In der Vergangenheit haben wir uns zugegebenermaßen manchmal etwas harsch über Chemnitz geäußert. Unberechtigterweise, wie manche, oder eigentlich ziemlich viele, Leser anmerkten.
"Kommt schon. Chemnitz ist nicht so schlecht", war die einhellige Meinung.
Also entschieden wir uns, mal etwas genauer hinzusehen und unsere Vorurteile hinter uns zu lassen. Kurzum, statt immer nur das Schlechte zu sehen, haben wir mal einen Blick auf die aktuelle Kreativszene in Chemnitz geworfen. Angefangen bei dem Snowboard-Hersteller Silbærg.
Im Rahmen eines Forschungsprojektes der TU Chemnitz ins Leben gerufen, machen die Silbærg Snowboards Gebrauch von der sogenannten Anisotropic Layer Design (A.L.D.) Technologie, mit der eine ganz neue Form von Snowboard geschaffen werden kann. Genau gesagt zeichnen sich die Boards dadurch aus, dass sich die Kanten entsprechend der Fahrsituation verformen. Wird mit dem Silbærg Snowboard eine Kurve gefahren, drückt sich die Kante in den Schnee und erhöht spürbar den Kantenhalt. Beim Boardslide dagegen hebt sich die Kante vom Rail ab, sodass ein Verkanten erschwert wird und sich die Kante nicht am Rail abnutzt.
Diese Innovation erfreut nicht nur die Boarder und Kritiker, sondern wurde auch mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt gewann der Silbærg Carvomat Pro Carbon den Plus X Award für seine Innovativität, hohe Qualität, das Design und Funktionalität. 2014 wurde Silbærg beim Plus X Award außerdem in der Kategorie "Innovativste Marke" anerkannt.
Bis zur Forschungsarbeit von Silbæerg Gründer Jörg Kaufmann wurden derartige anisotropiebedingte Koppeleffekte nur in theoretischen Projekten betrachtet, welche den Prototypenstatus nicht verlassen haben. Laut Silbærg sind ihre Snowboards nun die ersten, die mit der Technologie in Serienproduktion gegangen sind.
Wir haben uns mit Jörg Kaufmann getroffen und mit ihm über die Boards, die Technik dahinter und Chemnitz als Ort für so ein Projekt gesprochen. Zuerst wollten wir jedoch wissen, ob am Anfang die Lust neue Snowboards zu entwickeln oder der Wunsch die A.L.D. Technologie anzuwenden stand.
Jörg Kaufmann: Ich boarde seit 1995 und je mehr Wissen über und Erfahrung mit der Technik ich gesammelt hatte, desto mehr wuchs der Wunsch in mir, die beiden Dinge miteinander zu verbinden. Die Möglichkeit bot sich dann im Rahmen meiner Doktorarbeit, in der ich anisotropiebedingte Koppeleffekte untersucht habe. Wir unternahmen unzählige Versuche mit Faserverbundplatten und als ich sah, wie die sich verformen können, war klar für mich, dass ich so eine Technologie auf Snowboards anwenden sollte.
(smow) blog: Anisotropiebedingte Koppeleffekte und Faserverbundplatten sind nichts, wovon viele Leute etwas verstehen. Ohne zu viel darüber zu verraten, was ist das Geheimnis der Funktionsweise eurer Boards?
Jörg Kaufmann: Das Geheimnis der Technologie liegt in der Ausrichtung der Fasern im Snowboard. Ein normales Snowboard hat maschinell hergestellte Faserhalbzeuge, unsere Boards haben einen Kern, die aus bis zu 40 Stücken bestehen und von Hand in Chemnitz gefertigt werden. Die Anordnung der Fasern und die manuelle Fertigung machen den Unterschied und rufen den einzigartigen Effekt hervor.
(smow) blog: Klingt soweit ganz simpel. Aber sicher verlief die Entwicklung nicht problemlos, oder?
