Als Teil des Europalia Arts Festivals präsentiert zurzeit das belgische Kulturinstitut Grand Hornu die Ausstellung "Living Objects - Made for India".
Kuratiert von dem Londoner Designstudio Doshi Levien, ist "Living Objects", wie der Titel schon deutlich macht, gewissermaßen eine Erforschung indischer Alltagsobjekte und eine Ausstellung, die in den Worten von Nipa Doshi und Jonathan Levien als "...Anregung, die indische Kultur, die indischen Werte und den indischen Lebensstil zu diskutieren"verstanden werden soll.
Was alles nach gutem, sauberem Spaß klingt.
Was wir jedoch noch viel interessanter finden, ist Doshi Leviens größere Intention, also dass alle gezeigten Objekte "...einzigartig indisch sind, aber begrenzten Nationalismus vermeiden", weil so ein Diskurs schon immer eines der zentralen Themen im indischen Design war und einer der Aspekte, warum es so faszinierend ist.
Zur Zeit der britischen Kolonialherrschaft, dem unsensiblen Monster, wollte London alle Aspekte des sozialen und kulturellen Lebens in Indien nach den imperialen Idealen ausrichten. Laut Saloni Mathur war eine Folge daraus, dass bis Indien 1947 die Unabhängigkeit von Großbritannien erlangte, Design in Indien "als traditionelle Kunst und als Handwerk der Dörfer verkauft und von der industriellen Produktion abgegrenzt" wurde. Was ohne Frage Wilhelm Wagenfeld verärgert hätte. Doch was genauso fraglos Mahatma Gandhi erfreut hat und was er schließlich in Form seiner Khādī-Bewegung, mit der den Indern durch Selbstversorgung mit Konsumgütern zur Macht verholfen werden sollte, gegen die britischen "Besatzer" einsetzte. Eigendesign und Eigenproduktion für Eigenherrschaft sozusagen.
Nach der Unabhängigkeit - und man muss hinzufügen, nach Mahatma Gandhi - begann Premierminister Jawaharlal Nehru ein Modernisierungsprogramm, das mit dem System von früher und mit Gandhis Lehren brach und das danach strebte, die indische Nation mit der wachsenden Industrialisierung in Einklang zu bringen. Oder wie es Mathur etwas abschätzig bezeichnet: "Nehrus Selbstüberschätzung war es zu glauben, dass Indien seine verzögerte Moderne aufholen könnte, indem es durch das Bauen von Staudämmen, Büros, Eisen- und Stahlbetrieben, Fabriken, Fluglinien und Städten in einem historisch unvergleichlichen Tempo die Industrialisierung aufholt."
Neben umfangreichen Architektur- und Stadtplanungsprojekten von z.B. Le Corbusier oder Louis Kahn war die designorientierte Produktion ein zentrales Anliegen von Nehrus Vision bzw. Selbstüberschätzung.
Das Problem war natürlich, dass Indien keine Geschichte in designorientierter Produktion hatte. Und dass die Inder keine Erfahrungen bei dem Konsum designorientierter Produkte hatten.
Und so erwies es sich als Glück für Nehru, dass das postkoloniale Indien aufgrund seiner strategischen geopolitischen Bedeutung eine wichtige ideologische Front im Kalten Krieg bildete. Eine Front, in die Amerika stark investierte.
In einem Designkontext stellte das New York Museum of Modern Art eine wichtige Facette der amerikanischen "Indien-Kampagne" dar. 1955 organisierte das MoMA die Ausstellung "The Textile and Ornamental Arts of India". Im Wesentlichen eine Ehrung des traditionellen indischen Handwerks, präsentierte "The Textile and Ornamental Arts of India" ungefähr 100 Objekte in einer Ausstellung, die von Alexander Girard designt wurde und die laut Edgar Kaufmann Jr., dem damaligen Direktor der Designabteilung im MoMA, hauptsächlich der Verbesserung der US-Indien-Beziehung galt. Kulturell wie politisch.
