Andy Warhol sagte uns allen 15 Minuten Ruhm voraus. Gleichzeitig hatte er allerdings auch verinnerlicht, dass wir alle irgendwann für immer tot sein würden. Seine Auseinandersetzung mit dem Tod in all seinen poetischen, brutalen und ungerechten Facetten kann man jetzt in der Ausstellung "Andy Warhol - Death and Desaster" in den Kunstsammlungen Chemnitz nachvollziehen - und das anhand von Arbeiten, die ebenso lebendig, kritisch und komplex sind wie die, in denen sich Warhol mit den Launen der Celebrities, dem Trash und der amerikanischen Konsumkultur auseinandersetzte.
In etwa so wie sich Mateo Kries und Marc Zehnter, nachdem sie das Vitra Design Museum übernommen haben, als erstes vornahmen, eine Konstantin-Grcic-Ausstellung zu zeigen, so wollte auch Ingrid Mössinger nach dem Antritt ihres Postens als Generaldirektorin der Kunstsammlungen Chemnitz als eines ihrer ersten Vorhaben, eine Ausstellung über Andy Warhol machen.
Ihr Wunsch sollte sich erfüllen, als sie im Rahmen der Picasso-Ausstellung 2012 dem Kunsthändler und -sammler sowie Galeristen Heiner Bastian vorgestellt wurde. Als Freund Andy Warhols aus den frühen 1970er Jahren hat Heiner Bastian zahlreiche Texte zu Andy Warhol veröffentlicht und war für die Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie Berlin 2002 verantwortlich, die anschließend auch in der Tate London und dem Museum of Contemporary Art, Los Angeles gezeigt wurde. Bei Gesprächen zwischen Mössinger und Bastian entstand langsam die Idee, Warhols sogenannte "Death and Disaster"-Serie in Chemnitz zu zeigen.
Heiner Bastian zufolge begann Andy Warhol im Sommer 1962, als er seine Siebdrucktechniken entwickelte, den Fokus auf die morbiden und abgründigen Aspekte des Lebens zu legen. Marilyn Monroe nahm sich das Leben, 129 Menschen starben, als der Air France Flug 007 beim Start verunglückte, und Warhol realisierte, dass all seine Arbeiten auf die eine oder andere Art mit dem Tod in Zusammenhang standen. So entschloss er sich den Opfern, dem Tod eine Geschichte, eine Bedeutung zu geben, ihm, wenn man so will, Gestalt zu verleihen.
Man bekommt so den merkwürdigen Eindruck, dass Andy Warhol genau zu dem Zeitpunkt, als er seine Technik perfektioniert hatte, den Künstler aus der Kunst zu entfernen, mit seinen wohl persönlichsten und personalisiertesten Arbeiten begann.
"Andy Warhol - Death and Desaster" umfasst um die 60 Objekte, die alle zwischen 1962 und Mitte der 1980er Jahre entstanden sind, darunter, "Skull", "Flowers", "Sixteen Jackies" und "Electric Chair", eine Arbeit, die sehr eindrucksvoll als Serie von 10 Drucken in unterschiedlichen Tönen präsentiert ist. Die Präsentation betont, dass es, auch wenn um die 60 Objekte ausgestellt sind, nur 12 Themen bzw. Bilder gibt; wiederholt in unterschiedlichen Materialien, Farben, Formaten und Zusammenhängen. Natürlich passt das gut zu Warhol, der die Industrialisierung, Wiederholung und Massenproduktion von Kunst ja zu einem seiner wichtigsten Themen machte.
Die Wiederholung hilft auch den Bildern trotz ihres teils beängstigenden und brutalen Charakters ihre Bedrohlichkeit zu nehmen. So wirkt die Ausstellung zugänglicher als es ansonsten wahrscheinlich der Fall gewesen wäre. Durch die Variationen hat der Besucher zudem die nötige Distanz sich eher auf die Botschaft als auf das einzelne Bild konzentrieren zu können. Das mag den Motiven nicht unbedingt die Rolle verleihen, um die es Warhol ging, bringt aber einen Fokus auf das Schicksal der jeweiligen Motive mit sich.
Etwas enttäuschend ist, dass einige Arbeiten nicht zu sehen sind, vor allem "129 Die in Jet" und "Marilyn Diptych", also jene Arbeiten, mit denen Warhol die Serie begann. So enttäuschend das aber auch sein mag, die Auswahl von Heiner Bastian und den Kunstsammlungen Chemnitz ist mehr als geeignet, um den Besuchern nicht nur die interessantesten und anspruchsvollen künstlerischen Untersuchungen Warhols näher zu bringen, sondern auch um ein deutliches Bild des Mannes hinter den hellen, lebhaften Siebdrucken, Grafiken und Coca Cola Flaschen zu zeichnen.
In Gesprächen deutet Heiner Bastian an, dass die Arbeiten der Death and Disaster Serie keine Pop Art seien; d.h. nichts mit der frei verfügbaren, Wegwerfkultur des täglichen Lebens zu tun haben, wie sie die Pop Art thematisierte. Auch wenn wir einem Mann wie Heiner Bastian da nicht widersprechen wollen und zugeben, dass wir dazu auch gar nicht qualifiziert sind, würden wir argumentieren, dass es doch nichts ausdehnbareres, temporäreres und flüchtigeres gibt als das Leben. Wie Malcolm Middleton so passend formulierte. "Es gibt ein Wann und nicht ein Ob in jedem von uns." Oder, und um beim Warhol-Vokabular zu bleiben: Sind wir nicht letztlich alle nur Konservenbüchsen mit einem Mindesthaltbarkeits- und einem Verfallsdatum? Nur werden wir auch so lang leben? Oder werden sich Krankheit, Verbrechen, Unglück, politische Unruhe und selbstmörderische Tendenzen durchsetzen?
Und so wie es nichts so Flüchtiges gibt wie das Leben, so gibt es nichts Dauerhafteres als den Tod. Andy Warhol hat das verstanden und uns vielleicht gerade deshalb allen 15 Minuten Ruhm gewünscht - bevor wir nämlich auf die Demütigung und Anonymität des Todes treffen!
"Andy Warhol - Death and Disaster" kann, und sollte in den Kunstsammlungen, Theaterplatz 1, 09111 Chemnitz bis Sonntag, den 22. Februar 2015 besucht werden.
Alle Details einschließlich aller Informationen zum umfangreichen Begleitprogramm sind unter www.kunstsammlungen-chemnitz.de zu finden.