Jörg Kaufmann: Die Effekte, die wir in dem Board erzeugen, sind normalerweise auch von der Temperatur abhängig, wodurch es schwer war, ein Stadium zu erreichen, in dem die Boards gepresst werden konnten, ohne sich dabei zu verformen. Generell war es ein langer Prozess, den Effekt zu optimieren, weil er einen Gegenlauf beinhaltet, den richtig zu verstehen und zu integrieren, sehr kompliziert war. Im Zuge der Entwicklung haben wir über 1000 Modelle in Computersimulationen getestet, was mit klassischem Prototypen und den branchentypischen "Trail and Error"-Methoden nie möglich gewesen wäre.
(smow) blog: Aber am Ende muss man das Board mit auf einen echten Berg nehmen?
Jörg Kaufmann: Ja, wir haben sie in Zermatt in Form von anonymisierten weißen Boards, d.h. einer nicht zuordenbaren Mischung aus unseren und "normalen" Boards, getestet. Das Testteam bestand aus zehn Boardern, die jedes Board getestet und nach jeder Fahrt einen Evaluationsbogen ausgefüllt haben. Die abschließende Analyse der Daten hat eindeutig ergeben, dass die Boards mit A.L.D. Technologie besser als die herkömmlichen fuhren. Die Ergebnisse haben das gute Gefühl unserer Tester bestätigt und deutlich gemacht, dass es Sinn machen würde, eine Firma zu gründen und die Boards kommerziell herzustellen.
(smow) blog: Und was war leichter zu entwickeln, das Board oder die Firma?
Jörg Kaufmann: Sehr gute Frage! Die Entwicklung des Boards dauerte sechs Jahre und ich wusste, dass die Entwicklung der Marke, die Marktdurchdringung und die Internationalisierung schwieriger werden würden. Und wie sich herausstellte, ist es auch so. Aber es macht jeden Tag Spaß an der eigenen Marke und den eigenen Produkten zu arbeiten und in die leuchtenden Augen von begeisterten Kunden zu sehen.
(smow) blog: Die meisten Snowboarder wollen natürlich nicht nur gut fahren, sondern auch gut dabei aussehen. Wie viel Aufmerksamkeit schenkt ihr der äußeren Form eurer Boards?
Jörg Kaufmann: Im Moment werden die individuellen Faserhalbzeuge per Hand hier in Chemnitz hergestellt und die Boards selbst werden in Österreich von GST, einem der führenden Snowboardhersteller der Welt, gepresst. Zum Glück können wir dabei auf die Erfahrung von 20 Jahren Snowboardbau zurückgreifen und ihre Shapes nutzen. Die Formgestaltung ist auf jeden Fall ein wichtiger Aspekt der Boards und birgt für uns einiges Entwicklungspotential, da so nicht zuletzt der Widererkennungswert der Boards gesichert wird. Aus diesem Grund forschen wir auch an eigenen Shapes, die kommen aber erst auf den Markt, wenn sie wirklich perfekt sind - so wie unsere A.L.D. Technologie.
(smow) blog: "Entwicklungspotential"... Ihr habt in Chemnitz angefangen, weil ihr dort wart. Wenn alles etwas größer wird, wollt ihr bleiben?
Jörg Kaufmann: Für uns ist Chemnitz ein sehr guter Ort und ich sehe keinen Grund nicht hier zu bleiben. Mit der engen Zusammenarbeit mit der TU Chemnitz und vor allem mit dem Institut für Strukturleichtbau haben wir den perfekten Partner für Innovationen direkt vor unserer Haustür. Auch sind wir von Chemnitz aus relativ schnell in den Alpen, was sehr wichtig für den Verkauf und das Marketing während der Saison ist, und mit Oberwiesenthal haben wir den perfekten Ort für Tests gleich um die Ecke. Außerdem gibt es in Chemnitz relativ viele hochqualifizierte Studenten, was für die weitere Entwicklung des Projekts wichtig ist.
(smow) blog: Und am Ende müssen wir es einfach noch fragen: Hat man durch das Board einen Vorteil in Wettbewerben? Darf man es da überhaupt benutzen?
Jörg Kaufmann: Das Snowboard-Studenten-Team der TU Chemnitz hat bei der letzten deutschen Hochschulmeisterschaft auf Silbærg Boards in den Olympischen Disziplinen Halfpipe, Boardercross und Slopestyle je die Goldmedaille und weitere Platzierungen geholt. Ich denke, das ist Antwort genug...
Weitere Details zu silbærg Snowboards sind zu finden unter http://silbaerg.com/