Ca. 285 Journalisten waren am 12. Februar 2010 anwesend, als das neue VitraHaus von Herzog & de Meuron in Weil am Rhein der Presse vorgestellt wurde.
285 Journalisten, die dann die Auflage hatten, bis zum 20. Februar 2010 kein Wort darüber zu verlieren, was sie erlebt hatten...
Um eins vorweg klarzustellen: Das VitraHaus ist großartig.
Wir haben uns der Konstruktion von Herzog & de Meuron zu Fuß von der Mühlheimerstrasse genähert und der erste Anblick über den Parkplatz war genauso wunderbar wie wir ihn uns vorgestellt hatten.
Genau wie 10jährige auf Klassenfahrt haben wir das VitraHaus die ersten zwei Stunden nur von außen fotografiert. Teils aus Angst, es würde wieder verschwinden, teils um zu verhindern, dass wir zurück im Büro sind und merken, dass wir dieses eine Foto wirklich hätten machen sollen.
Wenn man um das VitraHaus herumläuft, versteht man allerdings auch, woher die Bedenken kommen.
Das Gebäude steht nicht nur am äußersten Rand des Vitra Campus sondern auch am äußersten Rand von Weil am Rhein. Man wird also genau dort, wo die Stadt in die sanfte Hügellandschaft übergeht, mit diesem riesigen, chaotischen, grüblerischen, dunklen Gebilde konfrontiert.
Herzog und de Meuron behaupten zwar "der Anthrazitton der äußeren Putzhaut vereinheitlicht das Gebilde, „erdet“ es und verbindet es mit der umgebenden Landschaft". Für uns ist das Architektensprache. Das Gebäude ist gewaltig; und wir können uns gut vorstellen, dass es eine Weile dauern wird bis die Autofahrer und Weiler Hundespaziergänger sich daran gewöhnen.
Das soll aber nicht die architektonische Pracht der Konstruktion schmälern. Wie wir schon sagten: Großartig.
Als wir keine weiteren Winkel mehr fanden um das VitraHaus von außen zu fotografieren... sind wir reingegangen.
Und fanden es gut. Aber nicht so gut wie von außen.
Drinnen sieht es aus wie ein Vitra showroom.
Ist ja auch einer.
Wie hatten nur nicht erwartet, dass es so sehr wie ein Vitra showroom aussieht.
Je mehr Zeit wir im VitraHaus verbrachten, umso weniger fühlte es sich wie ein Vitra showroom an. Aber es sah immernoch wie einer aus.
Wir sind ja nicht die hellsten Kerzen im Leuchter... und haben das VitraHaus auch in der falschen Richtung angeschaut: Von unten nach oben. Erst später im Zug nach Aschau im Chiemgau und zu Moormann haben wir gemerkt, dass man eigentlich hätte oben anfangen und die Etagen hinunterlaufen sollen.
Wenn wir oben losgegangen wären, wäre unser erster Eindruck ein grandioser Ausblick auf die unmittelbare Nachbarschaft gewesen: auf die Weinhänge und Obstplantagen, über den Tüllinger Hügel bis hin zum Schwarzwald.
Und auf einen Spin Table Leuchter von Tom Dixon - der nicht von Vitra hergestellt wird.
Wir waren überhaupt sehr beeindruckt von den vielen ausgestellten Stücken, die nicht von Vitra produziert werden, und bewundern Vitra für diesen mutigen Schritt. Aber wer sich ein wenig mit den "Karrieren" von Rolf Fehlbaum und Vitra beschäftigt - wenn nicht sogar persönlich verfolgt - hat, weiß auch, dass für sie die Qualität der Arbeit immer immer wichtiger ist als ein möglicher finanzieller Gewinn. Neben der Tom Dixon Leuchte haben wir u.a. "non-Vitra" Arbeiten von Konstantin Grcic und Ronan und Erwan Bouroullec entdeckt.
Jeder "Raum" des VitraHauses ist einem anderen Inneinrichtungsstil gewidmet. Die Anordnung der Räume wird hoffentlich mit den Jahreszeiten wechseln, um das Licht und die Kulisse jeder Location optimal zu nutzen.