Noch bedeutender aber war, dass das MoMA 1958 auf Geheiß der indischen Regierung in Form der National Small Industries Corporation (NSIC) die Ausstellung "Design Today in America and Europe" organisierte. Mit ungefähr 300 Beispielen von "gut designten Haushaltsmöbeln und -zubehör" in einer Ausstellung von der George Nelson Associates wurde "Design Today" im Januar 1959 in Neu Delhi eröffnet und tourte in den darauffolgenden zwei Jahren durch Indien, wo die Ausstellung über 1 Million Besucher anzog. Obwohl eindeutig mit der Ausstellung "Design for Use, USA", die zwei Jahre zuvor durch Europa tourte, vergleichbar, war "Design Today in America and Europe" im Vergleich zum europäischen Cousin zumindest für die Öffentlichkeit viel wohltätiger ausgerichtet und laut MoMA Pressemitteilung als "...Leitfaden durch die schnell wachsende kleinindustrielle Entwicklung als Antwort auf die Veränderungen im sozialen und ökonomischen Leben Indiens"intendiert. Veränderungen im sozialen und ökonomischen Leben Indiens, die auch eine wichtige Rolle in Amerikas meist gefeiertem und diskutiertem Beitrag zur Entwicklung des Designs im Nachkriegsindien, dem "India Report" von Charles und Ray Eames spielten.
Auf die Initiative der indischen Regierung hin und mit finanzieller Unterstützung der Ford Foundation verbrachten Charles und Ray Eames 1957 drei Monate damit, durch Indien zu reisen und die Designkultur zu erkunden und zu studieren. So wie es Charlotte Perriand zwei Jahrzehnte zuvor auf Anfrage der japanischen Regierung hin tat.
Wie viele Kommentatoren bereits anmerkten, war das, was sie daraufhin erhalten haben, mehr eine Analyse der aktuellen sozialen Bedingungen in Indien und ein Bericht, der zeigt, wie Design der indischen Gesellschaft helfen kann, während die indische Regierung einen Bericht erwartet hatte, der zeigt, wie Design für die indische Wirtschaft genutzt werden kann. Indien hat sozusagen Produktdesign erwartet und Sozialdesign bekommen.
Ein zentrales Element des Eames'schen Indien Reports war die Notwendigkeit der Formierung eines nationalen Designinstituts, um Studenten auszubilden und sie "darauf vorzubereiten, mit Problemen im Design, Probleme, die schon viele Male aufgetreten sind, und Probleme, die noch nie zuvor vorkamen, umzugehen - und dass sie alles offen und forschend angehen."
Ein Argument und eine Lösung, die natürlich Nehru in seinem Bemühen unterstützten, "...Design von seiner traditionellen Bindung zur kolonialen Kunstbildung zu lösen."
Auf Basis von Charles und Ray Eames' Empfehlungen, wurde der Schweizer Fotograf Ernst Scheidegger und der dänische Architekt Vilhelm Wohlert beauftragt, einen Plan für so eine Institution zu entwickeln und das daraus entstandene National Institute of Design (NID) öffnete im September 1961 seine Türen. Größtenteils am Bauhaus orientiert, wurde das programmatische und Lehrkonzept nicht nur nach dem Vorbild der Hochschule für Gestaltung Ulm gebildet, unter dem Lehrpersonal waren auch einige Absolventend aus Ulm, so HK Vyas, Sudhakar Nadkarni, Herbert Lindinger, Christian Staub und Hans Gugelot.
Trotz der vielversprechenden Geburt, der schöne-neue-Welt-Perspektive und der offiziellen Unterstützung und der Ziele war der anfängliche Einfluss der NID, bestenfalls, begrenzt. Oder wie es Osamu Note sagt: "Von der Gründung 1961 bis in die 1980er blieb die NID eine anonyme Institution in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung" und "der hohe Prozentsatz selbstständiger Designer unter den Absolventen aus den 1980ern suggeriert einen Mangel an sozialer Anerkennung für die Notwendigkeit ihrer Expertise."
