Vitras Aushängeschild ist natürlich die "Home Collection". Aber die Büromöbelsparte trägt seit Jahrzehnten ebenso zum Erfolg des Herstellers bei.
Demzufolge befasst sich Vitra tagtäglich mit der Entwicklung von neuen Ansätzen im Bürodesign und versucht vorherzusagen, was die Arbeit im Büro in der Zukunft ausmachen wird.
1991 beauftragte Vitra die Designer Michele de Lucchi, Ettore Sottsass und Andrea Branzi mit der Planung des Office Designs der Zukunft. Wichtiger Bestandteil sollte dabei der Entwurf eines sowohl sozialen als auch produktiven Büroumfelds sein.
Seitdem wurden zahlreiche Variationen des Themas entwickelt. Auf der Orgatec 2008 stellte Vitra beispielsweise das Net'n'Nest Office Design vor. Das Konzept teilte im Grunde ein Großraumbüro in Bereiche für kommunikative Arbeit in Teams (Net') und Bereiche für konzentriertes, individuelles Arbeiten ('Nest) und lieferte die Möbel für beide Bereiche.
Auf der Orgatec 2010 war Vitras Schlagwort "Citizen Office 2011" .
20 Jahre nachdem Branzi, de Lucchi und Sottsass ihre Forschungsergebnisse präsentierten, ist Vitras "Citizen Office 2011" eine aktuelle Version dieser Arbeit im Kontext moderner Arbeitsmethoden und in vielerlei Hinsicht eine Weiterentwicklung des Net'n'Nest Office.
Leider musste Vitra die ganze Übung mit diesem unsinnigen Marketingvokabular durchziehen, das unser Blut zum Kochen bringt.
Die Marketingchefs haben ihre eigene Sprache. Das ist allgemein bekannt und hinlänglich in Satiren behandelt worden. Unser erstes "Marketing Jargon Bingo" haben wir 1993 gespielt und denken, dass jeder durchschnittliche Vitra-Käufer selbst mindestens eine sinnlose Marketingphrase in den Raum werfen kann.
Aber einer Schreibtischkollektion einen Marketingnamen zu geben und sie dann mit einem Vorort zu vergleichen, hat noch keinen Tisch verkauft.
Wird es auch nie.
Solche Versuche sind reine Zeit- und Geldverschwendung.
Immer.
Zum Glück hat Vitra auf der Orgatec auch das eine oder andere Produkt präsentiert, das von solcher Qualität war, dass es unseren Bluthochdruck wieder etwas senken konnte.
Das ist jetzt vielleicht offensichtlich, aber uns hat das Alcove Work von Ronan und Erwan Bouroullec wirklich beeindruckt. Das Alcove gehört zu unseren Lieblingssofadesigns, aber war für uns nie eine Option fürs Büro. Mit etwas Stauraum und einer Schreiboberfläche haben es die Bouroullecs aber in ein Möbelstück verwandelt, das sich auch für Arbeitsplätze empfiehlt.
Die Communal Cells von den Bouroullecs dagegen ließen uns erst mal zusammenzucken. Wieso sollten Vitra oder die Bouroullecs eine moderne Version der 70er-Jahre-Flughafen-Telefonzellen produzieren wollen?
Wir haben dann aber schnell gemerkt, dass es sich bei den Communal Cells in Wahrheit um ein modulares Konzept handelt, mit dem man seine eigene Innenarchitektur kreieren ... und diese auch nach Bedarf umbauen kann.
Mit den Communal Cells können z.B. Besprechungsräume, Areale für Drucker/Kopierer oder Entspannungsecken geschaffen werden - je nachdem was im Büro gerade benötigt wird.
Als wir das Konzept verstanden hatten, waren wir dann auch wirklich beeindruckt.
Der andere Designer der den Vitra-Stand auf der Orgatec 2010 dominierte war Antonio Citterio. Neben dem Suita Club Sofa/Sessel und dem Unix Chair war Citterios wichtigster Beitrag natürlich das neue ID Chair Konzept.
Der ID Chair wartet mit einem patentierten FlowMotion-System auf und wird wahrscheinlich Vitras Bürmöbelkonzepte der nächsten Jahre dominieren.
Mehr zum ID Chair aber in einem separaten Beitrag.
Außerdem stellte Vitra noch neue Produkte von Naoto Fukasawa und Arik Levy sowie den bereits erwähnten HAL von Jasper Morrison vor.
Die Marketingbeauftragten haben zwar alles versucht, die Sache zu verkomplizieren, aber Vitra baut immernoch einen großen Teil der Officedesign-Konzepte auf einer lockeren Interpretation der Idee der "Collage" von Charles Eames in der häuslichen Inneneinrichtung auf. Das ist kein schlechter Ansatz und nichts wofür man sich schämen muss.
Abwechslung ist nicht nur die Würze des Lebens sondern auch notendig für einen effektiven Arbeitsplatz.
Das "Citizens Office 2011" wird vielleicht nicht unbedingt unsere Vorstellungen von Büroeinrichtungen ändern, aber viele der individuellen Produkte, die auf der Orgatec 2010 vorgestellt wurden, werden das sicher. Und die Bürodesigns die dann daraus entstehen werden, werden letzten Endes dem nahe kommen, was Vitra im "Citizen Office 2011" Manifest beschreibt.
(Nur ohne überflüssige Office Forums und Workstation Areas.)