Im Jahr 2011 haben wir uns über den Zaun beschwert, der den Vitra Campus in Weil am Rhein durchkreuzt und daraufhin einen kleinen Aufruf an Vitras Vorsitzenden Rolf Fehlbaum veröffentlicht: "Herr Fehlbaum, reißen Sie diese Mauer ein!", forderten wir und schlugen vor, "Oder verschieben sie den Zaun zumindest ein Stück."
Rolf Fehlbaum hat tatsächlich reagiert, der Zaun wurde ein Stück verschoben. Danke!
Allerdings hat der weise Rolf Fehlbaum gleich etwas weiter gedacht und die Gunst der Stunde genutzt, und vom portugiesischen Architekten Álvaro Siza einen Weg zwischen VitraHaus und Zaha Hadids Feuerwehrhaus entwerfen lassen. Vor allem aber hat er den gewonnenen Platz für eine Installation von Künstler Carsten Höller genutzt. Versöhnlicherweise steht da, wo früher ein hässlicher Zaun die Sicht versperrt hat, jetzt ein Aussichtsturm - genauer der Vitra Rutschturm. Und der macht seinem Namen wirklich alle Ehre.
Die Entscheidung Álvaro Siza für die Gestaltung des neuen Weges anzufragen, fiel laut Fehlbaum nicht zufällig, sondern hing mit früheren Landschaftsprojekten Sizas, wie dem Swimmingpool Komplex in Leca da Palmeira und dem Museum für zeitgenössische Kunst in Santiago de Compostela, zusammen.
Der ungefähr 500 Meter lange, kurvenreiche Weg in die westliche Ecke des Vitra Campus ist gesäumt von Hainbuchenhecken. Die geordnete Reihe öffnet sich gelegentlich hin zu grünen Plätzen und gibt den Blick auf den Vitra Campus sowie Sitzbereiche mit Granitbänken frei. Der Álvaro-Siza-Weg kreuzt dabei Renzo Pianos Diogene und den neuen Vitra Rutschturm, bevor er durch eine schmale Lücke in einer Stein- und Granitmauer führt, von der aus man schließlich freie Sicht auf das Feuerwehrhaus hat.
Es handelt sich also tatsächlich nur um einen Weg - eine Strecke, die A mit B verbindet. Und die Frage, warum man dafür einen Pritzker-Preisträger engagiert, ist durchaus berechtigt.
Nun ja...
Álvaro Siza hat natürlich nicht einfach nur einen "Weg" entworfen. Auf einem einfachen Weg geht man entlang, als wäre es eine lästige Pflicht, die man erfüllen muss, um sein Ziel zu erreichen. Bei Sizas Weg sollte man gerade diese Orientierung auf das Ziel mal hinten anstellen und sich stattdessen auf seine Umgebung einlassen. Den Weg das Ziel sein lassen. Was man auf diese Weise entdecken wird, ist, dass sich Architektur und Natur nicht mühelos miteinander verbinden, sondern in Konkurrenz zueinander stehen. Natur und Architektur müssen ihre Position jeweils gegeneinander behaupten - und zeigen sich dadurch von ihrer besonders charmanten Seite.
Im Gegensatz dazu fügt sich Carsten Höllers Vitra Rutschturm ganz ohne jede Anstrengung in das Ensemble des Vitra Campus ein. Mit seinen ungefähr dreißig Metern Höhe ist er keine sonderlich attraktive Konstruktion und versprüht in ästhetischer Hinsicht ungefähr den Charme eines Strommastens. Allerdings strahlt der Rutschturm dabei eine gewisse Mischung aus Trash und amerikanischer 50er-Jahre-Nostalgie aus. Wir würden nicht gleich vom neuen Las Vegas in Weil am Rhein sprechen, aber wenn nachts die riesige, sich drehende Uhr leuchtet, hat der Rutschturm etwas zufriedenstellend Kitschiges. Ungefähr wie das erste Album der Manic Street Preachers... Wahrscheinlich sollte uns der Rutschturm eher an russische konstruktivistische Architektur wie den Tatlin-Turm erinnern, was er in gewisser Weise auch tut, aber vor allem...
Die äußere Erscheinung des Turms ist letztendlich aber auch zweitrangig. Was zählt, ist die Funktion. Die Idee zum Turm wurde durch Rolf Fehlbaum angestoßen, der darüber nachdachte, wie sich mehr Kunst auf dem Vitra Campus integrieren ließe. Ein Skulpturengarten missfiel ihm und schließlich schlug ihm die Kuratorin Theodora Vischer vor, bei Carsten Höller anzufragen. Von Carsten Höllers Ideen begeisterte Rolf Fehlbaum das Konzept eines Turms mit Rutsche am meisten, da die Installation zwar ein Kunstwerk ist, dabei aber architektonische und spielerische Elemente miteinbezieht. Und da schon Charles Eames dazu riet, "unser Vergnügen ernst zu nehmen"... Die 38 Meter lange mit Plexiglas überdachte Rutsche macht's möglich! Und von der Aussichtsplattform aus lässt sich ganz in Ruhe das herrliche Panorama von Weil am Rhein, Basel, dem Tüllinger Hügel und natürlich vom Vitra Campus genießen.
Alles in allem also eine exzellente Erweiterung des Vitra Campus und eine Installation, die den Besuchern ganz neue Dimensionen eröffnet.
Der Álvaro-Siza-Weg ist für alle rund um die Uhr zugänglich und der Vitra Rutschturm täglich von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei, allerdings sollte man sich darauf einstellen, seinen Kindern erklären zu müssen, dass die Benutzung erst für Kinder ab sechs Jahren und 1,30 Metern erlaubt ist.
Neben diesen Neuheiten zeigt das Vitra Design Museum in der Vitra Design Museum Gallery derzeit außerdem die Ausstellung "Álvaro Siza - Visions of the Alhambra", die bereits im Aedes Architekturforum Berlin zu sehen war. Interessierte Leser verweisen wir also auf unseren früheren Post zur Ausstellung. Und bis zum 14. September ist die Ausstellung "Konstantin Grcic – Panorama" im Vitra Design Museum zu sehen.