Am Freitag, den 26. September, wird die Egon Eiermann Gesellschaft erstmals den Preis Egon Eiermann Stuhl mit einer Zeremonie in der Neuen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin verleihen. Der Preis wurde ins Leben gerufen, um Personen zu würdigen, die einen besonderen Beitrag zum Erhalt der Arbeit Egon Eiermanns geleistet haben. So werden in diesem Jahr Barbara und Eckard Düwal für ihre Restaurierung des sogenannten Wohnhauses Matthies in Potsdam-Babelsberg mit dem ersten Egon Eiermann Stuhl ausgezeichnet. Das 1937 gebaute und seit 1977 denkmalgeschützte Wohnhaus Matthies ist einer der frühesten Bauten Eiermanns und steht für den Landhausstil, der so typisch war für viele seiner frühen Arbeiten.
Im Jahr 2002 beauftragten Barbara und Eckard Düwal das Architekturbüro Gerald Kühn-von Kaehne und Eberhard Lange mit der denkmalgerechten Wiederherstellung der Hausfassade, wofür im Großen und Ganzen der Egon Eiermann Stuhl verliehen wird. Vor der Verleihung sprachen wir mit dem Architekten Eberhard Lange über das Wohnhaus Matthies, Egon Eiermanns Erbe und den Erhalt desselben. Zuerst fragten wir allerdings nach seinem persönlichen Verhältnis zu Egon Eiermann.
Eberhard Lange: Mit meinem Architektur- und Denkmalpflegehintergrund bin ich natürlich an guter Architektur interessiert, und dazu zählen nicht nur Bauten aus Barock, Renaissance und anderen historischen Epochen, sondern auch moderne Gebäude, vor allem Gebäude der Nachkriegsmoderne. Aus der Zeit also, zu der Eiermann berühmt wurde. Egon Eiermann war mir schon früh ein Begriff, nicht zuletzt weil man als Architekturstudent in der DDR viel von seinen legendären Vorlesungen in Karlsruhe hörte, wo sich die Studenten anstellten, um rein zu kommen. Da wollte ich natürlich mehr über seine Arbeit wissen und entdeckte einen Mann, der wirklich mit Leib und Seele Architekt war. Er dachte nicht einfach nur stilistisch oder im Kontext des Standortes über ein Gebäude nach, sondern wägte wirklich alles bis ins kleinste Detail ab - das faszinierte mich. Als Architekt habe ich inzwischen an zwei Sanierungen von Egon Eiermann Gebäuden gearbeitet - zuerst am Wohnhaus Henckels in Kleinmachnow und später dann am Wohnhaus Matthies in Babelsberg.
smow Blog: Wie Sie schon sagten, haben Sie nicht nur an Egon Eiermann Gebäuden oder Arbeiten von Architekten wie Konrad Wachsmann oder Erich Mendelsohn gearbeitet, sondern auch an zahlreichen älteren Gebäuden, darunter an Arbeiten von Schinkel und an vielen der Königspaläste in Potsdam. Geht man an ältere historische Gebäude anders heran als an eher moderne?
Eberhard Lange: Zunächst einmal hat man immer Respekt vor den eigentlichen Architekten und ihren Arbeiten, insofern geht man alle Projekte erstmal auf die gleiche Weise an. Denkmalpflege beginnt außerdem immer mit einer Analyse, das heißt mit Forschungen und mit Fragen, wie "Um welchen Typ Gebäude handelt es sich?", "Wie wurde das Gebäude konstruiert?", "Was ist architektonisch relevant und interessant?" usw. Gleichzeitig muss man jedoch die Art des Auftrages im Auge behalten. Handelt es sich also einfach um Instandhaltung, Restaurierungen und Reparatur, kommen keine weiteren Arbeiten hinzu, oder gibt es weiterführende Aufgaben - ein typisches Beispiel wäre die Dämmung oder Fragen nach der Raumaufteilung und ähnliches. Insofern variiert die Arbeit eher hinsichtlich des Auftrages als in Bezug auf den Architekten und die Epoche.
smow Blog: Die Gewinner des ersten Egon Eiermann Stuhls sind Barbara und Eckard Düwal für ihren Einsatz zum Erhalt des sogenannten Wohnhauses Matthies. Im Jahr 1938 schrieb Hans Josef Zechlin im Magazin Bauwelt: "Das Haus steht mit einer wie gewachsenen Selbstverständlichkeit da, wie aus sich selbst erstanden, als hätte niemand es entworfen - womit das Bau höchstes Lob gesagt sei". Was macht das Gebäude für Sie so interessant?
