Der in Leverkusen geborene Glen Oliver Löw studierte ursprünglich Industriedesign an der Universität Wuppertal, bevor er 1986 nach Mailand zog, wo er einen Masterstudiengang an der Domus Academy absolvierte. Nach seinem Abschluss blieb Glen Oliver Löw in Mailand und nahm eine Stelle bei Antonio Citterio an. 1990 wurde er Partner eines Büros und entwickelte ein breites Spektrum an Projekten für so unterschiedliche Firmen wie Vitra, Kartell und Flos.
Im Jahr 2000 kehrte Glen Oliver Löw nach Deutschland zurück und nahm eine Professur an der Hochschule für Bildende Kunst, HfBK, in Hamburg an. Zudem eröffnete er ein Designbüro in Hamburg, von dem aus er Projekte für Kunden wie Thonet, Steelcase und Knoll entwickelt.
Wir haben Glen Oliver Löw getroffen, um über zeitgenössisches Produktdesign, die 80er Jahre in Mailand und die HfBK Hamburg zu sprechen. Begonnen haben wir, wie immer, mit der Frage "Warum Design"?
Glen Oliver Löw: Ich hatte schon als Kind eine starke Affinität zu den Dingen, habe viel gebastelt und gebaut und als ich mich für einen Beruf entscheiden musste, war Industriedesign die erste Wahl. Ich empfinde es als extrem befriedigend gemeinsam im Team mit anderen Personen gut funktionierende und sinnvolle Produkte zu entwickeln, die dann von Millionen von Menschen benutzt werden.
smow Blog: Und warum in Wuppertal?
Glen Oliver Löw: Die Hochschule hatte einen sehr guten Ruf, vor allem in Bezug auf die Vermittlung von praktischen Fähigkeiten. Und auf die kam es an, als Design noch bedeutete, Objekte für die industrielle Produktion zu gestalten. In Wuppertal wurden dafür ausgezeichnete Skills und grundlegendes Wissen über Materialien und Produktionsprozesse vermittelt.
smow Blog: Nach Wuppertal sind Sie an die Domus Academy in Mailand gewechselt. Das hört sich nach dem "Kulturschock" schlechthin an. Warum entschieden Sie sich für Mailand?
Glen Oliver Löw: Für mich war es notwendig und wichtig - nach der ziemlich trockenen, technischen Ausbildung in Deutschland - Design in seinem kulturellen Kontext zu sehen und zu verstehen. Ich hatte das Glück, dass mir ein Europa-Stipendium erlaubte, einen Master an der Domus Academy zu absolvieren. Das war im Jahr 1986 - einer sehr spannenden Zeit. Memphis war damals in Mailand mit seiner Funktionalismuskritik und einer Antihaltung gegenüber dem klassischen Produktdesign sehr präsent. Ich war ganz klar auf der Seite der Funktionalisten und blieb trotz aller Einflüsse Funktionalist - also immer Form folgt Funktion. Dennoch war das ein spannendes, aufregendes Umfeld.
smow Blog: Interessant, dass Sie das sagen, denn als die Welle des Neuen Deutschen Designs über Westdeutschland hereinbrach, waren Sie Student in Wuppertal. Hat Sie das kalt gelassen, hat Sie nicht interessiert, was da passierte?
Glen Oliver Löw: Ich konnte das nicht ausstehen, fand das grauenhaft - das hat mich irgendwie nie angemacht. Da konnte ich mit der Ästhetik von Memphis schon mehr anfangen.
smow Blog: Sie sagten, Mailand sei Mitte der 80er Jahre eine aufregende Umgebung gewesen, wie geht es Ihnen, wenn Sie heute Mailand besuchen? Spüren Sie da noch immer eine besondere Energie, oder hat sich die Stadt und ihre Designklientel komplett verändert, sich weiterentwickelt über die Jahre?
