Momentan beschäftigen wir uns in Zusammenhang mit einem anderen Projekt mit verschiedenen Aspekten von Egon Eiermanns architektonischen Arbeiten und sind auf wunderbar widersprüchliche Positionen bezüglich seines architektonischen Erbes gestoßen.
Diese gegensätzlichen Positionen werfen die grundsätzliche Frage auf, wie man mit den Hinterlassenschaften der modernen Architektur umgehen sollte.
Ist es notwendig alle Arbeiten zu retten, und sind alle Bauten es wert erhalten zu werden? Gibt es Alternativen?
Eiermanns Campus in Stuttgart droht der Abriss. Der ausgedehnte Campus entstand zwischen 1967 und 1972 und steht seit dem Auszug von IBM im Jahr 2009 leer. Dem neuen Eigentümer gelang es nicht neue Pächter oder Alternativen für die Nutzung des Gebäudes zu finden. Er ging 2011 in Insolvenz. Ohne Aussicht auf Interessenten für das Gebäude und mit Blick auf Renovierungskosten, die sich laut Stuttgarter Zeitung auf 100 Millionen Euro belaufen, hat der Verwalter den Abriss des Campus beantragt, um die Fläche für den Verkauf und eine neue Entwicklung frei zu machen.
Unterdessen hat die Stadtverwaltung von Krefeld beschlossen um die 40 Millionen Euro in die Renovierung von Eiermanns Stadthaus aus dem Jahr 1953 zu investieren, anstatt ein neues Rathaus zu bauen. Oberbürgermeister Gregor Kathstede begründete die Entscheidung unter anderem mit der Bewerbung Krefelds um die Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe, die auf Krefelds drei Gebäuden von Mies van der Rohe Gebäuden basiert. In dem Zusammenhang wäre es nicht vertretbar, zu gleicher Zeit ein Egon-Eiermann-Gebäude verfallen zu lassen oder sogar abzureißen.
Aber spielt es eine Rolle, wer ein Gebäude entworfen hat? Und sollte man überhaupt Sympathie für einen Architekten wie Egon Eiermann aufbringen?
Abgesehen von Eiermanns Einsatz für den Abriss der Überreste der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und den Bau einer neuen Kirche – Pläne, die Eiermann wegen massiven Protests in Berlin aufgeben musste -, ist Egon Eiermann auch für den Abriss des weltweit bewunderten Kaufhauses Schocken in Stuttgart verantwortlich, an dessen Stelle er sein eigenes Kaufhaus Horten bauen ließ. Eine Entscheidung, die international auf Kritik stieß und sogar Walter Gropius' Protest hervorrief.
Um seine Entscheidung zu verteidigen behauptete Eiermann, es handle sich um ein unzulängliches Gebäude, das darüber hinaus seiner Funktion nicht gerecht würde.
Etwas amüsiert sagte Martin Linne, Leiter des Bereichs Stadtplanung, der Rheinischen Post im Gespräch über das Stadthaus in Krefeld: "Eiermann hatte die Idee, die Heizung im Dach solle im Winter heizen und im Sommer kühlen... Das Problem ist: Seine Technologie hat nie wirklich funktioniert."
Ein Problem, das jedem bekannt sein mag, der jemals in einem der preisgekrönten Häuser in Leipzigs angesagtem Bezirk Plagwitz gearbeitet hat.
Sollte man also nicht eher sagen, was dem einen Recht ist, ist dem anderen billig und Eiermanns unzulängliches Stadthaus abreißen?
In Bezug auf den geplanten Abriss des Kaufhauses Schocken äußerte Erich Mendelsohns Witwe: "Spätere Generationen werden besser in der Lage sein, die Bedeutung Erich Mendelsohns für die Architektur des zwanzigsten Jahrhunderts festzustellen, und so verurteilen wir, dass eine der wenigen erhaltenen Arbeiten freiwillig von seinem Landsmann zerstört werden soll."
Dass spätere Generationen besser in der Lage sind, die Bedeutung eines Kulturguts zu beurteilen, ist unserer Meinung nach ein Fakt, den man nicht zu diskutieren braucht. Aber braucht man tatsächlich das Gebäude um dies festzustellen.
Architekten aus früherer Zeit würden diese Frage sicherlich mit „Ja“ beantworten, weil es allzu oft an genauer Dokumentation mangelt, um die Bedeutung einer Arbeit zu ermessen.
Die Arbeiten eines Egon Eiermann und gewiss die eines Erich Mendelsohn sind allerdings nicht nur in den Archiven der Architekten selbst gut dokumentiert. Hinzu kommen Reportagen, Interviews und Diskussionen, die die Planung und den Bau begleiteten.
