Zu den einprägsamsten Bildern auf dem DMY Berlin 2012 gehörte fraglos Andrea Brena wie er im Schneidersitz bis zu den Ellenbogen in kunterbunte Wolle gehüllt dasitzt und strickt, aber nicht etwa mit Stricknadeln - mit seinen Armen. Man kann sich vorstellen, dass ein solcher Anblick natürlich jede Menge Schaulustige anzieht.
Auch wenn es nach außen hin erstmal so scheint als ging es hier "nur" um das Stricken mit den Armen, ist der zentrale Punkt doch ein anderer. Mit Knitted Army will Andrea Brena vor allem die persönliche Beziehung zwischen Objekt und Nutzer neu definieren.
Möbel sollen aus der kalten, dunklen Höhle des gedankenlosen Konsums befreit und durch die Selfmade-Assoziation die Herzen ihrer Nutzer erwärmen. Das Thema ist natürlich nicht sonderlich revolutionär, aber Andrea geht es aus einer überaus interessanten Perspektive an.
Armstricken ist ein völlig werkzeugfreies Verfahren, das laut Andrea jeder innerhalb von fünf Minuten lernen kann. Wir haben es nicht versucht, also können wir das weder bestätigen noch widerlegen, aber wir glauben eigentlich fast alles, was uns Andrea sagt...
Da man hier die eigenen Arme anstelle von Stricknadeln benutzt, kann Armstricken als Open-Design-Verfahren eingeordnet werden. Jeder hat theoretisch die Möglichkeit die Technik umzusetzen und den eigenen Bedürfnissen anzupassen - so wie Andrea es vorgemacht hat. Außerdem kann man so ziemlich alles herstellen; man kann also einfach experimentieren und sehen, was alles möglich ist.
Andreas erste Objekte waren formlose sitzsackartige "Sofas", doch seither hat er sich weiterentwickelt und Objekte mit einer klaren ausgeprägten Form sowie handelsübliche Wohnaccessoires, wie zum Beispiel Teppiche, entwickelt.
Doch bei Knitted Army geht es um mehr als nur ein demokratisches und weltweit verfügbares Produktionsverfahren. Es geht auch darum, dass das Endprodukt ein Objekt ist, das von den anatomischen Eigenschaften des Produzenten mitbestimmt wird. Die enge Beziehung zwischen Produkt und Produzent manifestiert sich beispielsweise in der Größe der Maschen, die von der Größe der Arme abhängt. Die gestrickten Objekte sind somit höchst individualisiert.
Le Corbusier hätte das wahrscheinlich nicht so ganz gefallen, aber wir sind von der Idee sehr angetan.
Außerdem verwendet Andrea Schnittreste von Stoffproduzenten. Somit stellt das Verfahren eine nützliche und sinnvolle Art der Müllreduzierung dar und lässt uns den Wert von Material in unserer modernen Wegwerf-Gesellschaft wiederentdecken. Dadurch, dass man Stücke des selben Materials dazu nutzen kann, um die geschaffenen Objekte zu stopfen und zu befüllen, können die Stücke später sogar noch erweitert, reduziert oder anderweitig verändert werden - sei es durch den Urheber selbst oder einen neuen Besitzer.
Auch wenn es paradox klingt: Die zunehmende Digitalisierung unserer Welt wird dazu führen, dass die Zukunft immer analoger wird. Nicht als Reaktion auf die schöne neue Welt, sondern weil uns die neuen Technologien zum einen dazu zwingen, zu hinterfragen, was wirklich wichtig ist und uns zum anderen das Selbstvertrauen verleihen, den bestehenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systemen zu entfliehen.
Wir glauben wirklich daran, dass Europa in 100 Jahren wieder eine auf Landwirtschaft basierende Gesellschaft sein wird, deren Wirtschaftssystem mit Kooperation und Austausch funktioniert. Und was könnte für ein solches System passender sein als regionale Gruppen, die den lieben langen Tag armstrickend auf dem Dorfanger sitzen und alles produzieren, was die Gemeinde so braucht.
In diesem Sinne hat Knitted Army auch mit anderen Projekten auf dem DMY Berlin 2012 so einiges gemein, insbesondere mit Werner Aisslingers Chair Farm oder dem Upholstered Chair von Jooyeon Lee.
Wie man hört war Knitted Army sehr nah dran einen DMY Award zu gewinnen. Nun ist in Anbetracht der Tatsache, dass es das Projekt - sofern wir richtig informiert sind - noch nicht mal ein Jahr gibt, schon die Nominierung eine beachtliche Leistung und das Ausbleiben des Gewinnes sollte einigermaßen gut zu verkraften sein.
Und es gibt gute Nachrichten für alle, die Andrea leider nicht armstrickend in Berlin sehen konnten: So wie wir europäische Designfestivals kennen, wird das bestimmende Bild des DMY Berlin 2012 auch bald das bestimmende Bild eines Designfestivals in eurer Nähe sein.
Mehr Infos zu Andrea Brena und Armstricken gibt's unter http://andreabrena.com.