"The World of Charles and Ray Eames"
Es liegt gewissermaßen in der Natur des Werkes der beiden Designer, dass man nicht von einer "Welt" von Ray und Charles Eames, sondern von den "Welten" der Eames sprechen muss - handelt es sich doch um die produktivsten amerikanischen Designer des 20. Jahrhunderts.
In ihrer neuen Eames-Retrospektive versucht die Barbican Art Gallery London diese Welten zu einem kohärenten und verständlichen Universum zu verbinden.
Charles Eames wurde 1907 in St. Louis, Missouri geboren - Ray Kaiser im Jahr 1912 im kalifornischen Sacramento. Beide trafen sich an der Cranbrook Academy of Art im Jahr 1940, heirateten 1941, zogen dann nach Kalifornien, eröffneten ihr eigenes Designstudio, das Eames Office in Los Angeles, und revolutionierten das Design - soweit ihre extrem zusammengekürzten Biografien.
"Die meisten kennen Ray und Charles Eames, wenn von Möbeln oder anderen Designobjekten die Rede ist", sagt Kuratorin Catherine Ince, als es darum geht den Hintergrund zur Ausstellung zu umreißen, "allerdings war das Eames Office in ganz unterschiedlichen Bereichen und Medien massenhaft vertreten. Ich denke, es gibt vieles zur Praxis des Eames Office, dass nach wie vor nicht allzu gut erforscht werden konnte und wir möchten mehr Menschen dazu verhelfen, den ganzen Umfang all dessen zu verstehen und wertzuschätzen, was im Eames Office entwickelt wurde."
Das Resultat ist eine Ausstellung, die ausgewählte Projekte aus dem gesamten Werk der beiden Designer präsentiert - Projekte, die stellvertretend für die jeweiligen Welten stehen, in denen sich Ray und Charles Eames bewegten. Dazu gehört die Welt des Spielzeugs, die des Kinos und der Kunst, sowie die Verlagswelt - um nur vier der Eames-Welten zu nennen, die auf der Ausstellung in kleinem, notwendigerweise oberflächigen Rahmen, allerdings keineswegs auf willkürliche, oder anderweitig platte Art und Weise präsentiert werden.
Es könnte sein, dass wir Catherine Ince enttäuscht haben, als wir nicht das Wort "umfassend" gebrauchten auf ihre Frage hin, was wir von der Ausstellung halten. Dabei ging es keineswegs darum eine Kritik anzubringen - schließlich bräuchte es fünf Barbican Art Galleries um diese Welten der Eames wirklich umfassend zu präsentieren. Fünf pro Welt.
Das komplette Oeuvre der Eames in einer Ausstellung darzulegen ist eine anspruchsvolle Herausforderung, die einen unweigerlich angreifbar macht, weil man dies oder jenes immer hätte besser machen können. The World of Charles and Ray Eames präsentiert das Thema allerdings auf sehr klare und prägnante Art und Weise und ist ebenso unterhaltsam und inspirierend wie informativ und anschaulich.
Einer der zentralen Schwerpunkte der Ausstellung sind natürlich die Möbeldesigns von Ray und Charles Eames. Separate Abschnitte präsentieren beispielsweise ihre Schichtholz- und Fiberglasstühle anhand von Prototypen und realisierten Modellen. An dieser Stelle wird auch deutlich, wie die Kuratoren mit begrenztem Ausstellungsplatz und der endlosen Anzahl an Objekten arbeiten mussten. Auch wenn es viel zu sehen, zu erfassen und zu lernen gibt - dazu gehören auch zahlreiche Einblicke und Objekte, die man nicht in der üblichen Eames-Literatur findet - hat es doch eine heftige Bearbeitung und viele Auslassungen und Kürzungen gegeben. Das, was es zu sehen gibt, ist aber interessant und informativ. Wir hatten jedenfalls unseren Spaß - auch wenn die Präsentation (überwiegend Stühle auf Podesten) im Detail nicht besonders anspruchsvoll ausgefallen ist. Es mag natürlich sein, dass es nicht jedem Spaß bereitet sich einfach Stühle anzuschauen.
Beim Betrachten der Stühle und anderer Möbelentwürfe stießen wir immer wieder auf die Tatsache, dass Ray und Charles Eames ausschließlich für Herman Miller, und später, nach Weitergabe der Lizenzen für die europäische Produktion, für Vitra Möbel entworfen haben. Auch wenn es tatsächlich nicht viele aktuelle Möbelhersteller in Amerika gab, mit denen die Eames hätten kooperieren können, gab es doch auch andere Optionen. Nicht zuletzt war der Chefdesigner von Herman Miller, George Nelson, selbst mehr als glücklich mit verschiedenen Produzenten zusammenarbeiten zu können. Warum also verhielten sich die Eames derart monogam? "Ich denke, dass sie das Verhältnis zu den Firmen einfach mochten", antwortet Charles Eames' Enkel und derzeitiger Direktor des Eames Office, Eames Demetrios, "auch wenn Herman Miller und Vitra sich des "Design-Labels" bewusst waren, ging es ihnen doch eigentlich nur darum qualitativ hochwertige und funktionierende Produkte zu liefern und die Eames wollten so viele Menschen wie möglich mit gut designten Produkten ausstatten - da hat die Zusammenarbeit einfach sehr gut funktioniert. Zudem basierte ihr Verhältnis auf gegenseitigem Respekt. So dachte beispielsweise anfangs niemand, der Lounge Chair würde ein Erfolg, aber Herman Miller brachte ihn dennoch raus, weil klar war, dass die Eames kein unausgereiftes Produkt liefern würden, das sie nicht mit den besten Absichten entwickelt haben."
Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt von The World of Charles and Ray Eames sind die Ausstellungsräume, die Ray und Charles selbst entwarfen und in denen ihre Arbeiten präsentiert wurden. Angefangen mit Charles Eames erster Einzelaustellung im New Yorker Museum of Modern Art, MoMA, im Jahr 1946, spielten Museumsausstellungen eine wichtige Rolle beim Aufbau der Reputation der Eames. Für The World of Charles and Ray Eames hat das Barbican das Set-Up nachgebaut, das die Eames als Beitrag für die Ausstellung For Modern Living by Alexander Girard at the Detroit Institute of Arts im Jahr 1949 entwickelten. Eine Ausstellung, die wiederum unter Beweis stellt, wie wirkungsvoll, überzeugend und folglich auch kommerziell relevant solche Ausstellungen sein konnten und wie mühelos die Möbeldesigns der Eames fortbestehen.
Ein sehr viel größerer Bereich wird den Ausstellungen eingeräumt, die Ray und Charles selbst entwarfen, vor allem ihrem Information Machine Pavillon für IBM auf der New Yorker Weltausstellung 1964-65. Eine wahrlich monströse Arbeit, die sich mit Wissenschaft, Geschichte, Architektur und allem befasst, was im und für das moderne, technologische Zeitalter wichtig war. Zudem ist Information Machine auch ein schönes Beispiel dafür, wie die Eames in ihren Installationen und Ausstellungen mit neuen Präsentationsformen experimentierten. Sie arbeiteten mit Multimedia-Strategien, mit Interaktivität und forderten starre, weit verbreitete Konventionen heraus. Letztlich halfen sie dabei Ideen und Gedanken zum Ausstellungsdesign voranzutreiben. Hier stellt sich natürlich die Frage, wie sehr einem die Bedeutung eines Themas bewusst sein muss, wenn man eine Ausstellung über Menschen zusammenstellt, die derart viele und wichtige Ausstellungen gemacht haben. "Darüber denkt man natürlich nach", antwortet Catherine Ince, "aber bei jeder "zeitgenössischen" Betrachtung muss man seine eigene Sprache und Stimme finden und für mich war es wichtig, dass man den Eindruck einer zeitgenössischen Ausstellung hat und nicht den einer nostalgischen Retrospektive, die sich der Eames'schen Ästhetik bedient."
So umfangreich die Ausstellung des Barbican auch ist, man wird den Eindruck nicht los, dass es da eine Welt gibt, die The World of Charles and Ray Eames nicht ausreichend untersucht - und das ist die private! Ja, es gibt den wirklich reizenden Heiratsantrag, den Charles Eames 1941 für Ray verfasste, aber was die Einblicke in die Rollen des Paares, seine Persönlichkeiten, Überzeugungen und Hintergründe angeht, ist die Ausstellung leider zu bemängeln. Aber ist das denn wirklich so wichtig!? Um den Erzähler aus Julian Barnes Roman, Flauberts Papagei, zu zitieren: Warum wollen wir unbedingt etwas über die Hintergründe von Künstlern erfahren? Reichen ihre Arbeiten denn nicht aus?
"Als Designer überträgt sich deine Haltung auf deine Arbeit" antwortet Matylda Krzykowski auf eine ähnliche Frage im Zusammenhang mit der Depot Basel Ausstellung Forum für eine Haltung im Vitra Design Museum. Und in ähnlicher Weise handelt es sich um eine zwangsläufige Schlussfolgerung, dass es hilfreich ist Ray und Charles Eames zu verstehen, wenn wir ihre Arbeit verstehen wollen. Ja, die Ausstellung zeigt einen sehr schönen Kurzfilm mit Charles Eames' Antworten auf die Fragen des Louvres im Vorfeld der Ausstellung "Was ist Design" von 1969. Antworten, die einen wunderbaren Einblick geben, wie Charles Eames Design verstand - nur ist damit gerade mal ein Anfang getan.