Eberhard Lange: Als erstes muss man sagen, dass das Wohnhaus Matthies ein Sparbau ist. Es wurde für Heinz Matthies, später nannte er sich in Mathias Matties um, gebaut, der ein Jugendfreund Egon Eiermanns war. Er hatte damals erst geheiratet und wollte nun ein Wohnhaus für sich und seine Frau auf einem Teil des Grundstückes seiner Eltern errichten. Allerdings hatte Matthies als junger Künstler nicht viel Geld und so ist das Haus eine sehr einfache, klare Konstruktion, die aber in den Details - von denen drei besonders herausstechen - wirklich fantastisch ist und die das Haus so überaus interessant machen. Das erste Detail ist die Art, wie die Fenster in die Wand integriert sind. Um Arbeit und Kosten zu sparen, hat Eiermann gängige Konstruktionsprinzipien ignoriert und stattdessen einen simplen Stahlwinkel benutzt, um den Fensterrahmen zu fixieren und zu stützen - eine einfache Lösung und ein wunderbares, elegantes Detail. Bautechnisch ist diese Lösung allerdings hoch problematisch, weil sich das Kondenswasser zwangsläufig hinter den Stahlwinkeln sammelt und eine ganze Reihe an Problemen nach sich zieht. Allerdings wusste man solche Sachen in den 30er Jahren noch nicht so recht. Die Fenster wurden im Hinblick auf den Kontext also auf wunderbare Weise realisiert. Ähnlich fantastisch, wenn auch bautechnisch genauso problematisch, ist die sogenannte Quetschfuge an der Außenfassade. Für die unebene Oberfläche verwendete Eiermann den Mörtel, der heraustritt, wenn ein Stein auf den anderen gesetzt wird. Hinsichtlich des Designs eine fantastische Idee, weil der Bau so ein wirklich schönes, grafisches Detail erhält, bautechnisch jedoch auch furchtbar, weil der Regen an den Fugen herunterläuft, die dann über die Jahre bröckeln und brechen. Aber wie gesagt, ein wirklich schönes Design...
smow Blog: Das heißt Egon Eiermann hat den Maurern aufgetragen, den Mörtel zwischen den Steinen herausquellen zu lassen, um ihn dann formen und trocknen zu können? Die müssen doch gedacht haben, der spinnt...
Eberhard Lange: Mit ziemlicher Sicherheit! Wie auch bei dem dritten Detail, der sogenannten "wilden" Schieferdeckung, einem Verfahren, das man in Norddeutschland nicht wirklich kannte und eher üblich in Süddeutschland, Bayern, Tirol usw. war. Die örtlichen Handwerker konnten mit dem Konzept einfach nicht umgehen und so gaben es einige auf, bevor Eiermann schließlich den richtigen Mann in Berlin fand, der der Aufgabe gewachsen war und so dieses wundervolle Dach bauen konnte, das dem Haus seine einmalige Ästhetik verleiht.
smow Blog: Das hört sich, um ehrlich zu sein, so an, als mache all das eine gewissenhafte und gleichzeitig zeitgemäße Restaurierung des Gebäudes zu einer komplexen und kostspieligen Sache!?
Eberhard Lange: Absolut! Und ich bewundere die Entscheidung der Düwals, das in Angriff genommen zu haben. Das ist auch einer der Gründe für die Auszeichnung mit dem ersten Egon Eiermann Stuhl. Die Erneuerung der Quetschfuge kostet Zeit und Geld. Und man könnte sich die Arbeit sparen, vor allem wenn man bedenkt, dass die Fuge in Zukunft wieder erneuert werden muss. Auch die Fensterkonstruktion ist nicht ideal und könnte leichter durch eine andere ersetzt werden. Aber die Düwals entschieden sich alles beizubehalten. Wenn man solche Eigenheiten - obwohl man weiß, wie sie sich auf das Gebäude auswirken - zu schätzen weiß und respektiert, beschließt, dass sie zum Charakter des Hauses gehören und sie erhalten möchte, verdient das denke ich Respekt. Und man darf nicht vergessen, dass das Wohnhaus Matthies ein ziemlich kleines Haus ist, vor allem nach modernen Standards. Perfekt für ein Paar, aber klein. Die Düwals respektieren und lieben das Haus wie es ist und haben kein Interesse daran es zu verändern.
smow Blog: Andere Leute scheinen an Eiermann Gebäuden nicht immer gleichermaßen Gefallen zu finden. Unter anderem ist derzeit Eiermanns IBM Campus in Stuttgart bedroht und die Zukunft des Neckermann Versandhauses in Frankfurt ist nach wie vor ungeklärt. Sollten oder müssen alle Eiermann Gebäude erhalten werden? Ist das wichtig?
