Noch bis zum 23. Juni 2013 präsentiert die Klassik Stiftung Weimar die Ausstellung "Henry van de Velde. Leidenschaft, Funktion und Schönheit".
Anlässlich des 150. Geburtstages von Henry van de Velde will "Leidenschaft, Funktion und Schönheit" als erste Ausstellung ihrer Art van de Veldes komplettes kreatives Schaffen untersuchen - von seinen frühesten künstlerischen Bestrebungen über Kunstgewerbe und Möbeldesigns bis hin zu seinem architektonischen Schaffen, Innenausstattung und den Lehraufträgen.
Der Mythos Henry van de Velde ist bekannt und schnell erzählt: Er kam aus Belgien, wurde Direktor der Kunstgewerbeschule in Weimar, schlug 1915 Walter Gropius als seinen Nachfolger vor und Gropius gründete das Bauhaus. Dass viel mehr hinter dem Mann steckt, ist klar. Wie viel genau zeigt ein Rundgang durch "Leidenschaft, Funktion und Schönheit".
Das erste, was über die Ausstellung gesagt werden muss: Sie ist umfangreich. Sehr umfangreich. Die rund 700 Objekte auf 1400 m² auf zwei Etagen des Neuen Museums Weimar lassen sich nicht mal eben in der Mittagspause durchlaufen. Die Ausstellung braucht Zeit und verdient sie auch.
"Leidenschaft, Funktion und Schönheit" beginnt mit Henry van de Veldes Ausbildung in Antwerpen und Brüssel, seinen ersten Berufsjahren und seiner Entwicklung weg von der Kunst hin zu Kunstgewerbe, Möbeldesign und Architektur. Der zweite Teil der Ausstellung schaut auf seine Beziehung zum expressionistischen Maler Ernst Ludwig Kirchner, die Zeit nach Weimar und den Versuch seinen Weimarer Erfolg mit der Designhochschule La Cambre in Brüssel zu wiederholen.
Die Erwartungen werden voll erfüllt. Man findet Keramik, Silberschmuck, Bilder, Möbel, Architektur ... Sowie ein paar unerwartete Highlights wie ein Modell des Fährschiffes "Prince Baudouin", für das van de Velde die Inneneinrichtung entworfen hat, ein paar frühe Bilder van de Veldes à la van Gogh und Beispiele der genialen Schreibtische und Stühle, die er für die Universitätsbibliothek Gent designt hat.
Das Ergebnis ist ein umfassender, aber natürlich auch oberflächlicher, Überblick über Henry van de Velde und sein Schaffen. Er kann nur oberflächlich sein da es selbst mit der zur Verfügung stehenden Fläche unmöglich ist, jedes Thema tiefgehend abzudecken. Was die Organisatoren hier auf die Beine gestellt haben, ist aber trotzdem wärmstens zu empfehlen und lohnt sich zu erforschen.
In den verschiedenen Pressetexten und Katalogen ist viel davon die Rede, dass die Ausstellung Henry van de Velde durch den Vergleich mit Zeitgenossen in Bezug zu seiner Zeit setzt. Davon haben wir ehrlich gesagt nicht viel gespürt. Das liegt vielleicht daran, dass das Ausstellungskonzept den Besucher nicht wirklich dazu animiert.
Und darin liegt - unsere Meinung nach - auch die größte Enttäuschung der Ausstellung: im Layout. Es als langweilig zu bezeichnen, würde einem verregneten Sonntag in einer einsamen Hütte ohne Strom, Bücher oder Radio mit Rückenschmerzen im Bett einen schlechten Dienst erweisen. Wir hatten wirklich etwas mehr Fantasie erwartet. Es ist ja schließlich eine große Henry-van-de-Velde-Ausstelung. In Weimar.
Die Präsentation auf der ersten Etage ist einfach unwürdig. Im Erdgeschoss wird es zwar besser, aber es ist fraglich ob das Interesse eines durchschnittlichen Besuchers so lang anhält. Die Ausstellungsstücke selbst sind größtenteils interessant, die Texte informativ und gut lesbar. Ein gewisses Vorwissen schadet zwar nicht, aber man lernt wirklich was. Es wäre nur schön gewesen, wenn sich jemand ein paar Minuten Gedanken über die Präsentation der Objekte gemacht hätte. Ein Stuhl auf einem niedrigen Podest vor einer grauweißen Wand ist nicht gerade inspirierend.
Und warum die Organisatoren es für nötig erachtet haben, die Pfeiler im Erdgeschoss zu verstecken, verstehen wir auch nicht... erst recht nicht, da sie nur halb versteckt sind. Man ahnt, was hätte sein können. Ärgerlich. Henry van de Velde hatte nichts gegen ionische Pfeiler. Benutzte sie, nutzt sie aus, und lasst die Ausstellung atmen.
In der Pressemitteilung zur Ausstellung erklären die Organisatoren, wie Henry van de Velde seiner Maxime treu geblieben ist dass "... die Gestaltung eines Gegenstands desto vollkommener sei, je exakter sie dessen Zweck entspreche". Das Wort "Gegenstand" kann man gut durch "Ausstellung" ersetzen.
In seiner Einführung zum Rahmenprogramm verspricht Kurator Thomas Föhl den Besuchern der Ausstellung eine interessante, spannende und sensorische Erfahrung. Interessant ist die Ausstellung auf jeden Fall. Aber spannend? Die Sinne ansprechend? Leider nicht - und so hält die Ausstellung nicht alles, was sie verspricht ("Leidenschaft, Funktion und Schönheit"). Schade eigentlich.
Henry van de Velde hat sicher nicht allein auf weiter Flur den Weg für den europäischen Modernismus geebnet, und doch war er eine der bedeutenden Figuren. Ihm gebührt zurecht ein Platz in der Geschichte als auch der Respekt zukünftiger Generationen. Das Schöne an der Austellung ist, dass dieser Aspekt nicht direkt berührt wird. Henry van de Veldes Beitrag zur Entwicklung des Modernismus ist sichtbar, aber nicht dominant. "Henry van de Velde. Leidenschaft, Funktion und Schönheit" bewegt sich vielmehr entlang dieser Entwicklungen, die den Mythos van de Velde ausmachen, und präsentiert so das Portrait eines Künstlers, Designers und Architekten im Kontext seiner Kreativität und nicht im Kontext seines Einflusses.
Die Ausstellung ist also unbedingt und trotz der Schwächen zu empfehlen.
"Henry van de Velde. Leidenschaft, Funktion und Schönheit" ist bis zum 23. Juni 2013 im Neuen Museum, Weimarplatz 5, 99423 Weimar zu sehen.
Ausführliche Informationen gibt es unter www.klassik-stiftung.de
Außerdem präsentiert die Baushaus-Universität Weimar vom 29. März bis 12. Mai 2013 eine Ausstellung des gesamten architektonischen Schaffens von Henry van de Velde. "Der Architekt Henry van de Velde" ist organisiert und kuratiert von Studenten der Architektur-Fakultät. In Form von 3D-Modellen wird van de Veldes Werk zu neuem Leben erweckt.
Weitere Informationen und die kostenlose App zur Ausstellung gibt es unter www.uni-weimar.de/projekte/vandevelde/ausstellung/