Das Gebäude an sich ist nur die physische Manifestation eines langen Prozesses.
So glauben wir nicht, dass jedes Gebäude bewahrt werden muss, nur, weil es dieser oder jener Architekt entworfen hat.
Wo ein Gebäude nicht mehr benötigt wird oder nicht mehr seine Funktion erfüllen kann, muss es Platz machen für eine Konstruktion, die dazu fähig ist.
Das soll natürlich nicht heißen, alte Gebäude sollten automatisch abgerissen werden. Die Frage, ob Veränderungen möglich sind, um das Gebäude an seine neue Funktion oder die neuen technischen Standards anzupassen, muss sicherlich an erster Stelle stehen.
Natürlich gibt es ökologische Bedenken beim Abriss eines existierenden Gebäudes und dessen Ersetzung durch ein neues. Hinzu kommen die Kosten.
Einer der aktuellen Stars im Umkreis internationaler Architekturausstellungen ist der Tour Bois le Pètre-Hochhausblock in Paris. Anstelle des von der Stadtverwaltung angedachten Abrisses schlugen die Architekten Druot, Lacaton und Vassel eine "lebende Renovierung" des Blocks vor. Eine Renovierung, die nicht nur den Lebensstandard der Bewohner verbesserte und ihren Energieverbrauch erheblich reduzierte, sondern dies auch noch zu einem Bruchteil der Kosten, die für den Abriss und Neubau veranschlagt waren.
So würde laut Krefelds Oberbürgermeister Kathstede in Ergänzung zu den Überlegungen, die auch Mies van der Rohe einbeziehen, ein neues Rathaus ungefähr zwanzig Millionen Euro teurer als die Renovierung des Eiermann-Gebäudes sein.
Ein weiteres passendes Beispiel für solche Überlegungen im Zusammenhang mit Egon Eiermanns Erbe findet sich gleich auf der anderen Seite des Rheins bei Krefeld.
Die Autobahn A3 in Duisburg ist überspannt von einer Brücke Eiermanns, die 1958 ein Beitrag des Deutschen Pavillons auf der Expo in Brüssel war.
Im Anschluss an die Expo verband die Brücke in den nächsten 54 Jahren die beiden Hälften von Duisburgs Zoo.
Laut der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, WAZ, haben die verantwortlichen Planer, als die Erweiterung der Autobahn von 4 auf 6 Spuren anstand, die Brücke nicht einfach ausrangiert, sondern sie genau so verbreitert, dass sie ihrem neuen Zweck gerecht wurde.
Das sind einfache Entscheidungen, die Geld und Ressourcen sparen, und das Erbe der Konstruktion besser bewahren, als die Brücke einfach wie sie war und wo sie war zu belassen.
Der Kontext für den Nutzen der Brücke hat sich verändert. Warum sollte sich also die Brücke selbst nicht auch ändern?
Die Form folgt in großartiger Weise der Funktion.
So war auch das Stadthaus in Krefeld ursprünglich als Hauptsitz der Vereinigten Seidenwerke konzipiert und wurde vom Stadtrat erst seit den späten siebziger Jahren genutzt.
Ein neuer Kontext und eine neue Funktion. Weshalb also nicht eine neue Form.
Was natürlich bezüglich des IBM Campus bedeutet, dass man die Planungsvorgaben in puncto technischer Überlegungen und Erwägungen bezüglich des Innenraumes lockern könnte, um das Gebäude in einem neuen Kontext nutzbar zu machen.
Das würde Ressourcen und Geld sparen und für uns die Geschichte des Gebäudes weiterführen.
Die Entscheidungen über den Erhalt oder Abriss von Gebäuden sind häufig emotional. Das sollten sie nicht sein.
Es mag sehr gute Gründe geben Gebäude zu erhalten, die eine bestimmte Bedeutung haben. Solche Entscheidungen sollten allerdings sachlich und von Fall zu Fall beschlossen werden.
Wir sollten nicht so viel Angst davor haben bestehende Gebäude zu verändern. Veränderungen sind letztendlich etwas, das uns frisch hält und der Gesellschaft hilft sich zu entfalten und weiterzuentwickeln, und sie sind es auch, die Architekten wie Egon Eiermann so wichtig machen.
Diese drei Beispiele von Egon Eiermanns Werk zeigen die Probleme, die sich im Umgang mit dem Nachlass der Architektur der Moderne ergeben und lassen auch vermuten, dass es in den folgenden Jahren eine erhebliche Menge an ähnlichen Entscheidungen bezüglich einer erheblichen Menge anderer Gebäude der Moderne geben wird.
Und so könnten vielleicht alle glücklich werden, wenn man genau überlegt, was wirklich wichtig ist.
Nur ein Gedanke...