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Im Dezember 2012 bezog der Vitrashop, der Grundstein, auf dem Vitra wachsen und gedeihen konnte, feierlich sein neues Vertriebszentrum. Konzipiert von den aus Tokio stammenden Architekten Kazuyo Sejima & Ryue Nishizawa aka SANAA ist die fantasievoll betitelte "SANAA Produktionshalle" die neueste Ergänzung auf dem Vitra Campus und wurde am 19. April 2013 offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt.
Vitra CEO Rolf Fehlbaum ging das erste mal 2006 auf Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa zu, um mit ihnen über ein Projekt für den Vitra Campus zu sprechen. Ursprünglich waren sie für den Entwurf für das, was später das VitraHaus werden sollte, im Gespräch; doch Rolf Fehlbaum entschied sich schließlich doch anders. Da SANAA niemals zuvor ein industrielles Projekt entwickelt hatten, hielt er es für eine interessante Idee, sie genau das für Vitra machen zu lassen. SANAA willigte schnell ein, und nahm damit auch die Herausforderung an, in unmittelbarem Vergleich zu Bauten etablierter Architekten zu arbeiten - oder wie Kazuyo Sejima es ausdrückte: "... wir hätten niemals auch einen Bau mit so einem großen Fußabdruck entwerfen können." Wenn man über die 160 Meter Durchmesser und die Gesamtfläche von ca. 20.000 m² nachdenkt, muss man da eigentlich widersprechen.
Neben seiner Größe wird die SANAA Produktionshalle im Wesentlichen durch zwei Aspekte definiert: Seine Form und seine Fassade. Was zuallererst an dem Gebäude auffällt, ist seine Fassade. Aus doppelt geschichtetem Acrylglas hergestellt, besteht die Fassade aus sechs verschiedenen "Wellen" zusammengesetzter Muster, die eine sich nicht wiederholende, scheinbar willkürliche Oberfläche abbilden - fast wie ein frei hängender Vorhang, der der Konstruktion eine Leichtigkeit verleiht, die die eigentliche Größe des Gebäudes verschleiern und schließlich reduzieren soll.
Wir können nicht bestätigen, ob das funktioniert oder nicht. Auf der einen Seite kennen wir keine anderen 20.000 m² Gebäude, die wir als Vergleich heranziehen könnte. Und auf der anderen Seite sind wir allgemein unsicher, inwiefern geschwungene Wände so einen Effekt erzeugen und begünstigen. Das SANAA Gebäude erscheint auf jeden Fall nicht merklich größer als seine Nachbargebäude, aber die sind alle quadratisch. Die runde SANAA Produktionshalle ist schon allein deswegen eine kleine Innovation für ein Vertriebszentrum.
Ursprünglich entwarf SANAA quadratische und runde Modelle für das Gebäude, aber schließlich fiel die Entscheidung auf die runde Version, um das Gebäude einerseits für LKWs zugänglicher zu machen und andererseits um die Arbeitsabläufe in der Halle zu verbessern. SANAAs Argument, dass sich für Vertriebshallen die Kreisform besser eignen würde, leuchtet durchaus ein.
Die SANAA Produktionshalle ist dennoch kein perfekter Kreis, Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa haben die Form absichtlich etwas abgewandelt und eine Form ähnlich einem zerdrückten Ei geschaffen. Die Motivation hinter dem Un-Kreis war es, das Gebäude organischer und weniger industriell wirken zu lassen. Obwohl SANAA nun also ihr erstes industrielles Produkt vollendet haben, sind sie offensichtlich nicht bereit, auch Industriearchitekten genannt zu werden.
Wer erwartet, in der SANAA Produktionshalle eine Neuauflage der welligen Böden des Rolex Learning Centers Lausanne oder der fast vollständig transparenten Landschaft des Toledo Museums of Art Glaspavillons zu finden, wird enttäuscht sein. Bitter enttäuscht. Die SANAA Produktionshalle ist ein Industriegebäude und auch als solches entworfen worden.
