Die Geschichte der angewandten Kunst - wir glauben, es ist nicht zu impulsiv, das zu behaupten - ist eng verknüpft mit der aller anderen visuellen Kunstformen.
Insofern ist es auch nur logisch, dass die Geschichte des Grassi Museums für Angewandte Kunst zu Leipzig sehr eng mit der der Leipziger Kunsthochschule, der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB), verknüpft ist. Um jetzt den 250. HGB-Geburtstag zu feiern, wurden HGB-Studenten und -Graduierte vom Grassi Museum eingeladen, die Dauerausstellung der Sammlung des Grassi Museums zu unterbrechen, das heißt: ihre Arbeiten zwischen, neben und anstatt der Objekte aus der ständigen Sammlung zu platzieren, und so einen Dialog zwischen dem Dekorativen und dem Praktischen, dem Funktionalen und dem Abstrakten, dem Mondänen und dem Lächerlichen entstehen zu lassen.
Mit einer Auswahl von Gemälden, Skulpturen, Videos, Installationen und Objekten von über 70 internationalen Künstlern präsentiert die von Alba D'Urbano und Olga Vostretsova kuratierte Ausstellung "2.5.0. - Object is Meditation and Poetry" eine Reihe von Arbeiten, die, und das ist gewissermaßen enttäuschend, nicht speziell für die Ausstellung entwickelt wurden, sondern in anderen, davon unabhängigen Kontexten entstanden sind, sich aber dennoch auf bestimmte Aspekte der Sammlung oder des Grassi Museums beziehen lassen. "Enttäuschend" nicht, weil die daraus resultierende Ausstellung nicht funktionieren würde, das tut sie nämlich, sondern weil eine direktere Konfrontation mit der Sammlungsausstellung, vor allem auch mit dem Ausstellungsstil des Grassi Museums und den dort präsentierten Positionen, möglicherweise zu einer die Gedanken anregenderen, letztlich lohnenderen Ausstellung geführt hätte. Stattdessen hat man eine Ausstellung innerhalb einer anderen Ausstellung, "zwei zum Preis von einer" - aber wer freut sich heutzutage nicht über ein solches Schnäppchen inmitten all der Entbehrungen und finanziellen Unsicherheiten ...
Damit soll aber nicht behauptet werden, es bestünde keinerlei Verbindung zwischen den Objekten und der Sammlung: Es gibt durchaus einige ganz offensichtliche Zusammenhänge. So zum Beispiel Bea Meyers Installation "Utopia is a perfect social system in wich everyone is satisfied and happy", die vor einem Wandteppich platziert ist, der wiederum auf Raphaels "Schule von Athen" basiert, oder Varinka Schreurs Serie "DIY. All Tomorrows Parties" aus 3D-gedruckten Objekten, die anstelle von Lausitzer Steingut aus dem 10. Jahrhundert vor Christi gezeigt wird. Es gibt noch einige wenige weitere subtile Verbindungen, so zum Beispiel die Serie "Private Unsiverse" von Silke Koch - kleine raumschiffartige Gebilde, aus gesammelten Küchenutensilien zusammengebaut, die in Erich Dieckmanns Küchenensemble aus den späten 1920er Jahren präsentiert wird, das er am Bauhaus Weimar entwickelt hatte; oder Silke Wawros "most expensive jacket in the world", das zwischen Exemplaren der Plauener Spitze ausgestellt ist. Dann gibt es wiederum Objekte, bei denen, zumindest für uns, die Verbindungen eher vage sind. Das spielt allerdings keine größere Rolle, wenn man sich die Projekte für sich genommen anschaut. So haben wir uns beispielsweise über Cindy Schmiedichens Gipsplanken inmitten einer Reihe von Tischen und Stühlen von Designern wie Marcel Breuer, über Anton Lorenz und Mies van der Rohe oder über Susan Winters zwangsläufig namenlose Komposition aus 10.000 Rasierklingen sehr gefreut.
Gewissermaßen macht das auch die subtile Schönheit von "2.5.0. - Object is Meditation and Poetry" aus. Wir denken nicht, dass irgendjemand ins Grassi Museum gehen wird, nur um HGB-Arbeiten zu sehen. Die meisten kommen wegen der Dauerausstellung der Sammlung, für die exzellente Tour von der Antike bis zum heutigen Tag - eine Reise, die beweist, wie grundsätzlich gleich und unverändert unsere Anforderungen in Sachen Möbel, Kleidung und Verbrauchsgüter über die Jahrhunderte geblieben sind und die zigtausende Jahre der kulturellen Entwicklung erforscht. Und während des Ganges durch die Dauerausstellung werden die Besucher eingeladen, nach Wunsch in die HGB-Projekte einzutauchen. Der Besucher steht nicht unter dem Druck, alle Projekte sehen oder verstehen zu müssen, geschweige denn, an allen Gefallen zu finden. Letztlich ist das der beste Weg, sich ein Museum anzuschauen, fällt doch so eine Menge an Zwang weg, den man häufig beim Besuch von Dauerausstellungen verspürt. Geht es nicht den meisten so? Rokoko muss man nicht schön finden, Marcel Breuers Stahlrohrstühle kann man auch als sinnlose Studentenabenteuer abtun - und was bitte macht Fernando und Humberto Campanas "Sushi"-Pouf so außergewöhnlich?
Ein besonderes Highlight von "2.5.0. - Object is Meditation and Poetry" waren für uns Alexej Meschtschanows Stühle - gefesselt von ungehobelten Stahlrohren. Stühle, die im ganzen Museum verteilt sind und die, ganz abgesehen von ihrer besonderen Verspieltheit, einen an die Gefahren von Museen erinnern, die sich allzu ernst nehmen, ihre Sammlungen als abgeschlossene Positionen begreifen und vergessen, auch mal etwas Luft in ihren Bestand zu lassen.
Mit "2.5.0. - Object is Meditation and Poetry" hat das Grassi Museum zu Leipzig einen sehr willkommenen frischen Wind in seine Ausstellungräume gelassen.
"2.5.0. - Object ist Meditation and Poetry" läuft im Grassi Museum für Angewandte Kunst zu Leipzig, Johannisplatz 5-11 04103 Leipzig, bis Sonntag, den 28.Juni.
Alle Details sind unter www.grassimuseum.de zu finden.