Es gibt im zeitgenössischen Möbeldesign und der Innenarchitektur zurzeit eine Menge "Aufregung" um die Idee Natur in Wohnräume zu bringen, Pflanzen in Möbel zu integrieren, unsere raue, gleichgültige moderne Welt etwas zu sänftigen.
In den letzten Monaten haben wir in diesem Zusammenhang zum Beispiel über Stephan Schulz' Projekt Domestic Landscape, die Green Lamp von Zuzanna Malinowska und Werner Aisslingers Bikini Island Konzept für Moroso gepostet. Und auch auf dem kürzlich stattgefundenen Designers' Open in Leipzig waren zahlreiche Beispiele solcher Konzepte zu finden. Die Projekte reichten dabei von unakzeptabel abscheulich bis uneingeschränkt genial.
Das bringt uns zu einem der frühesten Objekte, das Pflanzen und Möbel in wohnlicher Harmonie vereint hat. Ein Objekt, das mit intelligentem Zubehör seinen Job so gut macht und so durchdacht hergestellt ist, dass man sich nur wundern kann, warum sich überhaupt noch jemand anderes mit dem Thema beschäftigt hat.
Leider ist es auch ein Objekt, das - wie vielleicht schon vorherzusehen war - nicht mehr erhältlich ist.
1946 als Teil von George Nelsons erster Möbelkollektion für den damals führenden Hersteller von Designermöbeln in den USA, Herman Miller, lanciert, wurde der Coffee Table 4662 aus Birke hergestellt und verbindet einen Pflanztopf aus Kupfer mit Stauraum unter einer verschiebbaren Tischplatte - und das alles so charmant gestaltet wie gelungen proportioniert.
Neben seiner außergewöhnlichen Schönheit macht den Coffee Table 4662 so einzigartig und faszinierend, dass er, soweit unsere Nachforschungen hervorbrachten, einer der wenigen Stücke ist, die tatsächlich von George Nelson selbst entworfen worden sind. Obwohl er mehr als zwei Jahrzehnte als Chefdesigner von Herman Miller tätig war und maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Mid-century Modern hatte, entwarf George Nelson nämlich nur sehr, sehr wenige Möbel, die allein auf ihn zurückzuführen sind.
Der Tray Table ist von Ernest Farmer.
Der Pretzel Chair ist von John Pile.
Der Coconut Chair ist von George Mulhauser.
Das Marshmallow Sofa ist von Irving Harper.
Die Nelson Bench ist von... George Nelson.
Dass nicht alle George Nelson Möbel auch von ihm stammen, ist und war kein Geheimnis. Aber somit ist George Nelson kein Designer im eigentlichen Sinne. George Nelson wurde bei Herman Miller auch nicht als Designer angestellt. Er sollte die Herman Miller Designabteilung leiten, einen zeitgemäßen, modernen Akzent in das Portfolio des Unternehmens bringen und vor allem für den kommerziellen Erfolg von Herman Miller sorgen.
Dass er diese Ziele mit einer solchen Leichtigkeit erreicht hat, lag fraglos an seinem besonderen Verständnis für die Stimmung der Zeit sowie seinen tiefgreifenden Überlegungen zum Wesen und der Bedeutung von "Design" im Allgemeinen.
Obwohl als Architekt ausgebildet und auch tätig gewesen, machte sich George Nelson zunächst einen Namen als Autor und Journalist, das jedoch mit Spezialisierung auf architektonische Themen. 1945 veröffentlichten er und sein Kollege Henry Wright "Tomorrow's House", eine Art Ratgeber für moderne Bauten, Innenarchitektur und Wohntechnik. "Tomorrow's House" beinhaltete auch Nelsons Konzept der "Storage Wall", einer modernen, modularen Alternative zu den schweren, festen Lagerschränken und Garderoben der Zeit. Mehr ein theoretisches Konstrukt als ein potentielles Produktdesign, weckte die Storage Wall die Aufmerksamkeit von Herman Miller CEO, D.J. De Pree.
Infolge des vorzeitigen Todes von Gilbert Rohde suchte Herman Miller angestrengt nach einem neuen Chefdesigner und wegen der Storage Wall, oder besser gesagt wegen des Gedankens dahinter, sah D.J. De Pree das Potential für den Posten in George Nelson. Potential, das bei einem ersten Treffen zwischen den beiden im November 1944 bestätigt wurde: "Er hat einen glänzenden Hintergrund", schrieb De Pree an den damaligen Vertriebschef Jim Eppinger und weiter, "denkt voraus; will nicht durch die Verwendung von Holz beim Planen der Möbel beschränkt werden...". Und nach weiteren Treffen sagte er im Februar 1945: "Sein Denken und Zugang ist genau das, was wir wollen", und bemerkte, dass Nelson, "...aktiv an den Dingen arbeitet, die für besseres Leben gemacht sind."
Doch trotz dieser sehr positiven Treffen schreib Nelson-Biograf Stanley Abercrombie, dass George Nelson, "...offen mit seinem Mangel an Erfahrungen im Möbeldesign umgeht und nicht gewillt ist, sich in ein Abkommen zu stürzen."
