Design | Hersteller | Thonet
Am letzten Sonntag der Sommerferien öffnen jedes Jahr über 35 Produktionen und Industriebetriebe aus der Gegend um Kassel zum "Blauen Montag Sonntag" ihre Türen.
Der Name ist vielleicht etwas überambitioniert, aber die Idee dahinter ist gut und in diesem Jahr haben wir die Gelegenheit genutzt um Thonet in Frankenberg (Eder) einen Besuch abzustatten.
Der Blaue Sonntag war nämlich zum einen die erste "offizielle" Veranstaltung für das neue Thonet Wohnshowroom, zum anderen hatten Besucher auch die seltene Gelegenheit einen Blick auf die Thonet-Holzbiegerei zu werfen.
Das Thonet Wohnshowroom wurde zwar nicht von Herzog und de Meuron entworfen, ist aber trotzdem eine optische Illusion. In dem Fachwerkhaus aus dem Jahre 1889, das neben der Thonet Fabrik steht, wohnten früher die Firmenchefs Claus, Peter und Philipp Thonet. Das Thonet Wohnshowroom ist nicht sehr groß, aber alle Zwischentüren sind geöffnet und die Fenster sind fantastisch platziert. Außerdem wurden ein paar Innenwände entfernt, sodass sich insgesamt der Eindruck ergibt, das Haus wäre doppelt so groß wie es eigentlich ist. Genau wie das VitraHaus ist auch das Thonet Wohnshowroom ein Showroom für die Produkte. Aber da das Thonet Wohnshowroom ein echtes Haus mit echten Proportionen ist, ist der Effekt hier viel besser. Die natürliche Limitierung der Größe der Räume schafft eine authentischere und persönlichere Atmosphäre. Ein Highlight für uns war z.B. das Regalsystem 7000 von f/p design, das in Frankenberg viel besser zur Geltung kam als in Mailand.
In der Pressemitteilung erklärt Phillip Thonet, dass er die Neugestaltung so ansprechend findet, dass er sich vorstellen könnte einen Nachmittag allein im Thonet Wohnshowroom zu verbringen.
Wir auch.
Und zwar nicht nur wegen des Cobb Grills im Wintergarten.
Genauso beeidruckend ist das Thonet Museum. Als wir mit Thonets Kreativdirektor James Irvine in Mailand gesprochen haben, schwärmte er von den vielen faszinierenden Artikeln im Thonet-Archiv. Damals dachten wir noch das wäre nur ein hübscher Spruch für die Kamera gewesen. Aber im Thonet Museum war uns bereits nach wenigen Minuten klar dass er wirklich nicht übertrieben hatte. Schon allein mit dem Bettsofa aus dem Jahre 1884 haben wir (untersuchend und bewundernd) ca. 20 Minuten verbracht. Genial!
Der einzige Wermutstropfen war vielleicht die etwas "über-optimistische" Verner Panton-Ecke: Panton und Thonet haben zwar an einigen Projekten zusammen gearbeitet, aber davon gingen nicht so sehr viele in Produktion. Und "nicht so sehr viele" ist hier auch sehr optimistisch ausgedrückt.
Der wahre Höhepunkt des Nachmittages war allerdings die Biegerei.
Wie jeder weiß, hat Michael Thonet in den 1840er Jahren nach 20 Jahren Forschungsarbeit einen Prozess zum Biegen von Holz für die Möbelherstellung perfektioniert - und mit Stühlen wie dem (2)14 mehr oder weniger die Massenproduktion von Möbeln erfunden.
Die wahre Schönheit eines 214 liegt in der versteckten Komplexität eines Designs, das auf den ersten Blick so einfach aussieht und diesen "das kann doch jeder" Charm versprüht.
Wenn man die Thonet-Arbeiter in Aktion sieht, wird einem klar, wie brilliant der Prozess von Michael Thonet ist.
Heutzutage wird im Industriedesign sehr viel Zeit, Schweiß und Geld darauf verwendet, die Prozesse und Materialien zu optimieren und zu verfeinern, um die Stabilität zu erhöhen und das Volumen zu reduzieren. Michael Thonet hat genau das getan und das Resultat seines Lebenswerkes hat sich über die Jahre wenig verändert.
Die Tische auf denen das heiße Holz gebogen wird, haben sich kaum verändert seitdem Michael Thonet den Prozess in den 1840ern entwickelt hat.
Die alte Biegerei in Frankenberg hat sich kaum verändert, seit Georg Thonet die zerbombte Fabrik Anfang der 1950er Jahre wiederaufgebaut hat.
Sogar die Nachnamen der Arbeiter die das Holz biegen haben sich im Laufe der Jahrzehnte kaum geändert.
Und die Chancen stehen gut, dass sich daran auch in den nächsten Jahren nichts ändern wird.
Es ist schwer vorstellbar, dass Roboter und Computer jemals in der Lage sein werden, einen so komplexen Stuhl wie den 214 herzustellen. Also kann der Käufer eines Thonet Bugholzstuhls auch in Zukunft sicher sein, ein zu 100% handgefertigtes Produkt zu erhalten mit einer ihm innewohnenden 160 Jahre alten Qualitätsgarantie.
Diejenigen, die den "Dreh" des Konzepts von Michael Thonet noch nicht kennen, werden hier bald mehr erfahren.
Thonet gehört zu den Firmen die man leicht übersehen könnte, aber nur weil ihre Produkte so oft kopiert werden. Und das ist falsch. Thonet bleibt das Unternehmen, das maßgeblich dazu beigetragen hat, die Serienproduktion einzuführen, das qualitativ hochwertige Möbel einem Massenpublikum zugänglich gemacht hat und das an vorderster Front an zwei der wichtigsten Innovationen im Möbeldesign beteiligt war: Bugholz und Stahlrundrohr.
Und was vielleicht am wichtigsten ist: Thonet ist nach wie vor ein Familienbetrieb und integraler Bestandteil der Region.
Der Blaue Sonntag spielt insofern eine wichtige Rolle, dass er dem Unternehmen zum einen die Möglichkeit gibt, seinen Hintergrund und seine Philosophie zu erläutern, zum anderen aber den Kunden auch zeigen kann, was sie für ihr Geld bekommen.
Jeder der ca. 400 Besucher, die am Sonntag bei Thonet waren und den Schweiß auf den Stirnen der Biegerei-Arbeiter gesehen haben, weiß das jetzt.
Und so machten wir uns mit vollem Magen (Kuchen) und vollen Speicherkarten (Fotos) und einer Sturmfront im Nacken auf den Rückweg durch die grünen Täler Nordhessens.
Für alle, die den Blauen Sonntag verpasst haben: Am 25./26. September wird es einen Sonder-Werksverkauf geben. Die Biegerei wird an diesem Wochenende zwar nicht geöffnet sein, dafür aber das Thonet Museum und Thonet Wohnshowroom - und es gibt natürlich die Möglichkeit, Thonet-Artikel zum Spezialpreis zu erwerben.