden Kurator des Vitra Design Museums, aufbereitet und mithilfe des Ausstellungsdesignkonzepts von dem Londoner Studio Raw Edges eingerichtet. Zu Beginn gibt es eine exzellente Einführung in Alexander Girards Anfangsjahre, die nicht nur viele bislang ungesehene/selten gesehene Arbeiten, sondern auch neue biografische Details umfasst, bevor Aspekte seiner Arbeiten genauer betrachtet werden. Seinen umfangreichen Arbeiten im Bereich Textildesign wird ein eigener Raum gewidmet und ihre Präsentation ähnelt der in der von Girard kuratierten Ausstellung "The Design Process at Herman Miller" aus dem Jahr 1975. Der Bereich Corporate Design wird anhand der Kooperation mit Braniff Airlines gezeigt, Restaurantdesign-Projekte wie La Fonda del Sol und L'Etoile in New York werden anhand von Objekten und Möbeln dargestellt, die Girard entworfen hat sowie Fotos des Original-Interieurs. Weitere Arbeiten aus dem Bereich Interior Design werden mithilfe von Plänen, Objekten und Fotos von einigen seiner Schlüsselprojekte ausgestellt. Mit dabei ist auch das gemeinsam mit Eero Saarinen entworfene sogenannte Miller House, für dessen Wohnzimmer Girard eine Sitzgrube designte, die im Zentrum der Austellungsfläche im Erdgeschoss nachgebaut wurde. Oben liegt der Fokus auf Girards Arbeiten aus dem Bereich Ausstellungsdesign und der Präsentation seiner Volkskunstsammlung. In der Annahme, dass man eine Sammlung von über 100 000 Objekten "darstellen" kann.
Und in der Annahme, dass man einen Designer "darstellen" kann, der so viele Jahre lang in so vielen Bereichen aktiv und für so viele Projekte verantwortlich war.
In Anbetracht des Ausmaßes und der Vielfalt der Thematik kann eine Ausstellung wie "A Designer's Universe" nicht mehr als an der Oberfläche kratzen und eine ehrliche, sachliche und oberflächliche Darstellung von der Geschichte liefern, die sie erzählt.
Und in Anbetracht der Eigenschaften der meisten dargestellten Objekte enthält eine Ausstellung wie "A Designer's Universe" unvermeidbar wahnsinnig viele Vitrinen, was niemals ein gutes Ausstellungskonzept ist. Niemals. Besonders nicht für eine Ausstellung über einen Mann, der einst sagte: "Für mich gibt es nichts Schlimmeres, als eine Ausstellung, in der Objekte nur in Boxen nebeneinander aufgereiht werden.
Aber.
Welche andere Wahl hätten die Organisatoren in Anbetracht des Alters, Materials und besonders der Größe der meisten Objekte gehabt? Es ist nicht ideal, aber die Exponate müssen in einem bedeutungsvollen Kontext und Verhältnis präsentiert werden und das bedeutet manchmal eben Vitrinen. Es handelt sich auch nicht nur um in Glaskästen nebeneinander aufgereihte Objekte. Besonders im ersten Raum mit den biografischen Informationen und im zweiten mit den Textilien gibt es einige sehr gut konzipierte und realisierte Darstellungslösungen.
Ja, es war gemein, unfreundlich und ein bisschen ungehobelt von uns, das Girard-Zitat zu erwähnen. Wenn auch wichtig.
Genauso wichtig ist es sich daran zu erinnern, dass Girard auch einmal sagte: "Ein Teil meiner Leidenschaft war es immer, Objekte im Zusammenhang zu sehen. Ich glaube, dass alles zu atmen beginnt, wenn man Objekte in eine Welt einfügt, die scheinbar ihre eigene ist. In gewisser Hinsicht erschafft man ein Stück Leben. Das Exponat erwacht dann zum Leben."
Wenn wir als "Zusammenhang" hier weniger die Objekte verstehen, und eher ihre Rolle, die Person Alexander Girard einem Publikum zu erklären, das größtenteils nicht oder teilweise gar nicht mit ihm und seinen Arbeiten vertraut ist, dann befinden sich die Objekte scheinbar in ihrer eigenen Welt. In einer Welt, oder vielleicht eher in einem Universum von Alexander Girards Schaffen und so atmet die Ausstellung trotz der Glaskästen.
