In unserem Post zur Ausstellung "Made in Slums - Mathare Nairobi" im Triennale Design Museum Mailand haben wir uns auf den belgischen Autor und Kurator Max Borka und seine Theorie bezogen, dass die besondere Note des Berliner Designs zum Großteil ein Resultat der anhaltenden Krise sei, die die Stadt über Jahrzehnte auszuhalten hatte. Dieser Zustand hätte zu sehr standortspezifischen Reaktionen bei Designern und Architekten geführt.
Während der Vienna Design Week 2013 hat Max Borka ein neues Buch veröffentlicht, das untersucht, wohin uns eine so ortsgebundene Entwicklung des Designs führen könnte und sollte. Ohne es beabsichtigt zu haben, setzt er "Made in Slums" so in einen globalen Kontext.
"Form Follows Foco. 100 Snapshots of Guerilla Survival Props" ist die zweite Publikation im Zusammenhang mit Max Borkas Projekt "Mapping the Design World".
Das im Jahr 2012 begonnene Projekt "Mapping the Design World" ist ein Versuch die Vielzahl sozialer und kritischer Designprojekten der letzten Jahre, die sich häufig auf spezifische, lokale Bedingungen beziehen, zu katalogisieren, zu unterstützen und zu promoten.
2012 präsentierte die erste Publikation des Projekts 100 Beispiele solcher sozialen Designprojekte, darunter den Weltweiten Saatgut-Tresor auf Spitzbergen in Norwegen, Mohammed Bah Abba´s Pot-in-Pot Kühlsystem, das ohne Elektrizität auskommt, und den ewig genialen Mine Kafon von Massoud Hassani.
Die Hoffnung der "Mapping the Design World"-Protagonisten ist, dass all die kleinformatigen, lokalen Projekte in einem einheitlichen globalen Kontext gesehen mit vereinter Kraft wirklich nachhaltige Veränderungen zugunsten der gesamten Gesellschaft bewirken können. Diese Logik wiederum basiert auf Foco, einer Theorie, die Che Guevara verfolgte. Sie besagt, lokal operierende, kleine Guerillatruppen könnten mit vereinter Kraft eine groß angelegte Revolution durchsetzten.
"Form Follows Foco" erklärt tatsächlich, wie eine solche Entwicklung theoretisch realisiert werden könnte und macht klar, warum diese äußerst wünschenswert und zu honorieren sei.
In 100 mehr oder weniger kurzen Notizen verbindet "Form Follows Foco" Max Borkas wohlüberlegte Schlussfolgerungen aus der direkten Beobachtung aktuellen Designs und globaler Kultur mit den Sichtweisen verschiedener Design- und Kulturtheoretiker. All das in einem gut lesbaren und leicht zu verstehenden Text, der sich an Profis wie auch Laien richtet. Mal spricht die Arbeit direkt die Designer an, mal ein größeres Publikum - also uns.
Worauf Max Borka grundsätzlich abzielt, scheint offensichtlich, ist aber ohne Frage auch sehr richtig: Obsoleszenz, Mode, Konsum, Eitelkeit, Überproduktion, endlos neue Designmagazine, Designmessen etc....
Seine harschste Kritik geht gegen das dem Kapitalismus untergeordnete Design und die unilateralen Anforderungen des globalen Marktes.
"Die Probleme fingen erst an, als sich das Marketing zur Vaterfigur des Designs aufschwang", schreibt er im Snapshot 14,"das verängstigte alle Konkurrenten und verwandelte Design in einen dandyhaften Schnösel - vom Tunnelblick befallen und nur noch im Stande Konsumgüter, Corporate-Design-Müll und kapitalistisch verwertbare Dinge zu produzieren..."
Das Resultat, so Max Borka, ist, dass die Vorstellung von Design zu "wenig mehr" als "einem Gleitmittel" verkommen ist, "das helfen soll, eine unverhohlene Agenda zu realisieren: 'Verkaufe, was auch immer, an wen auch immer, egal zu welchem Preis.' Dieses Prinzip als Mittel zum Zweck - Floskeln, wie Form Follows Function als Fahne schwenkend". Dem Design käme so meist nur noch die Rolle eines "nützlichen Trottels zu, während die Designer zu Entertainern degradiert da stünden."
Das sind Gedanken, denen man nur schwer widersprechen kann. Sie bringen uns auf das Symposium "Warum Gestalten?" an der HfBK Hamburg zurück und vor allem zur Position des CEOs vom Rat für Formgebung, Andrej Kupetz, der meint der prinzipielle Fokus der Industrie läge auf Produktdifferenzierung. Einfach gesagt: man bietet ausreichend Farben und Materialien an, sodass der Kunde meint, er habe die Kluft zwischen Individualismus und einer identifizierbaren sozialen Gruppe überwunden.
Im Snpashot 10 macht Max Borka eine ähnliche Aussage, als er sich auf das Konzept des "Marktpopulismus" des amerikanischen Autors Thomas Frank bezieht: "...die tiefsten Bedürfnisse der Menschen werden durch den Markt ausgedrückt und gleichsam befriedigt". Im Snapshot 40 heißt es: "Das heutige Design soll uns träumen lassen, es soll sich nicht aus unseren Träumen entwickeln."
Das sind Aussagen, die wiederum an Christoph Schäfers Theorie der "Royal Participation" erinnern, der zufolge man uns erzählt, wir hätten eine Wahl, obwohl es die aber eigentlich nicht gibt. Es würde uns nur ein größerer Spielraum zur Verfügung gestellt, in dem wir unsere Begrenztheit und unsere Abhängigkeit von globalen Marken erneut unter Beweis stellen könnten.