Denn wenn man sich durch das VitraHaus bewegt - in der richtigen Richtung nach unten - eröffnen sich einem ständig wechselnde Ausblicke auf die Umgebung. Eigentlich der gleiche Ausblick, aber aus verschiedenen Perspektiven. Wir sind nicht unbedingt einer Meinung mit Rolf Fehlbaum, wenn er sagt, dass er dank des VitraHauses wunderbare neue Perspektiven auf die Umgebung und Weil am Rhein gewonnen hat.
Aber nur, weil wir Weil am Rhein noch nicht so oft wie der Chairman von Vitra gesehen haben.
Wenn man durch das VitraHaus geht, verschmelzen die Grenzen zwischen innen und außen tatsächlich ineinander und die Umgebung wird Teil des Gebäudes.
Es ist ein alter architektonischer Trick. Aber ein guter. Und einer, der das VitraHaus wirklich zu einem wunderbaren Erlebnis macht.
Wenn man weiter durch das VitraHaus geht - in der richtigen Richtung nach unten - wird man explizit ermutigt, alle ausgestellten Produkte zu testen. Das VitraHaus bietet zwar eine Reise durch das Nachkriegs-Möbeldesign, ist aber kein stickiges Möbelmuseum. Besucher können in den Stühlen sitzen, sich auf Tische abstützen und mit Eames Elephanten raufen. Man kann naürlich auch die Handwerkskunst qualitativ beurteilen oder die Artikel haptisch erfassen.
Das hat uns gut gefallen.
Was uns nicht so gut gefallen hat, war die Tatsache, dass die Pressekonferenz im von Hella Jongerius designten Vitra Farbprojekt stattfand.
Wenn man vom Umfang der Berichterstattung urteilt, die Frau Jongerius erfahren hat, haben Vitras Medienmaulwürfe ganze Arbeit geleistet um das Vitra Farbprojekt in der internationalen Presse unterzubringen. Aber mit über 250 Journalisten und Fotografen im VitraHaus konnte keiner das Vitra Farbprojekt sehen oder erfahren. Und in der Pressemappe gab es auch keine Informationen dazu.
Rolf Fehlbaum erwähnte zwar das Vitra Farbprojekt und seine damit verbundene Hoffnung, dass es zu einem mutigeren Umgang mit Farbe animiert (vielleicht nicht ganz so mutig wie Verner Panton bei der Einrichtung einer früheren Wohnung von Herrn Fehlbaum) aber zu diesem Zeitpunkt war das Farbprojekt beiseite gestellt und wir saßen alle auf Elephant Stools ohne zu wissen, was uns erwartet.
Das war wirklich eine Schande.
Aber sonst gab es keinen wirklichen Grund zur Beschwerde.
Für den Architekten Jacques Herzog ist die Erfahrung des "Nutzers" wichtiger ist als die Beschreibung des Architekten, wie das Gebäude funktioniert und was es darstellen soll.
Genau unsere Meinung.
Das VitraHaus ist nicht für jeden.
Viele werden es einfach langweilig und sinnlos finden. Wir nicht.
Es ist auch nicht allein die Reise nach Weil am Rhein wert, nur um das VitraHaus zu sehen.
Aber als Erweiterung des Vitra Campus und als weiterer Grund, Zeit in und um Weil am Rhein zu verbringen, ist das VitraHaus fantastisch.
Und wir persönlich können es kaum erwarten, dass das neue Produktionsgebäude von SANAA fertiggestellt wird.
Vor ca. 50 Jahren kaufte Rolf Fehlbaums Mutter und Vitra-Mitgründerin Erika Fehlbaum das Land, auf dem der Vitra Campus jetzt steht. Sie hat so letztendlich die Bedingungen und den Platz geschaffen, die es Vitra ermöglicht haben, zu expandieren und ihre Hommage an modernes Design zu schaffen.
Es ist daher nur passend, dass das neue VitraHaus Erika Fehlbaum gewidmet ist.
Das VitraHaus öffnet am 22. Februar 2010 und ist Montag-Freitag 10-18 Uhr geöffnet.