Glen Oliver Löw: Für mich ist es nicht mehr so spannend, das mag aber vor allem an mir selbst liegen. Grundsätzlich finde ich den derzeitigen Designdiskurs im industriellen Kontext nicht sonderlich interessant. Damals gab es noch echte Innovationen, da wurden komplett neue Sachen entworfen, neue Ideen entwickelt. Heute kommt Design oft geschmäcklerisch daher - es geht eher darum Dinge anders zu machen aber, nicht unbedingt darum sie besser zu machen. Modische Aspekte überwiegen. Vor allem Mailand war in den 80er Jahren ein El Dorado für Designer. Es gab eine relativ große Zahl an kleinen und mittleren Möbelproduzenten, die alle auf der Suche nach innovativen und kreativen Entwürfen waren, um gegenüber den großen Herstellern wettbewerbsfähig sein zu können - viele Möglichkeiten also für Designer. Heute sehe ich sehr viel weniger Innovation und Kreativität, und vor allem sehr viel weniger Firmen, die das Risiko auf sich nehmen würden, mit einem Designer etwas Experimentelles zu entwickeln. Die meisten gehen auf Nummer sicher, fokussieren Bewährtes, oder für gewöhnlich, was die Konkurrenten im Programm haben, anstatt eine Investition in etwas Neues zu riskieren. Die Folge ist, dass immer die gleichen Designer beauftragt werden, die gleichen Ideen wieder und wieder zu reproduzieren.
smow Blog: Haben Sie eine Erklärung dafür? Hat sich die Auffassung von Design geändert; hat sich der Designmarkt verwandelt?
Glen Oliver Löw: Ich habe immer die Ansicht vertreten, dass Design mit einem Problem beginnt. Heute ist Design oft selbstbezogen - Design um des Designs Willen. Design funktioniert in vielen Bereichen wie die Mode, es dominieren kurzfristige Trends, die oft beliebig erscheinen. Andererseits stelle ich z.B. bei meinen Kindern fest, dass das Interesse an physischen Objekten und die Affinität zu den Dingen im Allgemeinen abgenommen hat. Durch die allgegenwärtige Faszination für das Mediale tritt die Gestalt der Dinge in den Hintergrund. Das Objekt als physische Entität ist nicht mehr so wichtig, die Funktionalität eines Produkts reduziert sich auf die Mensch-Maschine-Schnittstelle.
smow Blog: Kann man also annehmen, dass auch Sie den Eindruck haben, dass der Designbegriff immer schwammiger wird?
Glen Oliver Löw: Absolut - vollkommen schwammig! Heute wird jegliches Handeln unter dem Begriff Design subsumiert. Wenn heute jemand beispielsweise im gesellschaftlichen Kontext arbeitet, behauptet er die Gesellschaft oder gesellschaftliche Vorgänge zu designen. Heute ist alles Design.
smow Blog: Ursprünglich nach Mailand gekommen, um ein Jahr zu studieren, blieben Sie beinahe 15 Jahre und arbeiteten überwiegend mit Antonio Citterio zusammen. Wie entwickelte sich diese Partnerschaft?
Glen Oliver Löw: Citterio suchte damals einen Deutsch sprechenden Designer für die Zusammenarbeit mit Vitra. Auf seine Anfrage hin hat mich die Domus Academy ihm empfohlen und da Antonio Citterio einer der wenigen dem Funktionalismus treu gebliebenen Designer in Mailand war, passte alles perfekt. Für mich persönlich hieß es nun einmal in der Woche zu Vitra nach Basel zu fahren, um die Produktentwicklung zu koordinieren - dort habe ich erst richtig gelernt, wie ein Designprozess funktioniert und was es bedeutet Design im industriellen Kontext zu betreiben.
smow Blog: Wie verlief der Designprozess mit Antonio Citterio? Haben Sie ein Projekt entwickelt und er sagte gut oder nicht gut, oder gab es eine gemeinsame Vorgehensweise?
Glen Oliver Löw: Wir haben von Anfang an sehr eng zusammengearbeitet. Nachdem ich dann Partner wurde, war ich unabhängiger in dem, was ich tat, kooperierte aber immer eng mit Citterio. Ich denke, wir hatten immer ähnliche Ansätze und Vorstellungen. Vielleicht habe ich mich mehr für Innovationen und Erfindungen interessiert, wollte Dinge neu und anders machen, während Citterio ein sehr gutes Händchen dafür hatte, Vorhandenes aufzugreifen und neu zu interpretieren bzw. auf sinnvolle und neue Art umzugestalten.
smow Blog: Im Jahr 2000 haben Sie Mailand verlassen, lag das nur am Millennium, an neuen Perspektiven oder ...?