In den 1950er Jahren wurde Charles Eames eingeladen in London zu sprechen und stimmte entgegen besseren Wissens zu, einige Fotos aus dem Inneren des Eames Office mitzubringen. Entgegen besseren Wissens insofern, als Charles Eames der Kuratorin Catherine Ince zufolge der Meinung war "das Blut sollte nicht zu sehen sein" - was soviel heißen soll wie: Man zeigt das Resultat, aber nicht, wie man dazu gekommen ist! Letztlich brachte Charles Eames einen Film des Eames Office heraus, der durch ein Kaleidoskop aufgenommen wurde - man sieht nichts außer tanzender Muster. Sein Versprechen hatte er also gehalten! Dieser Film wird am Anfang von The World of Charles and Ray Eames gezeigt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Eames ein Designerduo bleiben, das zu großen Teilen nur durch ein Kaleidoskop wahrgenommen werden kann - eines mit besonders hellen und gut gelaunten Bildern. Ginge es nach uns, hätten wir an dieser Stelle - dem Leben der Eames - auf etwas mehr Klarheit bestanden, gewissermaßen auf ein bißchen mehr Blut.
Uns ist klar, dass der Ausstellungskatalog den einen oder anderen Text enthält, der etwas mehr enthüllt. Wir hätten es aber trotzdem besser gefunden, man hätte den allgegenwärtigen Lounge Chair ignoriert und etwas mehr zu Ray und Charles Eames gebracht.
Aber wie gesagt: Nimmt man sich einem Thema wie "The World of Charles und Ray Eames" an, gibt man sich automatisch den Unkenrufen preis.
Die Welt der Eames endete tatsächlich am 21.August 1978 mit dem Tod von Charles Eames. Auch wenn das Eames Office unter Rays Führung weiterlief, kleine Produkte produziert wurden und bestehende Verträge weiter bestanden, wurde wenig wirklich Neues entwickelt. Mit Ray Eames Tod am 21. August 1988 endete so schließlich auch das letzte Kapitel der Eames-Welt.
Da kommt die Frage auf, wie eine aktuelle Eames-Welt aussehen würde/aussehen könnte. Wie sähe es in Anbetracht der vielfältigen und breiten Interessen und Leidenschaften des Paares, ihrer grundsätzlichen Neugier und Begeisterung dem Leben gegenüber aus, würden Ray und Charles heute noch arbeiten? Wir haben Eames Demetrios gefragt, ob er beispielsweise meint, die Eames wären mit Open Design, als einer Möglichkeit "das beste für die meisten zu den geringsten Kosten" zu produzieren, einverstanden.
"Einer der wichtigsten Punkte war für die Eames immer, dass sie die Qualität halten wollten, und dass die Qualität ein Teil der Erfahrung sein sollte. Diesem Anspruch wird man in einem Open Design Format immer schwerer gerecht", antwortet er und zerstört damit all unsere Illusionen, "auf der anderen Seite könnte man sagen, dass Volkskunst so etwas ähnliches ist wie ein Open Design Format. Sie hätten Open Source und Open Design mit Sicherheit als Teil eines ähnlichen Konzeptes verstanden. Eines Konzeptes unüberschaubarer Möglichkeiten und Gewalten. Insofern hätte die Eames diese Entwicklung mit Sicherheit fasziniert. Sie hätten sie wohl erforscht und sie vielleicht auch übernommen."
Und das Internet? Das wäre doch sicherlich ein passendes Spielzeug für Ray und Charles Eames gewesen?
"Ohne Frage hätten sie eine Menge Möglichkeiten darin gesehen. Wahrscheinlich hätten sie begonnen damit rumzuspielen und nach Wegen gesucht sich das Medium nutzbar zu machen", antwortet Demetrios, und richtet uns wieder auf, "die Eames waren beispielsweise für einige der ersten interaktiven Laser-Discs verantwortlich, in jener Zeit, in der vielleicht gerade mal fünf Laser-Disc-Spieler in Gebrauch waren. Außerdem machten sie einen Film mit dem Titel "Cable the Inmediate Future", der vieles in Sachen Internet vorausahnte und klarmacht, dass ihnen die Möglichkeiten absolut bewusst waren."
Eine Antwort, die uns natürlich auch nochmal an die Tatsache erinnert, dass es bei The World of Charles an Ray Eames keine App als Begleitung zur Ausstellung, keine QR-Codes zum Scannen und somit keine direkte Erweiterung der physischen Ausstellung in die virtuelle Welt gibt.
Charles Eames hätte eine App entwickelt! (wir zumindest!) Wir sind allerdings gerade froh, dass es keine gibt. Denn es ist zu bezweifeln, dass selbst die unendlichen Weiten des Internets groß genug wären, um das riesige Thema der Welt von Charles und Ray Eames verständlich einzufangen und zu präsentieren.
Die Ausstellung im Barbican ist allerdings ein guter Ausgangspunkt um sich zu orientieren und seine Position zu bestimmen. The World of Charles an Ray Eames läuft in der Barbican Art Gallery, Silk st, London bis Sonntag, den 14. Februar.
Alle Details und Informationen zum Begleitprogramm sind unter www.barbican.org.uk zu finden.