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Vitra übernimmt Artek. Eames trifft (mal wieder) auf Aalto.


Veröffentlicht am 20.09.2013

Zu den besten Präsentationen auf der Design Miami Basel 2013 gehörte auf jeden Fall die Sammlung von Alvar Aalto Möbeln, die die Galerie Jackson Designs aus Stockholm/Berlin zeigte. Die Auswahl beinhaltete seltene Exemplare der Alvar Aalto Möbel vom finnischen Hersteller Artek - alle verkäuflich. Noch einen Schritt weiter ging der in Basel ansässige Möbelhersteller Vitra und kaufte gleich den ganzen Hersteller Artek.

Vitra acquire Artek Eames meets Aalto Jackson Gallery Basel

Nach Abschluss seines Architekturstudiums gründete Alvar Aalto 1921 zuerst sein eigenes Büro in Jyväskylä, bevor er 1927 in den Süden nach Turku zog. In Turku machte Aalto die Bekanntschaft Otto Korhonens, Leiter des örtlichen Holzmöbelherstellers Huonekalu-ja Rakenuststyötehdas, mit dem er für verschiedene Huonekalu-ja Rakennustyötehdas-Projekte zusammenarbeitete. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit begann Alvar Aalto mit Holz, und vor allem mit Sperrholz, zu experimentieren und schließlich auch seine eigenen Möbelobjekte zu entwickeln. Die ersten bedeutenden Arbeiten waren die Möbel für das Sanatorium Paimio im Jahr 1932.

1933 zeigte Alvar Aalto seine Möbel auf einer Ausstellung im Fortnum & Mason in London. Die Ausstellung war ein derartiger Erfolg, dass die Nachfrage nach Aaltos reduzierten, erschwinglichen Möbeln die Möglichkeiten Aaltos und Huonekalu-ja Rakennustyötehdas weit überschritt. Als Reaktion auf diesen Erfolg wurde 1935 die Gründung einer Firma beschlossen, die Aaltos Möbel produzieren sollte und so die weitere Entwicklung besser kontrollieren und organisieren würde.

Die besagte Firma namens Artek wurde dann im Dezemeber 1935 von Alvar Aalto, seiner Frau Aino Aalto, dem Kunstsammler Maire Gullichsen und Kunsthistoriker Nils-Gustav Hahl gegründet. Auch heute ist Artek der einzige, lizenzierte Hersteller von Alvar Aaltos Designs.

Vitra acquire Artek Eames meets Aalto Leg Moulding

Eine zentrale Komponente von Alvar Aaltos frühen Möbelentwürfen war das sogenannte, L-förmige Bein, das "l-leg" - eine Konstruktion, die Aalto in Kooperation mit Otto Korhonen entwickelte. Die Poesie und Simplizität dieser Erfindung hat die Ausstellung "Hocker 60 von Alvar Aalto im Ungers Archiv für Architekturwissenschaft" während der IMM Cologne wunderbar demonstriert. Über Jahrzehnte hat Aalto das L-förmige Bein erweitert und es zu einem Y- und einem X-förmigen Bein weiterentwickelt. Alle Varianten basieren aber im wesentlichen auf dem sehr einfachen und sehr raffinierten Formverfahren. Dieser Prozess ist wichtiger und interessanter als das Bein an sich, da Alvar Aalto mit der Erfindung des L-förmigen Beins den Weg ebnete für die Entwicklung des Formsperrholz´, und so das Fundament legte für alle nachfolgenden Formsperrholzmöbelentwürfe.

Diese Entwicklung bringt uns natürlich zu Charles Eames.

Es wird oft behauptet, Alvar Aalto sei eine wichtige Quelle der Inspiration für Charles Eames gewesen. Seinen großen Durchbruch hatte Charles mit seinem und Eero Saarinens Erfolg beim MoMA Wettbewerb "Organic Design in Home Furnishings" 1940, mit einer Kollektion von Sitzmöbeln, die auf Sitzschalen aus Formsperrholz basierte. Marilyn Neuhart sieht allerdings Eero Saarinen unter dem größeren Einfluss Alvar Aaltos. Sie argumentiert, Eames wäre direkter von Marcel Breuer beeinflusst gewesen, und zitiert Peter Blakes Rückbesinnung auf Charles Eames Behauptung, dass "er vielleicht nicht in der Lage gewesen wäre seine Arbeiten im Möbeldesign zu realisieren, ohne Lajkos (Breuers) bemerkenswert wegweisende Designs".

Man sollte allerdings nicht vergessen, dass Marcel Breuers eigene Formsperrholzentwürfe für Isokon erstmals nach 1933 auftauchten. So reizend und verführerisch Breuers Isokon-Designs auch sind, die Entscheidung einer solchen Linie zu folgen, entsprang unserer Meinung nach eher der Reaktion, die Alvar Aaltos Arbeit in Breuer hervorrief. Dann müsste man allerdings wiederum Göran Schildts Behauptung bedenken, der Aaltos Paimio Armchair als eine "...Übersetzung von Breuers Wassily Chair in die Sprache des Holzes"versteht.