Als wir um das Gebäude herum liefen, fühlten wir uns so auch daran erinnert, was uns Antonio Citterio über die Vitra-Werksprojekte erzählt hatte. "... Vitra braucht kein Statement, Vitra braucht einen Produktionsort, einen Vitra Produktionsort." Was SANAA in Weil am Rhein entworfen haben, spiegelt das sehr gut wider. Es ist nicht arrogant, es ist nicht prahlerisch, es ist kein "Statement", es ist ein Ort, wo der Vitrashop arbeiten kann; in den Worten von Sejima "... ein sehr komfortabler Ort zum Arbeiten". Eine der Haupteigenschaften sind in diesem Kontext die Reihen von Oberlichtern, die den Raum mit Tageslicht fluten, um eine homogene Arbeitsumgebung zu schaffen, die kleiner, freundlicher und persönlicher wirkt. An dem Tag, als wir da waren, gab es nur leider keine Tageslichtflut, denn auch in Weil am Rhein muss es mal regnen.
In der Vergangenheit haben sowohl Sejima als auch Nishizawa wiederholt verlautbart, dass für sie eine klare Struktur eine zentrale Rolle in ihren Arbeiten spiele. Eine Philosophie, der sie auch mit ihrem Entwurf für den Vitra Campus treu geblieben sind. Die Regale verlaufen in den tragenden Balken, der Boden geht in die Wand und in das Dach über. Rolf Fehlbaum meint dazu "... normalerweise ist alles versteckt, hier sieht man alles".
Fast alles. Wir widersprechen Rolf Fehlbaum gewöhnlich nicht ... aber es gibt etwas, was man nicht sieht: draußen. Fast genauso wichtig wie die strukturelle Klarheit ist im SANAA Kanon sonst die Interaktion zwischen dem Innenleben eines Gebäudes und seiner äußeren Umgebung. Die SANAA Produktionshalle steht im Gegensatz dazu allerdings relativ auf sich bezogen da. Sogar die Fenster, die Augen nach draußen, sind so hoch angebracht, dass sie keinen wirklichen Blick nach draußen erlauben. Sie dienen lediglich der Beleuchtung.
Mit der Fertigstellung der SANAA Produktionshalle hat der Vitra Campus nicht nur ein ein neues Gebäude, sondern nach den Bauten von Herzog & de Meuron, Tadao Ando, Avaro Siza und natürlich Frank Gehry auch einen weiteren Pritzker Preisträger dazu gewonnen.
Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa gewannen den wichtigsten aller Architekturpreise 2010 und die Jury schrieb dazu: "Die Bauten von Sejima und Nishizawa wirken trügerisch simpel. Die Architekten besitzen eine Vision des Gebäudes als makelloses Ganzes, wo sich die physische Präsenz zurückzieht und einen sinnhaften Hintergrund für Menschen, Objekte, Aktivitäten und Landschaften bildet." Eine Beschreibung, die mühelos auch auf die SANAA Produktionshalle übertragen werden kann.
Auch wenn die SANAA Produktionshalle wahrscheinlich nicht als Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawains größte Arbeit in die Geschichte eingehen wird und es auch nicht das herausragendste Werk auf dem Vitra Campus ist, ist es dennoch ein faszinierendes Objekt, das seine Funktion ganz uneitel über alle anderen Belange stellt; ein Objekt, das seine Arbeiter höher stellt als seine Architekten; ein Objekt, das neue Wege anstrebt und den Mut besitzt neue Ansätze zu riskieren. Insofern ein Objekt, das perfekt auf den Vitra Campus passt.
Unten sind ein paar Bilder der SANAA Produktionshalle abgebildet. Wegen des Wetters bei unserem Besuch haben wir spontan entschieden, draußen in schwarz-weiß zu fotografieren. Daher der Mix... Der ganz nebenbei ziemlich gut zu der Stimmung an diesem Tag passt.