Glen Oliver Löw: Nach 13 Jahren Zusammenarbeit mit Citterio war es an der Zeit, mein eigenes Designbüro zu eröffnen, die Berufung an die HfbK kam da gerade richtig. Hinzu kamen persönliche, familiäre Gründe. Zu dieser Zeit schien einfach alles darauf hinzudeuten, dass eine Rückkehr nach Deutschland die richtige Entscheidung sein würde und so nahm ich die Stelle hier an und gründete mein eigenes Studio.
smow Blog: Schaut man sich die HfBK an, könnte man sagen, dass der Designbereich einen sehr experimentellen Eindruck macht. Und dann gibt es Professor Glen Oliver Löw, der eigentlich Vertreter einer eher traditionellen Form von Design ist...
Glen Oliver Löw: Ich bin hier der Dinosaurier, sozusagen das Überbleibsel des Industrial Design. In den 15 Jahren, die ich hier bin, hat sich der Designbereich sehr verändert. Zu Beginn lag der Fokus viel stärker auf der Gestaltung der Dinge, also beim klassischen Produktdesign. Unter Design verstand man Produktgestaltung. Heutzutage muss ich meine Position schon etwas vehementer verteidigen. Der neue Schwerpunkt liegt sehr viel mehr beim Social Design und da sind Objekte eher ein peripherer Aspekt.
smow Blog: Was bedeutet das in der Praxis für die Ausbildung? Kann man hier beispielsweise noch einen Stuhl als Abschlussprojekt designen?
Glen Oliver Löw: Die HfBK ist eine Kunsthochschule. Alle Studenten studieren auf Bachelor in Fine Arts. Innerhalb des Studiengangs gibt es einen Schwerpunkt Design. Das Studium ist als Projektstudium ausgelegt, d.h. die individuellen Entwicklungsvorhaben der Studierenden strukturieren das Studium. Ziel ist, dass die Studenten ihr eigenes Thema finden, eine eigene Haltung entwickeln und sich einen eigenen Bereich erschließen. Das künstlerische Entwicklungsvorhaben kann sich natürlich auch auf ein Produkt wie z.b. einen Stuhl beziehen. Ein großer Vorteil der Hochschule sind ihre ausgezeichneten Werkstätten und Werkstattleiter. Unsere Studenten haben dadurch die Möglichkeit, ein Design als funktionierenden Prototypen zu realisieren. Diese Möglichkeit wird allerdings immer weniger genutzt - oder zumindest immer seltener auf hohem Niveau. Als ich hier ankam, haben Studenten beispielsweise noch funktionierende Solarflugzeuge in den Werkstätten gebaut, heute stelle ich einen fortschreitenden Hang zum Dilettantismus fest. Das Gaffer-tape gilt als sexy und ersetzt oft das raffiniert ausgeklügelte technische Detail.
smow Blog: Man könnte also annehmen, dass sich nicht nur der Designbereich, sondern auch der Typus Designstudent über die Jahre geändert hat?
Glen Oliver Löw: Die Interessen der Studierenden sind sicherlich andere, zudem sind sie sehr viel jünger und kommen heute häufig direkt von der Schule, was oft zu früh ist. Man hat regelmäßig den Eindruck, dass die Studenten selbst nicht ganz wissen, was sie hier eigentlich wollen und dass sie etwas mehr Erfahrung bräuchten. Oft wäre es besser, sie würden zuerst eine Berufsausbildung machen, um ein besseres Verständnis, eine Vorstellung von den Dingen zu entwickeln, denn vier Jahre Studium sind nicht viel Zeit, um herauszufinden, was man möchte.
smow Blog: Spricht man mit frischen Absolventen, artikulieren diese häufig den Wunsch, es hätte mehr kaufmännische Elemente in der Ausbildung geben sollen, wie ist da die Lage? Werden solche Dinge unterrichtet?