Solche sich im Kreis drehenden Argumente bringen unschuldige Idioten wie uns dazu unsere Geschichten über Monate hin und her zu drehen.

Die Frage wer wen wann und wie inspiriert hat ist also schwer zu klären. Fest steht allerdings, dass es fraglich ist, wie weit Charles Eames mit seinen Entwürfen gekommen wäre bzw. welches Produkt den Durchbruch gebracht hätte, hätte nicht Alvar Aalto den grundlegenden Unterschied zwischen dem Biegen von erhitztem Holz, wie es Michael Thonet perfektionierte, und dem Formen mehrschichtigen Sperrholzes, wie er es selbst perfektionierte, entdeckt.

Die preisgekrönte MoMA Kollektion hätte es dann möglicherweise gar nicht gegeben.

Vitra acquire Artek Eames meets Aalto Paimio Armchair.

Neben dem kompletten Backkatalog der Alvar Aalto Entwürfe für Artek hat Vitra eine fantastische Reihe von Möbeldesignklassikern erworben. Darunter Arbeiten von Architekten und Designern wie: Ilmari Tapiovaara, Shigeru Ban, Tapio Wirkkala, Eero Aarnio und natürlich Enzo Maris bahnbrechenden Sedia 1 chair aus seinem Autoprogettazione-Projekt aus dem Jahr 1974. Ein Projekt, das nach wie vor eines der wichtigsten konzeptuellen Forschungsprojekte in der Geschichte des modernen Möbeldesigns ist.

Ironischerweise hätte Vitra beinahe die Möglichkeit gehabt, auf die Alvar Aalto Entwürfe zuzugreifen, ohne den Hersteller Artek übernehmen zu müssen. In seiner fulminanten George Nelson Biografie erwähnt Stanley Abercrombie, dass "zwei weiteren Vorschlägen Nelsons niemals effektiv nachgegangen worden sei, auch wenn [Herman Miller Chairman] De Pree im August 1946 an Nelson schrieb: "dein Vorschlag bezüglich Mies van der Rohe und Aalto hat Erfolg bei mir." ". Der Vorschlag war, Herman Miller solle die Lizenzen für die Produktion der Mies van der Rohe und Alvar Aalto Möbel organisieren. Verträge, die, wären sie zustande gekommen, bedeutet hätten, dass Alvar Aaltos Arbeiten seit den späten 50er Jahren Teil des Vitra Programms gewesen wären.

Man stelle sich das vor! ...

Vitra acquire Artek Eames meets Aalto Alvar Aalto 60 stool

Der gemeinsamen Pressemitteilung zufolge, werden die Vertriebe Vitras und Arteks weiterhin unabhängig bleiben. Möglichkeiten der Kooperation bezüglich der Herstellung, des Verkaufs und der Logistik werden allerdings erforscht. Wir würden mal vermuten, dass das für Vitra vor allem eine Konsolidierung ihres Geschäftes in Skandinavien bedeutet - eine Region mit großer Nachfrage nach den Vitra Klassikern, aber ohne ausgedehntes Vitra Händlernetzwerk.

Der Ankauf eröffnet noch eine weitere verblüffende Möglichkeit. Da Vitra bekanntlich in der Vergangenheit gern Architekten als Möbeldesigner und als Architekten für den Vitra Campus gesammelt hat, könnte es spannend sein, ob Vitra jetzt beginnt Architekten als Hersteller zu sammeln. Uns fielen sicherlich noch einige weitere Firmen ein, die gut in ein erweitertes Vitra Portfolio passen würden. Wir halten euch jedenfalls auf dem Laufenden.

Gegen Ende also noch (und um den Titel des Posts ein wenig zu klären): auch wenn Charles Eames und Alvar Aalto sich sicher theoretisch mit ihren Arbeiten getroffen haben, haben wir keinen direkten Beweis, dass Charles Eames Alvar Aalto jemeils persönlich begegnet ist; aber eine ganze Menge unwesentliche Beweise, dass es wohl doch so gewesen sein muss. Allerdings haben wir einen sicheren Beweis, dass George Nelson auf Alvar Aalto traf: In einem Brief aus dem Jahr 1948 schreibt Nelson an Charles Eames: "Es war wirklich fantastisch ihm [Alvar Aalto] zu begegnen. Wir sind später ausgegangen und haben den kompletten Bestand der örtlichen Bar geleert."

Wir gehen mal davon aus, dass die Party zur Feier des Artek-Ankaufs durch Vitra eine etwas reserviertere Veranstaltung gewesen sein wird.

Vitra acquire Artek Eames meets Aalto Logo

Tags

#Alvar Aalto #Artek #Charles Eames #Eero Saarinen #Enzo Mari #George Nelson #Marcel Breuer #Vitra