Schließlich kamen George Nelson und Herman Miller zu einer Einigung und es spricht für seinen Charakter, dass George Nelson als erste Amtshandlung zu den anderen amerikanischen Möbelherstellern gefahren ist, um ein Gefühl für die Möbelindustrie jener Tage zu bekommen und zu verstehen, worauf es in dem Geschäft ankommt, über das er bis dahin nichts wusste. Wie viel er auf seiner Reise lernte, lässt sich daran ablesen, wie schnell darauf er Isamu Noguchi und Charles Eames zu Herman Miller holte.
George Nelson selbst blieb immer eher ein Theoretiker und Beobachter als ein Entwerfer. Oder wie Irving Harper, ein Designer, der mit George Nelson über 25 Jahre zusammenarbeitete, Julie Lasky, der stellvertretenden Herausgeberin der New York Times’ "Home"-Sparte, sagte: "Ich hab nie gesehen, wie George etwas designt."
Ähnlich die Einleitung zu Nelsons Biografie, wo sich Stanley Abercrombie an die Arbeit mit Nelson an einer Installation für die Lobby der Herman Miller Firmenzentrale erinnert, und über die vorbereitenden Treffen sagt: Nelson wollte "...seine Vision eines Designs beschreiben, niemals aber selbst einen Bleistift in die Hand nehmen. Ich musste los und versuchen das, was ich dachte, was er meinen könnte, auf Papier bringen und kam dann mit meinen Zeichnungen zurück zu ihm. Manchmal fand sie Nelson hoffnungslos weit entfernt von dem, was er meinte; manchmal waren sie akzeptabel; aber sogar wenn sie das Gemeinte auf den Punkt trafen, brachten sie ihn eher dazu, weitere Möglichkeiten zu überdenken."
Eine ähnliche Vorgehensweise findet sich bei George Nelsons erster Möbelkollektion für Herman Miller. Die Kollektion wurde in sehr enger Zusammenarbeit mit dem jungen deutschen Designer Ernest Farmer entworfen. Dieser musste laut Stanley Abercrombie "täglich Bericht an Nelsons Büro im Empire State Building abgeben, um Nelsons Ideen zu besprechen, und jede Nacht musste er die Zeichnungen nach Nelsons Wünschen überarbeiten."
Während es nur fair ist zu sagen, dass George Nelson zweifellos für das allgemeine Konzept und die Richtung hinter dem Programm verantwortlich war, trägt die Mehrheit der Designs Ernest Farmers formale Handschrift. Oder teilweise sogar die von Charles Eames und Eero Saarinen. Ein zentrales Element der Kollektion war z.B. ein modulares Regalsystem, das zwar formal von Farmer stammt, tatsächlich aber mehr als einen Bezugspunkt zum Case Furniture von Eero Saarinen und Charles Eames aufweist, das 1940 den "Organic Design in Home Furnishings”-Wettbewerb vom MoMa New York gewann.
Doch einige Objekte, wie die bereits erwähnte Nelson Bench, der Extension Coffee Table und der Coffee Table 4662, stammen von George Nelson und beweisen, dass er hin und wieder, wahrscheinlich wenn er allein war, auch selbst designt hat.
Die Entscheidung alle Arbeiten George Nelson zuzuschreiben, liegt nicht etwa an einem egoistischen Zug in Nelsons Charakter. Wir trafen ihn zwar nie, aber die, die es taten, beschreiben ihn als alles, aber nicht als eingebildet oder aufgeblasen. In einem Essay von 1957 diskutiert er zeitgenössisches Design und vergleicht vor allem den Designprozess von früher mit der Gegenwart. "Damals", schreibt er, "war der 'Designer' kein Individuum, sondern ein komplexer sozialer Prozess des Versuchens, Auswählens, Anordnens. Heute ist es so ziemlich dasselbe, doch neigen wir heutzutage dazu die Wichtigkeit des Individuums zu überbewerten."
Doch, und trotz George Nelsons persönlichem Empfinden, war er in der ersten Blüte einer marketing- und markengesteuerten Welt tätig und in der sollte, egal wer leitender Designer war, nur ein Name als kreative Kraft genannt werden. Und das in dem Fall sollte George Nelson sein. Das wird im Übrigen bis heute so gehandhabt. Die meisten zeitgenössischen Möbeldesigns werden einem einzelnen Designer zugeschrieben, während sie tatsächlich das Ergebnis einer Zusammenarbeit eines "Studios" sind. Der Input des Designers variiert dabei von Projekt zu Projekt und von Studio zu Studio.
George Nelson war in dieser Hinsicht nur mal wieder seiner Zeit voraus.
Und so wie George Nelson großen Wert darauf legte, dass alle an dem Projekt Beteiligten genannt werden, wenn es in einer Zeitschrift vorgestellt wird, nennen Designer wie Stefan Diez oder Konstantin Grcic alle beteiligten Kreativen auf ihrer Website. Dass die Hersteller nicht jeden Einzelnen nennen, ist verständlich und wahrscheinlich auch fair. So wie eben auch Herman Miller damals nur George Nelson nannte...
Was aber weder fair noch verständlich ist, ist, dass so ein Objekt wie der Coffee Table 4662 in Vergessenheit geraten ist. Nicht zuletzt weil es einen der wenigen Einblicke in George Nelsons persönliche Design-Handschrift gewährt.