Umgeben von 150 Jahren Thonet Möbelgeschichte steht Peter Thonet, der x-te Enkel von Unternehmensgründer Michael Thonet und bis zu seiner Pensionierung kürzlich CEO von Thonet, im Leipziger Grassi Museum für Angewandte Kunst und wirkt sichtlich zufrieden, als er in Bezug auf die Ausstellung "Sitzen – Liegen – Schaukeln. Möbel von Thonet" sagte: "Es macht einen stolz, wenn man auf eine Sammlung von Objekten zurückblicken kann, die nicht nur wichtig für das Unternehmen ist, sondern mitunter auch Designgeschichte geschrieben hat."
In den 1840er Jahren von Michael Thonet gegründet, entwickelte sich Thonet von einem Wiener Hinterhof aus zu einem der weltweit größten und kommerziell erfolgreichsten Möbelhersteller. Der Erfolg mit Bugholz (Fragt man einen beliebigen Mitarbeiter von Thonet, wird er einem freudestrahlend bestätigen, dass zwischen 1859 und 1930 weltweit ungefähr 50 Millionen von Thonets Vorreiterstuhl 14 verkauft wurden.) wurde vom Erfolg mit gebogenem Stalrohr und vor allem den Möbeln von Designern wie Mart Stam, Marcel Breuer und dem Pariser Trio Le Corbusier, Charlotte Perriand & Pierre Jeanneret gefolgt, bevor wie in so vielen europäischen Biografien der Krieg kam...
Von den sieben Thonet Produktionsstätten, die vor 1939 in Betrieb waren, blieb nach 1945 nur die in Frankenberg (Eder) nahe Kassel. Der Rest wurde entweder durch den Krieg zerstört oder durch das sozialistische Regime verstaatlicht.
Frankenberg wurde auch schwer durch alliierte Bomber beschädigt, doch blieb so viel übrig, dass die Thonet Familie noch einmal neu an dem Standort beginnen konnte.
Heute beschäftigt Thonet ungefähr 170 Mitarbeiter in Frankenberg, wo ein Mix aus Thonet Klassikern und modernen Designs produziert wird.
Mit 150 ausgestellten Objekten erkundet "Sitzen – Liegen – Schaukeln" die Geschichte der Thonet Stühle mit einem besonderen, aber nicht auschließlichen, Fokus auf den Arbeiten, die nach 1945 entstanden.
Organisiert nach Themen, Materialien und Funktionen anstelle einer rein chronologischen Reihenfolge, vermischt "Sitzen – Liegen – Schaukeln" historische mit zeitgenössischen Objekten und etablierte Thonet Klassiker mit unbekannteren Stücken, wobei gerade diese kuratorische Entscheidung hilft, die Gesichte der Thonet Sitzmöbel nachzuvollziehen.
In der ersten Hälfte der Ausstellung ist jeder Abschnitt um eine zentrale, beleuchtete Insel arrangiert, was einem zwar zuweilen den Eindruck vermittelt, man besuche eine Sushi Bar, aber auch alles sehr gut betrachten lässt. Der zweite Raum mit Blick in den Grassi Hof ist etwas konventioneller aufgebaut, jedoch so gut bestückt, dass man die Präsentation getrost ignorieren und sich auf die Objekte konzentrieren kann.
Wie treue Leser wissen werden, erzählen wir gerne davon, dass Thonet für zwei Revolutionen in der Möbelindustrie verantwortlich war - Thonet hat sowohl das Bugholzverfahren als auch das Stahlrohrbiegen in der industriellen Produktion etabliert. Außerdem sagen wir dann gerne, dass wir nun auf die dritte Revolution warten. "Sitzen – Liegen – Schaukeln" macht keine großen Hoffnungen darauf, dass die bald kommen wird, aber sie zeigt, dass der Grund dafür nicht ist, dass sich Thonet auf seinen Lorbeeren ausgeruht hat.
Vor allem seit 1945 hat Thonet mit einer beeindruckenden Riege deutscher und internationaler Designtalente, einschließlich z.B. Ferdinand Kramer, Verner Panton, Gerd Lange, James Irvine und Naoto Fukasawa, zusammengearbeitet. Diese Designer haben nicht nur zu dem aktuellen Portfolio beigetragen, sondern auch neue Ideen in die Unternehmensphilosophie eingeführt.