Glen Oliver Löw: Nein, ganz bewusst nicht! Als Designer an einer Kunsthochschule sind wir nicht daran interessiert Gestaltung nach wirtschaftlichen Aspekten auszurichten. Open Design ist bei den Studierenden beispielsweise ein großes Thema: der Designer stellt seine Designs online damit Andere sie nützen bzw. verändern, adaptieren oder weiterentwickeln können. Das ist ganz offensichtlich eine völlig andere Mentalität als die meiner Generation. Wir versuchten etwas Neues zu erfinden, um es dann schützen zu lassen und mit Lizenzgebühren Geld zu verdienen. Gelegentlich kommen Studenten und stellen Fragen. Dann bin ich froh, ihnen mit Tipps und Ratschlägen aus meiner eigenen Berufspraxis helfen zu können. Beispielsweise worauf es bei der Zusammenarbeit mit einem Hersteller ankommt oder was man bei der Aushandlung eines Lizenzvertrags beachten sollte - dadurch fließen kaufmännische Elemente natürlich in das Studium ein. Grundsätzlich empfehle ich allen Studierenden während des Studiums ein Praktikum zu absolvieren oder in einem Designbüro zu arbeiten, um sich hochschulferne, praktische Lehrinhalte außerhalb der Hochschule anzueignen, auch wenn das Curriculum des Bachelor/Master Studiums dies nicht vorsieht.
smow Blog: Hat man Ihnen so etwas in Wuppertal beigebracht?
Glen Oliver Löw: Nein, da wurde so etwas auch nicht gelehrt. Wenn ich mich recht erinnere, hatten wir einen Kurs in Urheberrecht, aber ansonsten hieß es immer "Learning by Doing".
smow Blog: Kommt es auch vor, dass ein Student zu Ihnen kommt und sagt: "Ich habe ein Stuhldesign und würde gerne einen Hersteller finden. Können Sie mir helfen?" ?
Glen Oliver Löw: Das kommt sogar sehr oft vor und einige Produkte, die hier an der Hochschule entwickelt wurden, werden mittlerweile von einem Hersteller industriell produziert. Oft überschätzen die Studierenden aber auch das Potential eines akademischen Projekts. Das primäre Ziel der Ausbildung ist ja nicht das dingliche Objekt, sondern das gestaltende Individuum. Grundsätzlich denke ich, dass es sinnvoller ist ein Produkt gemeinsam mit einem Produzenten zu entwickeln. Ich persönlich habe nie etwas in Eigenregie entworfen und danach versucht, es bei einem Hersteller zu platzieren, das funktioniert nur ganz selten. Als Student oder junger Designer hat man häufig aber gar keine andere Möglichkeit, als mit eigenen Entwürfen aufzufallen und zu versuchen, die Aufmerksamkeit der Hersteller zu erregen.
smow Blog: Neben Ihrer Lehrtätigkeit hier entwickeln Sie immer noch Möbelprojekte. Macht Ihnen das nach wie vor Spaß?
Glen Oliver Löw: Das macht sehr viel Spaß und zeigt mir auch, dass das klassische Produktdesign noch nicht ausgestorben ist. Es gibt immer noch Interesse an gut funktionierenden Produkten die global, über kulturelle Grenzen hinweg, funktionieren. Funktionales Design ist also nach wie vor gefragt.
smow Blog: Um nochmal auf etwas anderes zu sprechen zu kommen: Sie sind seit 15 Jahren in Hamburg, ist Hamburg eine kreative Stadt? Gibt es Möglichkeiten für die Studenten nach ihrem Abschluss?
Glen Oliver Löw: Hamburg ist kreativ und schön, aber keine Stadt mit ausgeprägter industrieller Produktion. Es gibt also nicht sehr viele Firmen, die Designs realisieren könnten. Der Schwerpunkt in Hamburg liegt wohl eher im Bereich Handel und Medien. In Zeiten globaler Produktion ist der Standort eines Designers in der Nähe der industriellen Produktion aber auch kein Thema mehr.
smow Blog: Und zum Schluss, haben Sie einen bestimmten Rat, den Sie den Studenten geben würden?
Glen Oliver Löw: Es bedarf einer großen Leidenschaft für die Dinge und den Gestaltungsprozess und einen unbedingten Gestaltungswillen, um als Designer erfolgreich zu sein. Designstudenten, die sich dazu zwingen müssen etwas zu gestalten, rate ich sich nach einem anderen Studiengang umzusehen.
Weitere Informationen zu Glen Oliver Löw und seiner Arbeit finden sie auf http://glenoliverloew.de/