Sie atmet umso leichter dank des Platzes, den Raw Edges der Ausstellung in dem berühmt engen Bereich des Vitra Design Museums eingeräumt haben. In der Vergangenheit haben wir oft negativ über die räumliche Begrenzung des Gehry Gebäudes gesprochen und darüber, dass dort Ausstellungen in der Größe, wie das Vitra Design Museum sie ausrichtet, stattfinden. Die Ausstellung "A Designer's Universe" lässt viel Platz für Bewegung und Reflexion und das, obwohl sie mit etwa 700 Objekten doppelt so groß ist, wie eine "normale" Ausstellung.
Angesichts der Problematik, viele der Objekte, besonders die Volkskunst, angemessen darzustellen, waren wir beim Besuch der Ausstellung gedanklich häufig in Alexander Girards Haus in Santa Fe. Diesen Ort haben wir uns lange als wahres Kuriositätengeschäft mit Objekten quer durch Geografie und Zeit vorgestellt, angeordnet in der charmanten Unordnung eines Besessenen. Aber war das so.......?
"Sein Haus war unglaublich gut organisiert", so Aleishall Girard Maxon, Alexander Girards Enkelin. Und obgleich es eine unserer liebsten Vorstellungen zerstört, sagt sie: "Einige Dinge gehörten zu den Kernstücken des Hauses, teilweise verschmolzen sie sogar mit der Architektur. Andere Dinge kamen und gingen, denn er hatte so viele Objekte, die er liebte und änderte doch ständig die Kuratierung."
Und so wird uns unmittelbar ein genauso liebenswerter Eindruck vermittelt. Wir fragen vorsichtig, ob das bedeutet, dass die Sammlung immer in greifbarer Nähe war?
"Sie befand sich in einem speziellen Lagerraum, der an sein Haus angrenzte, das auch einen Arbeitsraum für all die Volkskunst enthielt, die ständig dazu kam. Es war alles miteinander verbunden, sodass man in zwei Minuten von dem Lagerraum in die Küche laufen konnte", so Aleishall, "und das war in vielerlei Hinsicht ein wesentlicher Grund wie er es schaffte, soviel zu machen. Er entwarf einen Raum, um seine Interessen zu erleichtern."
Alexander Girard spricht oft über Volkskunst als Verbindung zur Unschuld der Kindheit und wie die Volkskunst uns an das wesentliche Wunder des Lebens erinnert. Durften Sie als Kinder auch mit den Objekten spielen?
"Mit einigen ja", so Kori Girard, Aleishalls Bruder, "er entwarf eine kleine Höhle, die wir nutzen konnten und all die Dinge darin waren praktisch. Den Rest durften wir erforschen, aber nicht berühren."
Finden Sie Ihren Großvater in der Ausstellung wieder, ist er präsent?
"Definitiv", antwortet Kori, "einer der kraftvollen Aspekte seiner Arbeit ist, dass sie ihn in vielerlei Hinsicht repräsentiert. Man kann ein Objekt isoliert betrachten und ihn wiederfinden und hier, wo es so viele Objekte gibt, werden definitiv die vielen verschiedenen Disziplinen widergespiegelt, in denen er tätig war, die Experimente, die er durchführte und besonders seine unterschiedlichen Leidenschaften."
Trotz der vielen Leidenschaften, der vielen Seiten von Alexander Girard, der vielen Projekte, an denen er arbeitete, trotz des Formats derer, mit denen er zusammenarbeitete und der Gesellschaft, in der er verkehrte, gewissermaßen des Universums, auf das der Titel der Ausstellung Bezug nimmt, bleibt Alexander Girard einer der weniger bekannten und weniger verstandenen Designer aus dem Bereich, der heute als amerikanische Mid-Century-Moderne verstanden wird. Aber wirkt sich diese fehlende Anerkennung auch auf seine Bedeutung aus, besonders im Zusammenhang mit dem Erfolg von Herman Miller in den 1950er und 1960er Jahren und somit dem Aufstieg amerikanischen Designs in diesem Zeitraum?