Jene, die unseren Post über Artek in Mailand gelesen haben, werden sich nun vielleicht fragen, warum es okay für uns ist, dass Thonet mit neuen Designern zusammenarbeitet, während Artek bei Alvar Aalto bleiben soll.
Nun, jene, die unseren Post über Artek in Mailand gelesen haben,werden wahrscheinlich verstehen, dass wir nichts dagegen haben, wenn traditionsreiche Firmen wie Thonet oder Artek mit neuen Designern zusammenarbeiten - solange sie ihre Kernkompetenzen nicht vergessen.
Mit Konstantin Grcic und Hella Jongerius hat Artek mit zwei Designern zusammengearbeitet, die Arteks Kernkompetenzen genutzt und erweitert haben. Und auch bei "Sitzen – Liegen – Schaukeln" sieht man, dass die beeindruckendsten, überzeugendsten und erfolgreichsten Nachkriegsdesigns die sind, bei denen der Designer das Konzept "Thonet" verstanden und wenn auch etwas Neues, etwas, was immer noch "Thonet" ist, entwickelt hat. Es klingt vielleicht lächerlich, aber ein Unternehmen muss sich mit dem wohlfühlen, was es macht, wenn es neuen Boden betritt. Von Thonets jüngsten Kollaborationen sollen an dieser Stelle besonders die mit Läufer + Keichel, Delphin Design und Stefan Diez erwähnt werden.
Für uns war auch die umgekehrte Situation die Ursache, warum das Unternehmen in den 1980er Jahren etwas von seinem Weg abkam. Unserer Meinung nach sollten zu viele Stühle dieser Periode Thonet als neue Marke definieren, statt das bewährte Stuhldesign zeitgemäß weiterzuentwickeln. Und sowas funktioniert meistens nicht...
Geht man durch die Ausstellung "Sitzen – Liegen – Schaukeln. Möbel von Thonet" kommt es unausweichlich zu dem Moment, in dem man sich fragt, ab welchem Punkt eine Ausstellung über Thonet Stühle zur Verkaufsveranstaltung für Thonet Stühle wird. Wenn man alle paar Monate einen Thonet Messestand sieht, erst recht.
Im Falle von "Sitzen – Liegen – Schaukeln" muss man sich darüber allerdings keine Sorgen machen. Die kommerziellen Interessen des Unternehmens Thonet haben keinerlei Einfluss auf den musealen Inhalt. "Sitzen – Liegen – Schaukeln" wurde allein vom Grassi Museum organisiert und lediglich das Archiv von Thonet ist in die Ausstellungsorganisation eingeflossen.
"Sitzen – Liegen – Schaukeln" ist die erste Ausstellung, die den Fokus auf Thonets Nachkriegsproduktion legt und ist dabei eine der umfangreichsten Ausstellungen über Thonet. Die Wahl des Grassi Museums, einer Institution mit einer Geschichte, fast so lang wie die von Thonet, und Mitwirkender bei der Etablierung des frischgebackenen Bauhauses, als Veranstaltungsort hätte nicht passender sein können.
Man muss bedenken, dass die Mehrheit der Stühle in der Ausstellung derzeit nicht produziert werden und wahrscheinlich auch nie wieder in Produktion gehen werden. Letztlich sind sie historische Artefakte in einer kuratierten Museumsumgebung - und sollten auch als solche wahrgenommen werden.
"Sitzen – Liegen – Schaukeln" ist eine recht simple Ausstellung, die nichts Kompliziertes versucht, das aber sehr kompetent umsetzt.
Wer nichts mit Stühlen im Museum anfangen kann, sollte um diese Ausstellung im Grassi Museum wohl einen Bogen machen. Wer Stühle jedoch mag, oder zumindest mehr über die Entwicklung des Sitzmöbels in den letzten 150 Jahren erfahren will, dem ist ein Besuch durchaus zu empfehlen.
"Sitzen – Liegen – Schaukeln. Möbel von Thonet" kann noch bis Sonntag, den 14. September 2014, im Grassi Museum für Angewandte Kunst, Johannisplatz 5-11, 04103 Leipzig besucht werden.
Mehr Informationen gibt es unter www.grassimuseum.de