Solche Gedanken sind natürlich weder neu noch ist Max Borka der erste, der daran rührt. Max Borka selbst bezieht sich wohl auf William Morris. Uns erinnern viele seiner Argumente an Enzo Mari und seine vollständige Verachtung für den Markt - und im Grunde genommen einfach alles.
Was allerdings neu, zumindest sehr selten ist, ist, dass Max Borka von diesen Punkten ausgehend argumentiert: Design könne anders sein, könne mehr sein und zugunsten eines sozialen Zusammenlebens genutzt werden. Der Designer müsste dafür allerdings aus den Fängen des Marktes befreit werden.
Letztendlich ist die Mehrheit von "Form Follows Foco" sehr zukunftsorientiert und versucht uns zu sagen, es gibt einen Weg aus diesem undurchsichtigen Wald, der um uns herum gewachsen ist - so groß und alles überschattend er auch sein mag.
Für Max Borka wird dieser Weg nach vorne wie gesagt durch die vereinte Wirkung kleinformatiger, sozialer Designprojekte geebnet, wie sie "Mapping the Design World" verfochten hat.
Nur wie sehr wir Borkas Idee einer globalen Community kleiner Projekte auch mögen, wir glauben nicht, dass sie zustande kommt -jedenfalls nicht global und nicht in unserer westlichen Welt.
Wir stimmen völlig mit Borkas Auffassung überein, dass die Suche nach "einer großen Lösung" die Gesellschaft blind für die Möglichkeiten macht, die eine Vielzahl an kleinen Lösungen bietet, und dass es häufiger viele kleine als eine optimale Lösung gibt.
Für uns liegt das Problem allerdings nicht bei den Lösungen, sondern bei der Akzeptanz dieser Lösungen durch die Gesellschaft. Hier sind wir wohl alle zu selbstsüchtig und die Industrie zu dominant - jedenfalls in unserer westlichen Gesellschaft.
Außerhalb Europas und Amerikas mag eine solche Bewegung möglich sein, wie es "Made in Slums" zeigte. Gewissermaßen vertritt Borka diese Position auch im Snapshot 82: "Wenn beispielsweise einzelne Gemeinden die Hauptrolle in der Entwicklung eines Landes spielen, wird das Design die Möglichkeiten der neuesten Technologie absorbieren und nutzen - dies aber nur, wenn es lokale Antworten auf lokale Bedürfnisse liefern kann, also lokale Produktivität und lokales Einkommen stärkt sowie Eigenständigkeit und Demokratie."
Dass sich diese Bewegung allerdings auf Europa und Amerika übertragen lässt, glauben wir nicht. Wie immer wären wir aber froh eines Besseren belehrt zu werden.
Abgesehen von den kleinformatigen Projekten ist für Borka auch bessere Bildung ein Weg nach vorn. "Nicht nur die Designausbildung, sondern das gesamte Bildungssystem sollte komplett überdacht werden und jeden mit dem notwendigen sozialen Kapital ausstatten ein Designer zu werden. Diese Ansichten stimmen ziemlich genau mit denen Lucas Verweijs überein, die er während unseres Gesprächs auf dem DMY Berlin 2012 äußerte. Irgendwie muss da ein Zusammenhang zur Beneluxheimat bestehen, oder die beiden haben einfach zu viel Zeit in Berlin verbracht.
An anderer Stelle diskutiert Max Borka zusammenhängend und überzeugend die Notwendigkeit, für das Design ein Gedächtnis aufzubauen. Die derzeitige Alzheimererkrankung, wie es Borka nennt, müsse überwunden werden. Man müsse über der physischen Schönheit die Relevanz wiederentdecken, um auch im anthropologischen Sinne die Gemeinschaft zu verstehen, für die ein Design entwickelt wird.
Eine der interessanteren Positionen Borkas ist, dass das Design in Zukunft anstatt Probleme zu lösen auch Probleme aufreißen müsse. An dieser Stelle besteht nämlich auch ein direkter Konflikt zwischen Design und den Medien Kunst, Literatur und Musik, die sich bis heute zu großen Teilen verantwortlich fühlen, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten und sie mit der Realität ihrer Erkrankungen zu konfrontieren. Warum sollte sich also das Design seinen nächsten Verwandten nicht anschließen und anstatt sich ewig anzupassen endlich beginnen zu provozieren? Oder wie es im Snapshot 75 heißt: "Können wir als Designer nicht politisch sein? Können wir immer noch sagen, "Politik interessiert mich nicht?" und neutral bleiben? Nein, können wir nicht."
Kauft diesem Mann also ein Bier!
"Form Follows Foco" zeichnet ein ziemlich brutales Bild der derzeitigen Realität. Wie sich zeigt, kann man die deutlich linke philosophische Note nicht ignorieren, aber die Präsentation ist ehrlich, ungekünstelt, wohl überlegt und mutig. Sie macht vor allem konstruktive Vorschläge, wie wir den Status Quo beenden können - und der muss sich ändern.
Nur die Dummen und Voreingenommenen würden gegen die Tatsache argumentieren, dass unsere Gesellschaft grundlegend verändert werden muss, um eine nachhaltige, globale Zukunft zu ermöglichen, in der alle sinn- und würdevoll existieren können.
Designer könnten einen solchen Wandel maßgeblich erleichtern.
"Form Follows Foco" gibt nicht vor, was gemacht werden soll - die Präsentation liefert aber einen unterhaltsamen und eloquenten Beitrag zur Debatte und einen Text, den jeder, der Teil besagter Veränderung sein möchte, lesen sollte. Auch wenn man nicht mit allem übereinstimmen wird. Vielleicht ist aber gerade das der Punkt...
Max Borka "Form Follows Foco. 100 Snapshots of Guerilla Survival Props" wird verlegt von Walking Chair Design Studio/Gallery, Wien und ist in allen anständigen Buchläden oder über www.walking-things.com erhältlich.