Eberhard Lange: Egon Eiermann war über viele Jahre aktiv und entwickelte sich als Architekt kontinuierlich weiter. Nimmt man nur mal die Privathäuser als Beispiel und vergleicht sein vor dem Krieg entstandenes Wohnhaus Matthies und sein eigenes in Baden-Baden von 1962, fällt auf, dass es sich um völlig unterschiedliche Bauten handelt, grundverschiedene Genres. Man braucht gar nicht erst anfangen beide miteinander zu vergleichen. Es ist also auf jeden Fall wichtig, Belege für die Entwicklung von den einfacheren Gebäuden aus der Zeit vor dem Krieg hin zu den größeren Nachkriegsgebäuden und den sehr viel moderneren Bauten zu finden. Nach Meinung der Egon Eiermann Gesellschaft müssten alle Egon-Eiermann-Gebäude erhalten werden, und das nach Möglichkeit in ihrem ursprünglichen Zustand. Wenn Gebäude bedroht sind, so wie es in Stuttgart der Fall ist, sollte man unserer Meinung nach gute Argumente für den Erhalt und eine zukünftige Nutzung finden. Denkmalpflege ist allerdings kein Dogma. Beispielsweise sagt auch die Charta von Venedig, der Grundstein der Denkmalpflege, dass ein Gebäude auf die sinnvollste Weise erhalten wird, wenn es zum Nutzen der Gesellschaft geschieht, und das erreicht man am besten, wenn das Gebäude aktuellen Anforderungen gerecht wird. Also ja, man muss zuweilen abwägen, welche Kompromisse beispielsweise in Sachen Dämmung oder Raumgröße gefunden werden können, um die sensible Entwicklung eines Gebäudes zu ermöglichen. Jede Veränderung kann schmerzen. Wenn man aber überzeugt ist, dass durch bestimmte Veränderungen ein Gebäude erhalten werden kann, das für neue Generationen auch nützlich sein kann, dann müssen diese Veränderungen durchgesetzt werden.
smow Blog: Man muss auch anfügen, dass Eiermann selbst nicht gerade schüchtern war, wenn es darum ging, Gebäude zu zerstören, die nicht in seine Pläne passten. Berühmtestes Beispiel ist da wahrscheinlich Erich Mendelsohns Kaufhaus Schocken. Sollte man nicht nach einem ähnlichen Maßstab mit Eiermanns Arbeiten verfahren?
Eberhard Lange: Nicht nur Eiermann, auch viele andere erfolgreiche und bekannte Architekten zerstörten ältere Gebäude (zum Teil auch immer wieder), um ihre eigenen Projekte realisieren zu können. Dazu wird es immer wieder kommen und davon ist auch Egon Eiermann betroffen. Beispielsweise wurde erst kürzlich die Taschentuchweberei in Blumberg abgerissen. Und das obwohl sie denkmalgeschützt war und zu Eiermanns interessantesten Industriebauten gehörte. Im Gegensatz dazu wurde Eiermann im Fall der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin durch den Druck der Öffentlichkeit gezwungen den Kirchturm, den er eigentlich abreißen lassen wollte, in sein Konzept zu integrieren. Was er schließlich akzeptierte. Auf der einen Seite hat man also den Denkmalpfleger, der natürlich alles erhalten möchte, und auf der anderen Seite soziale sowie ökonomische Interessen und die damit verbundenen Vorstellungen. Letztendlich muss man die beste Lösung für ein Gebäude in Abhängigkeit von der jeweiligen Zeit finden.
smow Blog: Und zum Schluss: Was denken Sie, können junge Architekten von Egon Eiermann lernen?
Eberhard Lange: Da ist zum einen Eiermanns Persönlichkeit. Er war jemand, der andere überzeugen konnte. Es ist sehr wichtig, dass man als Architekt eine Idee entwickeln kann und dann auch in der Lage ist, andere davon zu überzeugen, dass sie gut ist. Das machte Eiermann wirklich sehr gut. Zum anderen lernt man als Architekt von Eiermann, dass man Mut haben sollte neue Sachen auszuprobieren, neue Wege zu gehen, mit neuen Materialien zu arbeiten und neue Details zu entwickeln, dabei zwar das Traditionelle zu respektieren und zu würdigen, aber nicht nur nach hinten zu schauen.