Ein Argument, das auf poetische Weise von Nipa Doshi erwidert wurde, der die NID von 1989 bis 1994 besuchte und in Bezug auf ihre Entscheidung Design zu studieren schreibt: "Für 'Design', solange es nicht 'Mode' oder 'Innendekoration' war, gab es in Indien keinen Karriereweg."
Dass die NID in ihren frühen Jahren so wirkungslos blieb, war rückblickend betrachtet abzusehen.
In den ersten Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit folgte Indien einer geschützten, geplanten Wirtschaft, die sich viel mehr auf regionale Produktion als auf Qualität fokussierte. Importe waren begrenzt und die Auswahl streng limitiert. Schließlich, wie Ashoke Chatterjee schreibt, betrat die erste Welle der NID-Absolventen eine Welt, wo "die Wirtschaftsgesellschaft Design für einen überflüssigen Luxus oder eine Möglichkeit hielt, die man einem Produkt hinzufügen kann, aber die nicht in den Entwicklungsprozess des Produkts integriert ist."
Es sollte daher niemanden überraschen, dass die Reaktion der meisten indischen Designer der Zeit war, warum sich bemühen?
Doch in der Zeit, in der Nipa Doshi ihren Abschluss machte, hatten die sozialen und kulturellen Änderungen in Indien, die den politischen Umbrüchen der späten 1980ern und frühen 1990ern folgten, die Landschaft verändert und laut Note "eröffnete die Periode neue Möglichkeiten für NID-Absolventen, deren Expertise und damit verbundenen Fähigkeiten lange nicht genutzt wurden" und was für Ashoke Chatterjee bedeutet, dass "Designer, die über Jahre die Industrie gedrängt hatten, die zentrale Bedeutung ihrer Rolle anzuerkennen, nun gefordert waren, Design einer Qualität und mit einer Geschwindigkeit zu liefern, die völlig neu für sie war."
Hatte sich Design endlich selbst in der indischen Seele etabliert? Hatten indische Konsumenten gelernt, designgesteuerten Konsum anzunehmen?
Nein. Zumindest nicht wirklich.
Trotz dieser Wandlung und der Position des modernen Indiens als einer der führenden Akteure im globalen IT-Sektor, kamen Design und Indien nicht so recht zusammen; und Indien bleibt ein Land, in dem die traditionelle Erfindungskultur, Neues aus Altem zu schaffen und etwas aus dem zu machen, was man hat, so stark wie eh und je ist. Oder wie Doshi Levien konstatiert: "Die meisten Alltagsgegenstände, die man in indischen Haushalten findet, sind nicht von ausgebildeten 'Designern' entworfen worden. Es gibt dafür eine Kultur der Improvisation und Anpassung auf die individuellen Kundenwünsche."
Eine Situation, die in vielerlei Hinsicht als eine unausweichliche Folge auf die widersprüchlichen Positionen, die die Entwicklungen vom Design in Indien begleitet haben, gesehen werden kann.
Von Gandhischer Nationalismus vs. Nehruscher Nationalismus über Design als sozialer Erneuerer vs. Design als ökonomischer Erneuerer bis hin zu Konsumismus vs. Protektionismus kann man in Indien eine deutliche Lust am Design erkennen, aber kein klares, einheitliches Konzept in Bezug darauf, wie Design sein sollte und wie es in die moderne indische Gesellschaft integriert werden sollte.
Oder um es in den Worten von Charles und Ray Eames zu sagen: "Wonach sehnt sich Indien letztlich? Was wünschen sich die Inder für sich selbst und für Indien?"
Wir haben "Living Objects - Made for India" nicht gesehen und können so nicht sagen, inwieweit die von Doshi Levien ausgewählten Objekte solche Fragen beantworten.
Sollte sich daran etwas ändern, werden wir es euch wissen lassen.
Für alle, die es selbst herausfinden wollen: "Living Objects - Made for India" kann noch bis Sonntag, den 16. Februar 2014 im Grand Hornu, Rue Sainte-Louise 82, 7301 Boussu, Belgien gesehen werden.