"Ja, ich denke schon", so Jochen Eisenbrand, der Kurator der Ausstellung, "die Eames' waren für das Möbeldesign bedeutend, George Nelson als Designchef für die Gesamtausrichtung, Werbung und Unternehmensidentität. Alexander Girard war für Textilien und Farben bedeutend, einen Bereich, der oft übersehen wird, der aber eine wesentliche Rolle spielt, wie Objekte angenommen werden und wie erfolgreich sie letztlich werden. "
Besonders, so vermuten wir, im zeitlichen Kontext, im Amerika der Nachkriegszeit und dem Wandel des Verständnisses von der und den Erwartungen an die Einrichtung von Wohnräumen...
"In der Tat und Girard war teilweise für die Verbreitung dieses Wandels verantwortlich. In den 1930 und 40er Jahren schaute Amerika in Sachen Design und Enrichtung sehr stark auf Europa. Nach dem Krieg ging Amerika selbst voran und Alexander Girard war einer von denen, die Ideen aus Europa übernahmen und versuchten, den kühleren Glas-Stahlrohr-Designs einen menschlicheren Touch zu verleihen."
War er mit dieser Rolle glücklich, mit der er neben, aber irgendwie auch hinter Eames oder Nelson stand?
"Ich glaube, das kann heute niemand sicher sagen", antwortet Mateo Kries, der Direktor des Vitra Design Museums, "aber er wusste, dass seine große Stärke nicht darin lag, ein Einzelobjekt zu designen, sondern eher darin, den Rahmen zu entwerfen, den Raum, das Interieur. Er war klug genug zu verstehen, dass Menschen wie Charles Eames oder Eero Saarinen großartige Möbel designt hatten und dass er das Talent hatte, sie zu nutzen, in seine Einrichtungen einzuarbeiten und sie mit Textilien aus Marokko und Kissen aus Afghanistan zu kombinieren. Er entwarf ein passendes Farbschema für sie und um sie herum und kommunizierte die Designs auch in einer Ausstellung, was eine weitere Stärke von ihm war. Alexander Girard dachte immer eher über Systeme als Einzelobjekte nach, Alexander Girard verband Dinge, verband Ideen, verband Menschen."
"A Designer's Universe" erkärt geschickt, wie diese Verbindungen funktionierten, wie Alexander Girard in die Designgeschichte passt und wieso es gefährlich ist, Kreative in eine Schublade zu stecken - besonders eine Florentiner-Elster.
Bei der Ausstellungseröffnung wurde erwähnt, dass, während man bei Charles und Ray Eames oder George Nelson immer nach einem neuen Winkel schaut, nach einer zuvor un- oder nicht genug erforschten Facette, dies bei der relativen Unklarheit Alexander Girards kein Problem ist. Alexander Girard ist das Thema und "A Designer's Universe" ist eine exzellente Vorstellung seiner Person, seiner Arbeit und seines Platzes in der Entwicklung des zeitgenössischen Designs, aber was können heutige Designer von Alexander Girard lernen?
"Besonders, dass Sammeln sehr sinnvoll sein kann", so Jochen Eisenbrand, "und zwar, um ein visuelles Archiv als Quelle des Potentials und der Inspiration zu schaffen. Man kann aber auch viel über den Gebrauch von Farben lernen und dass man keine Angst vor Verzierungen und Dekoration haben sollte. Das hat alles seinen Platz, man muss fähig sein und verstehen, es korrekt zu nutzen, aber all das kann einen positiven Nutzen haben."
Worin besteht Aleishall und Koris Hoffnung, was Besucher von der Ausstellung und ihrem Großvater lernen?
"Ich hoffe, dass die Besucher die Inspiration mitnehmen, ein kreativeres, integrativeres Leben zu führen und es mehr zu akzeptieren", antwortet Kori Girard, "und dass sie verstehen, dass Inspiration so viele Quellen haben kann."
"Mit seiner Arbeit", so Aleishall weiter, "ruft er den Betrachter dazu auf, selbst zu denken, zu erkennen, dass jeder ein kreatives Leben leben kann und ich habe den Eindruck, seine Arbeit basierte oft auf diesem Gedanken."
Das klingt auch nach dem perfekten "P.S." für Charles Eames' Brief aus dem Jahre 1956...
"Alexander Girard. A Designer's Universe" läuft im Vitra Design Museum, Charles-Eames-Str. 2, 79576 Weil am Rhein bis Sonntag, den 29. Januar 2017.
Alle Details inklusive Informationen zu dem begleitenden Rahmenprogramm gibt es auf www.design-museum.de.